DOOM SHALL RISE VI
 
WINO, LORD VICAR, VOODOOSHOCK, OMEGA MASSIF, SEMLAH, THE LAMP OF THOTH, BLACK SHAPE OF NEXUS, TORTURED SPIRIT, SYRACH, PROCESSION
D-Göppingen, Chapel - 18. April 2009
Sonnabend, 18. April (2. Tag)
 
Ein Nickerchen von fünf Stunden, ebenso viele Gerstensäfte sowie eine improvisierte Vesperplatte zum Frühstück, dazu Wegbier aus Südwestdeutschland (eine Clique aus dem Saarland spendierte uns zum Aufbruch eine Tüte voller „Herber Frische“ aus Homburg. Die Geste hat mich wirklich umgehauen!)... Überfahrt im großen Taxi... und dann standen wir wieder mitten in der Chapel, wo das Bier und der Doom nie ausgeht...
Strömender Regen mit zaghaften Sonnenstrahlen draußen. Drin zwei Hundertschaften im taghellen Licht. Dazu ein „Hello, we are PROCESSION!“: Die Farce der letzten Nacht war Geschichte... Auf der Kanzel tummelten sich drei verschlagene, bullige Burschen, von denen einer (der Trommler) indianisches Blut in den Adern hatte, und ein anderer (der Sechssaiter und Sänger) tags zuvor - von Zeitzonenkater und Bier dahingerafft - lang ausgestreckt zu unseren Füßen am Boden der Chapel geschlafen hatte (ein Wunder, daß der schon wieder stehen konnte!). Procession zelebrierten nicht den erwarteten Funeral Doom sondern Doom der alten Machart. Ein truedoomiges Sturmgebraus aus schweren Aparillos voll finsterem Rums kreuzte sich mit einer sehr leidenschaftlichen Stimme und der Kraft der Langsamkeit. Als Vergleiche seien Troikas wie Reverend Bizarre oder The Gates of Slumber genannt. Procession waren von sehr weit her gekommen, aus Chile. „It took us twenty fucking hours to get here“, so Frontmann Plaza. Es wäre verdammt betrüblich gewesen, hätten die Amigos den Weg von der anderen Seite der Meere ins Stauferland verfehlt!
Heia Norge! Das einzig originelle an SYRACH waren die ungewöhnlichen Künstlernamen. Ripper Olsen, Captain-8, The Fat Trout (Single Malt), sowie Suleiman: Das hatte was! Ferner wollten die vier nicht so recht zünden. Allzu stumpf und abgedroschen kam ihr Death Doom daher. Nachdem man es erst auf die brutale, grunzende Tour früher Paradise Lost versucht hatte, startete man ab der Mitte einen Versuch mit Hymnencharakter, der an die späten Wikingerballaden von Bathory erinnerte. Aber das war nichts, wir kannten das. Syrach zogen teuflische Grimassen, sie schüttelten die Schädel, und die Meute machte gute Miene zu einem allenfalls lauen Spiel-mir-das-Lied-vom-Tod.
Von TORTURED SPIRIT war mir nur bekannt, daß sie jüngst Konzertgänger derart vergraulten, daß diese geschlossen ins Raucherabteil abzogen, und der Wirt erst das Bierzapfen einstellen mußte, um sie zurück vors Geviert zu bewegen... Heute war aber Doom Shall Rise - und da ist alles anders! Die Westfalen um den Schiebermütze tragenden Reverend Odd, den wilden Headbanger Bolle und Trommler Etienne bestachen mit erfrischendem Doom Metal der alten Schule, der durch eine spezielle Art von Obskurität, Wucht und der Nähe zu Scott Reagers seinen ganz eigenen Reiz bezog. Bei Tortured Spirit habe ich regelrecht mitgelitten, denn ich weiß, wie es ist, wenn sich alles gegen einen verschwört. Oddy ist Doom-Shall-Rise-Inventar der ersten Stunde, Bandmitstreiter ließen ihn im Stich, Konzertgänger mißachteten ihn. Aber er hat nie aufgegeben. Tortured Spirit, Gequälter Geist: der Name war immer Programm! Der Auftritt beim DSR war phänomenal. Er machte alles wieder gut! Bei einem Lied wirkte sogar John Brenner von Revelation mit - ebenfalls unter einer Ballonmütze!
BLACK SHAPE OF NEXUS. Ich sage nur: gefeiert und zerrissen, vulgär, visionär, gewalttätig, düster und magisch. Diese Attribute gepaart unter konsequenter Mißachtung des Massengeschmacks macht die große Einsatzstaffel aus dem Südwesten des Landes so fasziniernd und einzigartig. Für mich waren B.SON von vornherein die wahren Hauptfiguren dieses DSR. Aber heute war alles etwas anders. Wie stets bei den spirituellen Gruppen des DSR, strahlte auch heute rechtzeitig zu B.SON (und nur zu B.SON!) die liebe Sonne einer Lichttaufe gleich in die Chapel. Auch fuhren B.SON ihre gewohnt schweren Geschütze auf. Plattmacher, die sich zwischen Drone- und Sludge-Doom verorten lassen. Heute waren sie kompakter, weniger experimentell, weniger zornig. Sänger Malte hatte sein schockierendes Kehlkopfmikro weitgehend durch ein herkömmliches Gerät ersetzt und wurde fortan auch prompt als „Rockstar“ bepöbelt. Man hat die Bewegungen und Aktionen der Mannheimer schon radikaler erlebt. Trotzdem waren B.SON die Ersten, die mich zum Headbanging hinrissen
Mächtiger konnte es nicht mehr werden. Oder? The Overtly Melancholic Lord Strange, Randy Reaper und Lady Pentagram, kurz THE LAMP OF THOTH, dürften nicht nur mich wie vom Donner gerührt haben... Der in unserem Land noch völlig unbekannte Dreibund aus Nordbritannien erfüllte die Chapel mit drängenden, kristallklaren Vokalen, hämmernden Gitarren, sehr wirkungsvollen Trommelhieben und einem Schuß Priest und Venom. Die Engländer huldigten der viktorianischen Vergangenheit ihrer Insel, auf der sich bekanntlich allerlei Skurriles, Obskures und Mythisches zugetragen hat. Inspiration sollten sie also zur Genüge haben. Zumal sie sich nach einer okkulten Zeitschrift ihres Heimatorts Keighley benannten... The Lamp of Thoth waren Charisma und federleichte Traurigkeit von sehr vehementem Nachdruck und der Lautstärke einer Metalband. Das war unerwartetet und für mich schon ziemlich berührend.
SEMLAH waren Teil der Doom-Shall-Rise-Premiere vor sechs Jahren und hatten dort in erster Linie Aufmerksamkeit durch den Sänger erregt, der der Legende zufolge beim Auftritt voll bis unter den Helm war; und der später bei einem Autounfall auch noch schwere Rückenverletzungen erlitt. Während Joleni heute auf dem Posten schien, war es nun Bassist Wilbur, den man mit hochrotem Kopf am liebsten in ein Sauerstoffzelt gelegt hätte. Mit ihrem progressiven bis angejazzten Doom Rock hatten Semlah erneut kein leichtes Spiel. Trotz der Tatsache, mit Johnson den Mann mit den längsten Haaren im Doom zu haben, waren die Schweden einmal mehr so was wie die Grauen Mäuse der Veranstaltung. Es mangelte ihnen schlicht an Ausstrahlung und Originalität. Letztere bewies Wilburs früherer Raven-Kumpel Renfield, der Semlah in einem Fetzen mit dem hübschen Aufdruck „Fuck You You Fuckin´ Fuck“ unentwegt vom Bühnenrand aus aufputschte. In einer Dankesgeste schleuderten Semlah im Finale ihrerseits zwei Hemden in die Meute.
Licht ist Verdruß. Zum ersten und einzigen Mal wurde die miese Bühnenbeleuchtung ausgeschaltet und verdunkelt - für Würzburgs Post-Metal-Kommando OMEGA MASSIF. Die Mainfranken setzten in meinen Augen den Paukenschlag des sechsten DSR. Melchers, Schmittfull, Bilic und Rath entführten uns auf eine beklemmende Reise in eine kalte Welt. Es waren regelrechte Achttausender, die sie vor uns auftürmten. Gletscherlangsam und düster krochen die Klänge in die Chapel und verwischten die Grenze zwischen Wahn und Wirklichkeit. Omega Massif zelebrierten die Schönheit und Gewaltigkeit der Landschaft, und zwar ohne Menschenstimme und übertriebenen Aktionismus. Einfach nur zwei Sechssaiter, Bass und Trommeln in Zeitlupe. Die Lieder fingen langsam an, wehten sphärisch vor sich hin, wurden aber wie eine Lawine immer größer, und überrollten am Ende alles und jeden. Fallen und sich treiben lassen, war das Elixier der Stunde. „In der Mine“, „Arkanum“, „Unter Null“ und „Totengebirge“ bedeuten für mich und viele andere viermal die totale Selbstaufgabe.
Zu vorgerückter Stunde war es Showtime für die süddeutschen Psych-Groove-Doomer VOODOOSHOCK. Das Trio um Ex-Naevus-Kopf Groebel, der nach erneutem Wechsel der Taktgeber heute von den Ex-Earth-Flights Müller und Engelhardt an Bass und Trommeln unterstützt wurde, brillierte wie schon beim ersten Doom Shall Rise mit Charme und Erfahrung. Groebels Stimme hat absolut nichts von ihrer eindringlichen, fesselnden Art eingebüßt. Im Gegenteil. Der Mann wirkt von Jahr zu Jahr drahtiger und blendend in Schuß. Die ehemals im entrückten Cathedral-Doom verwurzelten Lieder haben mit dem Zweitwerk einen weiteren Schritt hin zum Psychrock unternommen. Auf 'Marie´s Sister´s Garden' lag heute auch das Augenmerk. Wobei auch ein drückender Doomrocker wie „Tomorrow´s Bloom“ zu seinen Ehren kam und die seligen Zeiten von Naevus noch mal aufleben ließ. Voodooshock haben verdammt schön gegroovt und dürften mit ihrer anspruchsvollen Musik auch außerhalb vom Doom erfolgreich sein.
Den Abgesang bestritten zwei auferweckte Sänger von Saint Vitus! Erst Lord „C.O.D.“ Chritus. Dann dessen Vorgänger Wino. Chritus sollte zuerst ran. LORD VICAR nennt sich das neue Geschöpf. Wobei „Lord“ für den hohen, ekstatischen Klagegesang von Count Raven steht, und „Vicar“ für die ehemalige Gitarre von Reverend Bizarre, welche von „Vicar“ zu „Inverted“ (Peter Inverted) konvertierte. Vervollständigt wurde die südskandinavische Crew durch Jussi „Iron Hammer“ Myllykoski sowie Centurions-Ghost-Trommler Gareth Millsted. Klang schwierig, tönte in echt aber überaus einfach. Lord Vicar haben die Markenzeichen ihrer früheren Gruppen nur vereint (was ja legitim ist). Das Resultat hob den Doomladen nicht gerade aus den Angeln, war aber ein sehr amtlicher Doom Metal im Geiste der Ahnen. Hymnische Oden an die nordische Heimat bildeten das textliche Rückgrat. Optisch im Brennpunkt stand dabei die Figur des Chritus, der mit seiner gestenreichen Untermalung die Blicke auf sich zog, und auch sonst der Motor schien. Chritus ist ein Mensch wie ich. Vor Ewigkeiten mit Terra Firma in Frankfurt kennen- und schätzen gelernt, wiederholte sich die Erkenntnis spätestens seit gestern - als ich Chritus wiederum einsam an einem Tisch in der Krypta sah. Manche würden sagen: Der hat Depressionen. Aber Chritus ist ein tiefes Wasser, einfach nur mal die Schnauze halten. Wer sich schon mal vollständig in einen Wald bei Stockholm zurückzog, muß ein Großer sein. Ein Mensch, der eine starke Seele hat und Stille und Einsamkeit nicht fürchtet! Hail dir, Chritus!
Die rechte Faust aufs Herz gelegt. Wortlos. Allein diese Grußgeste hätte WINO ruhig so stehen lassen können. Ich mußte schlucken, und es fällt mir verdammt schwer, auch nur ein Wort über die folgende Stunde zu verlieren. Immer wieder wird der Begriff „Kult“ bemüht, tote Helden müssen zum Leben erwachen. Saint Vitus wollten sie alle haben, den Schnee von gestern. Vor sechs Jahren bekam das Volk seine Heiligen. Der „United Ein Time Gig“ auf dem With Full Force sollte das unwiderruflich einzige und letzte Ereignis mit den Unberührbaren sein. Leider ist Wino ein zu guter Mensch, um seine Dienste zu versagen. Zig Gruppen und Eskapaden verhalf er mit seiner Aura und dem einzigartigen, alles durchdringenden Timbre zu Ruhm - bis jene nach kurzer Zeit schon wieder zerbrachen. Nicht anders wird es seinem Soloprojekt ergehen, das mit dem Album 'Punctuated Equilibrium' dem Doom Rock von Obsessed folgt. Zu groß war die Kluft zwischen Alt und Jung, Legende und Episode. Das harte Leben hatte Wino um Jahrzehnte altern lassen, sogar seine Haare sahen geküßt aus. Heute hatte er mit Jon Blank einen blutjungen Bassisten, der zwar schon bei Wretched und Unortodox mitwirkte, aber etwas „born too late“ für Wino wirkte, sowie den dominanten Clutch-Trommler Jean-Paul Gaster um sich geschart - um seinen Mythos zu ruinieren. Schlafende Drachen sollte man nicht wecken. Das Doom Shall Rise sah schon bessere Hauptgruppen... Um 0.45 Uhr haben wir uns bei Regen und Dunkelheit davongestohlen.
 
Wie in der ersten Nacht, nahmen wir zu fünft einen Schluck beim schwulen Griechen im „Adler“. Durch Worte im jugendlichen Leichtsinn kam es zu einer heiklen Situation zwischen jemandem aus unserer Clique mit einem Russen. Fäuste hätten fliegen können - aber auch Messer oder Kugeln. Ich war heilfroh, mit Peanut halb drei wohlbehalten ins Bett zu kriechen.
.:: ABSPIELLISTEN ::.
 
PROCESSION
(15.02-15.42/ohne Gewähr)
1. Raven of Disease
2. Like a Plague Upon the Earth
3. The Funeral of an Age
4. Down the River of Corpses
5. The Road to The Gravegarden
6. Incinerate
 
SYRACH
(16.02-16.46)
1. The Firm Grip of Death
2. The River´s Rage
3. A Dark Burial
4. A Mourners Kiss
5. Stigma Diabolikum
6. Curse the Souls
 
TORTURED SPIRIT
(17.02-17.40)
1. Dagon´s Children
2. Sorrow in the Stone
3. Man and the Spider
4. Arkham Sanitarium
5. Halls of the Blind
6. Into the Demiurge
7. Broken Man
8. Outro
 
BLACK SHAPE OF NEXUS
(17.45-18.20)
ohne Gewähr:
1. III
2. VI
3. V
 
THE LAMP OF THOTH
(19.12-19.52)
1. The Lamp of Thoth
2. Oath Sworn on the Ashlar Stone
3. Sing As You Slay
4. Blood on Satan´s Claw
5. Hand of Glory
6. You Will Obey
7. Frost & Fire
 
SEMLAH
(20.06-20.46)
1. Halycon Years
2. Axioms of Life
3. Realms Unknown
4. Silent Sermons in the Plastic Church
5. Into Nothing Gone
6. Havoc
 
OMEGA MASSIF
(21.15-21.55)
1. In der Mine
2. Arcanum
3. Unter Null
4. Totengebirge
 
VOODOOSHOCK
(22.10-22.55)
1. Marie´s Sister´s Garden
2. Feeding Flames With Letters
3. The Golden Beauty
4. Please Let All Truth in Your Heart
5. Funeral Farewell
6. Tomorrow´s Bloom
7. Fountain of Freedom
8. Diamond Queen
 
LORD VICAR
(23.13-0.12[?])
1. The Spartan
2. The Last of the Templars
3. Born of a Jackal
4. A Man Called Horse
5. The Funeral Pyre
6. Into a Burning House
 
WINO
(0.23-1.33/evtl. nicht ganz richtig)
1. Release Me
2. Punctuated Equilibrium
3. The Woman in the Orange Pants
4. Smilin´ Road
5. Eyes of the Flesh
6. Wild Blue Yonder
7. Secret Realm Devotion
8. Water Crane
9. Gods, Frauds, Neo-cons and Demagogues
10. Silver Lining
Epilog
 
Sonntag, 19. April
 
Blauer Himmel, sattes Grün, singende Vögel: Es war mal wieder ein unbegreifliches Zeichen... Drei Tage hatte der Himmel zum Doom geweint, der Doom war vorbei, und wo eben noch alles dunkel, grau und naß war, explodierte wie auf wunderliche Weise über Nacht die strahlende Schönheit. Unser Frühstück wurde in die frische Luft verlegt. Wir besiegelten den Abschied unter gleißender Sonne im Hof des „Stern“. Im Anschluß zogen die Fans von Göppingen in alle Richtungen weiter. Für Kalle, Micha und Robert ging es im roten Audi Richtung Nordosten, Peanut und ich blieben mit der Eisenbahn in Westdeutschland. Unterwegs begegneten uns noch Cosmic-Lava-Kumpel Timo, der Malte und Micha von B.SON, sowie zwei Iren vom Pagan-Altar-Fanclub.
 
Danke an
Peanut für die Finanzierung des Aufenthalts in Göppingen. Ohne sie hätte ich das DSR VI nicht hinbekommen.
Kuß und Schluß, Vitus.
 
R.I.P.
Wino-Bassist Jon Blank starb zwei Wochen nach dem Doom Shall Rise - vor einer Supporttour für Clutch durch die USA - an einer tödlichen Dosis Heroin.
 
 
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Heiliger Vitus, 24. April 2009