DOPELORD, ACID ROW, VAST PYRE
D-Dresden, Chemiefabrik - 5. Dezember 2025
Es war Anfang Dezember, meine Mutter hatte sich vor sechs Jahren ins Himmelreich verabschiedet, und in Dresdens Straßen hing eine lausig nasse Kälte, bei der man keinen Hund vor die Tür jagt. Trotzdem hatten sich rund zweihundert in die „Chemo“ eingefunden, und die Halle unter der Petrikirche damit fast rammelvoll gemacht. Angesichts des Ausverkaufs bei Yawning Man im „Ostpol“ hatte sich Peanut Tage zuvor extra auf den Weg zum Kino „Schauburg“ gemacht, um uns bei Saxtickets Karten im Vorverkauf zu sichern - die der Einlaß dann generös in den Papierkorb entsorgen wollte. Es waren zwar schnöde Komputerkarten ausgedruckt auf billiges Recyclingpapier, aber immerhin Andenken. Dafür konnte sich die Bardame trotz über einjähriger Abwesenheit entsinnen, daß wir unser Bier immer mit Prozenten tranken. Pünktlich ab halb neun wurde gedoomt.
ACID ROW hatten wir vor zwei Jahren an selber Stelle als Eröffner für die US-Stoner-Doom-Legende Acid King erlebt. Damals hatten mich die Tschechen mit ihrer überschäumenden Energie sehr begeistert. Seither schien Alex Fonar, Dominik Klesa und Radek Bacík der Starruhm etwas zu Kopfe gestiegen. Acid Row kamen heute mit riesigem Backdrop und waren wie eine aufgeblasene Gefühlsachterbahn, die in der einen Sekunde mit einer geradezu nahegehenden Leidenschaft brütenden Doom macht, bevor sie in der nächsten plötzlich kippt und mit heller Fistelstimme platten Heavy Psych Rock schnetzelt. Ein Übermaß an gespielter Lässigkeit und übertriebenen Posen tat das Seine. Die traditionellen Plattmacher - zum einen der Brachialdoomer um den Weißen Hasen „The Emperor“, zum anderen das finstere „On the Edge of the Night“ - versöhnten final. Und dennoch landete die Troika aus Prag heute für mich persönlich in der Abteilung „Gruppen, die die Welt nicht braucht“.
Mit DOPELORD hatten wir inzwischen zum vierten Mal die Ehre. Und mit jedem ihrer Rituale fühlten sich die Polen etwas kühler, sachlicher und abgenutzter an, schien der Zauber, mit dem sie 2019 sogar (fast) Saint Vitus an die Wand spielten, lange verflogen. Klusek, Mroku, Miodek und Ochocinski schlachteten ihre über die Jahre erlangten, eigenen Meriten gnadenlos aus. War es Geschäftssinn, war es Arroganz, wenn man in knalliger, gestreifter Schlaghose so etwas wie Stoner Doom kredenzt? Für mich war es heute eine wenig doomige, aber mit vielleicht berechtigter Gerissenheit vorgetragene Ansage an die Flut immer neuer Bands, Experimentierer und Selbstfinder, die die Frage nach der Echtheit der Musik aufwirft. Stark gespielt war es allemal vom introvertierten Sechssaiter und heimlichen Chef Mroku, Co-Vokalist Miodek, Trommler Ochocinski und insbesondere Klusek, dessen Rolle als manipulativer Fronter wohl nicht nur versehentlich an die Leitwölfe namhafter Größen erinnerte. Doomerweise zerkratzten Dopelord ihren Nimbus mit banalen Ansagen, wie „enormous“ ihre Freude über einen weiteren Auftritt in der „Chemo“ sei. Das originell gemeinte „enormous“ wurde hierbei von einem Girl mit „enormous?“ nachgeplustert - welches der Sänger mit einem unbeholfenen „Yes, it´s enormous“ zu kontern versuchte. Neben dem epischen Klassiker „Children of the Haze“ und der pulsierenden „Reptile Sun“ brachten Dopelord Stoff vom letzten Album 'Songs For Satan', und auch erstmals in unserer Gegenwart die Ode an ebenjenen durch „Hail Satan“. Nachdem sich Mroku genüsslich einen Joint entflammt hatte, folgte in Gestalt von „Doom Bastards“ die erste Zugabe. „Doom Bastards“ war zweistimmig gesungen und für meine Adjutantin das beste Lied überhaupt (vielleicht auch eine kleine Selbstironie). Ehe der in tiefes Rotlicht getauchte „Preacher Elektrick“ als unplanmäßige Verlängerung kurz nach Mitternacht den Schlußpunkt setzte. Am Händlerstand drückten sich die Leute in Fünferreihe.
Den Thron der Nacht hatte in meinen Augen jedoch die Vorgruppe VAST PYRE aus Eisenach bestiegen. Vast Pyre waren ein junges. aufstrebendes Rudel, das jüngst mit dem selbsbetitelten Albumdebüt und dem heute in voller Länge zelebrierten Zweitwerk 'Bleak' seine ersten großen Erfolge verbuchen konnten. Die Begeisterung für traditionellen Doom stand den Kerlen richtig ins Gesicht geschrieben. Vokalist und Sänger des Dreibunds war dabei Chris Wallstein, der schon Eremit live aushalf. Vast Pyre kamen ohne Bass, aber mit zwei niederfrequenten Sechssaitern: am ersten Alex Först, am anderen dem von Warlust dazugestossenen Neuzugang Aeon. Das Trio lief gut zusammen, doomte mit Kopf und Bauch, und verstand sich ohne Worte. Gleich mit den ersten Klängen war die Halle von einer unheilvollen, mystischen und magischen Stimmung durchweht. Getragen wurde der Sound von schweren, hypnotisierenden Doomriffs, einer klaren, repititiven Singstimme und dem entfesselten Headbanging aller Akteure. Seit einer kleinen Ewigkeit fand ich mich mähnewirbelnd im ersten Sturm zu Füßen der Jungen aus Thüringen wieder. Doomiger, bedrohlicher und tiefgründiger wird´s nicht, wußte ich, und hätte nach Erlischen des „Großen Scheiterhaufens“ gehen können. So eliminierte ich im Anschluß an der Bar einen „Schwarzen Steiger“ nach dem anderen - und stolperte weit nach Mitternacht in ein eisiges, undurchdringbares weißes Nebelmeer. Auf dem Heimweg verlor ich meine treue Seele. Einer von uns holte sich den Tod.
 
 
Heiliger Vitus, 8. Dezember 2025
.:: ABSPIELLISTEN ::.
 
VAST PYRE
(20.30-21.13)
1. Begotten
2. Tenebrosity´s Path
3. Beneath the Surface
4. The Untold
5. Perdition Fatal
 
ACID ROW
(21.36-22.18)
1. Let´s Find Out
2. Black Blizzard
3. The Gathering
4. Get Life
5. Power of the Magic
6. Wizzard Kind
7. Do You Love Enough?
8. The Emperor
9. On the Edge of the Night
 
DOPELORD
(22.40-0.08)
1. The Chosen One
2. Children of the Haze
3. Hail Satan
4. Addicted to Black Magick
5. Witching Hour Bell
6. Headless Decapitator
7, Green Plague
8. Reptile Sun
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9. Doom Bastards
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10. Preacher Electrick