DOOM OVER MAINZ II
 
PHANTOM WINTER, UR, MORASTH, BLÆCK FOX
D-Mainz, M8 - 21. September 2019
((((((o)))))) 364 Tage nach der Pilotveranstaltung kam es zur Neuauflage des aktuell einzigen Doom-Festivals im mittleren Westen Deutschlands. Lange schien es fraglich. Hatte doch die Veranstaltergruppe selbst zwei Abgänge zu verkraften. Aber Morasth leben noch, und damit DOOM OVER MAINZ. Mein eigener Gemütszustand ließ sich frei nach Goethe mit „Es schlugen zwei Seelen, ach! in meiner Brust“ umschreiben. Ich befand mich zu der Zeit immer noch voll im Radtraining, war gedanklich schon beim nächsten Rennen, mittags die Serpentine hinauf zum Feldberg gefahren - und abends ziemlich grau. Dazu kam die schwierige An- und Abreise. Augenschmerzen und weißer Wutschaum sind seit geraumer Zeit noch die geringsten Nebenwirkungen bei einer Fahrt in einer S-Bahn durchs Rhein-Main-Gebiet. Mit Glück entgeht man Anschlägen aufs eigene Leben. Mainz erreicht, stellte sich blöderweise Hunger ein. Beim Suchen nach einer ordentlichen Mahlzeit verpassten wir die erste Gruppe... Kurzum: Meine Laune war vorm Eintreffen im „M8“ nicht die Beste. Das Erste, was mir dort auffiel, waren die vielen Undercut-Zopf-Frisuren der Männer, von meiner Adjutantin auch „Susi-Frisur“ genannt. Gefühlt jeder zweite trug eine. Im Unterschied zum Vorjahr - als die Meisten Studierende aus Mainz schienen - tummelten sich im Publikum diesmal auch einige, die man vom Sehen von anderen Konzerten kannte. Allerdings war der Andrang bei Weitem nicht so wie das Fakebuch vorgaukelte. Aus 444 „Interessierten“ wurden etwa achtzig in echt. So gesehen war die Auslagerung der erneut gutbestückten Händlerstände vom Konzert- in die Vorhalle gut gemeint, aber auch nicht zwingend nötig. Der Fan fühlte sich dort blank wie auf einem Präsentierteller... während manche auch ihren Spaß am Tisch hatten...
... so etwa die beiden Langhaarigen von BLÆCK FOX, die sich bester Stimmung und einem Häuflein Groupies im Schoß erfreuten. Das kleine Rudel aus Mainz und Wiesbaden hätte ich gern wiedergesehen, ihre giftige Mixtur aus Sludge, Crust und Noise im Stile von EyeHateGod vor einem Jahr am selben Ort wußte sehr zu gefallen. Die Hoffnung auf einen verspäteten Beginn erfüllte sich jedoch nicht: Blæck Fox hatten pünktlich um 19 Uhr losgelegt und bei unserer Ankunft gerade klitschnaß das Feld geräumt.
MORASTH waren zur Hälfte neu: Rhythmusgitarre und Schlagzeug wurden heute von Uwe und Christian bedient - mit Auswirkung auf den Grundton. Zwar weiterhin klar als Morasth zu verorten, waren die komplexen Klangwelten im Dunst zwischen Ambient Doom und Post Metal heute mit Trips in den Crust gespickt, und von markanten natürlichen Trommeln durchzogen. Dabei floßen die Lieder übergangslos ineinander. So daß der Nichtexperte einem Mahlstrom aus britzelnden Trossen, kolossalen Bässen und abgründigem Gepolter gegenüberstand. Jener setzte sich zusammen aus einem noch Namenlosen (der für die Neue Zeit stand), und den alten Drone-Monolithen „Evocatio“ und „... And On Celestial Shores I Build Enormous Sepulchres“. Alles tönte in frischem, unverbrauchten Gewand. Getragen von der gewohnt bildgewaltigen Performanz ergab sich eine weitere katharsische Dreiviertelstunde à la Morasth, der selbst die ersten Töne aus Menschenmund nicht schaden konnten. Als nämlich final Bassist Welter erklärte, daß Morasth gewöhnlich keine An- und Abmoderation machen, aber heute ein spezieller Dank dem Trommler gebüht, der erst paar Wochen im Bund sei, und „für diesen Gig vierundzwanzig-sieben geübt“ hatte (sprich: rund um die Uhr). Wir schienen etwas Einmaliges erlebt zu haben... Morasth waren wieder mal das ästhetischste, feinnervigste und tiefschürfendste Kommando des Abends.
Zwischen 2017 und 2019 durften wir die Sludge-Metaller UR nun in schöner Konstanz im Jahresabstand zum dritten Mal bestaunen. Und zwar stets mit deren altvorderem Stoff und in unveränderter Besetzung (was in der heutigen Zeit und bei unterschiedlichen Wohnsitzen - Dresden und Leipzig - schon geradezu außergewöhnlich ist). Martin Paul, Enrico Machate, Michael Weise und Jakob Ritter brachten mit „Grey Wanderer“, Aurochs“ und „Condor“ drei bewährte Malmer mit Überlänge. Oder - um es mit Martins Philosophie zu sagen - wenige, aber umso nachhaltigere Lieder, an denen man selbst länger Freude hat. UR waren die Typen mitten aus dem Leben; ihre Musik manchmal wie unter mystischem, milchigem Dunst liegende Berge und Täler; dann wieder eine alles zerquetschende Lawine aus rumpelnden Bässen, verstörendem Fiepen, schleifendem Noise und krudem Geröchel um unsere Mutter Erde. So als ob sich die Vorzeit mit Verzweiflung und all ihrer Urwüchsigkeit gegen das Neue aufbäumt. UR waren für meine Adjutantin heute die Eindinglichsten, und für mich die Doomigsten. Und nein: Der Nebel war nicht zu dick. Er hätte sogar noch schwerer wehen dürfen.
Während ein Mitglied der verblichenen Omega Massif mit Cranial weiterlebt (Gitarrist Melchers), hatten zwei andere - Sechssaiter Schmittful und Trommler Rath - zur gleichen Zeit (2014), am selben Ort (Würzburg) und in direkter Rivalität die Post-Sludger PHANTOM WINTER ins Leben gerufen. Komplettiert wurde das Quintett von den Saitenmännern Brunhuber und Achter sowie dem Vokalisten Krank. Letzter hieß nicht nur so, nein, er stand auch für einige Torkeleien schon vorm Auftritt, ein kultiges Sodom-Shirt und delirantes Knurren hinterm Mikro... unterdes der bei Omega Massif stets stumme Schmittful bei Phantom Winter als Kontrapart für endzeitliche Schreie sorgte. Und noch ein Akteur von Omega Massif lebte heute auf: das Schwarzlicht. Aber Licht aus reicht nicht immer... Finster war auch mancher Gedanke, der am Devotionalienstand kreiste. Etwa um ein Minusgeschäft, das Phantom Winter auf ihrem Feldzug machten. In Aktion erlaubten sich die Franken einige Ungereimtheiten: mal schien der Fuchs den Strom gestohlen (oder waren das komische Pausen?), in der nächsten Sekunde brach ein Sturm aus bizarrem Grindcore über einen herein. Aber wir sind ja schon froh, wenn Gruppen sich dem (post-)doomigen Untergrund annähern. Und das taten die Phantome! Phantom Winter starteten mit einer Dreiviertelstunde Verspätung. Zu der Zeit begann sich das M8 zu entseelen. Frau Peanut und ich mußten 23 Uhr 15 Gute Nacht sagen.
 
 

((((((Heiliger Vitus)))))), 23. September 2019 (Tagundnachtgleiche); Bilder: Vitus und Peanut
.:: ABSPIELLISTEN ::.
 
BLÆCK FOX
(19.00-19.45)
Titel unbekannt/spielten ohne Liste
 
MORASTH
(20.20-21.06)
1. Unbenannt
2. Evocatio
3. ... And On Celestial Shores I Build Enormous Sepulchres
 
UR
(21.29-22.12)
1. Grey Wanderer
2. Aurochs
3. Condor
 
PHANTOM WINTER
(22.44-XXX)
Titel unbekannt/spielten ohne Liste