IN THE NURSERY, GOJA MOON ROCKAH
D-Frankfurt am Main, Das Bett - 20. November 2011
Heute war Totensonntag. Neben dem stillen Gedenken kam es in Frankfurt auch zu einem Wave-Gotik-Treffen mit Englands In The Nursery. 20 Uhr hatte der „Bett“-Klub seine Tore geöffnet. Nach und nach fanden sich achtzig Schwarzgekluftete, eine Besucherin in alternativem blauen Beinkleid sowie ein Protagonist in Weiß zusammen. Die Anzahl an Figuren blieb überschaubar. Ein Treff der Schwarzen Szene ist nicht bloß eine Vergnügung zum Tanzen und Feiern in friedlicher Stimmung. Nein, hier stoßen Individualisten der Subkultur auf Goten für einen Tag, genauso wie auf Bürodamen im MILF-Alter, um an einem stilvollen Getränk zu nippen und extravagante Modekreationen zu präsentieren. Ob Lolita, Fetisch oder Vamp - jede Optik ist vertreten. Nur unbunt mußte es sein.
Herr JA, Herr BUH und Herr SCHRECK: Das war die heutige Besatzung der ostdeutschen Kogge GOJA MOON ROCKAH. BUH, der mit seiner Frisur an den verrückten Fitzcarraldo erinnerte, bediente die Gitarre (und das wunderschön!), JA stand für dunkle (und geistreiche!) Propaganda, und SCHRECK fungierte im Wechsel an Baß und Orgel. Zwischen den dreien thronte noch ein riesiger schwarzer Sitz, der jedoch keine Rolle spielen sollte. Ein stilles „Wir sind Gojamoonrockah aus Wismar“ bedeutete den Anfang der Düstermesse. Es war alles andere als die im Cyberkosmos kursierende Neue Deutsche Welle, die das Trio von der Ostsee von der Kette ließ. Keine Spur auch von Elektro-Pop. Stattdessen enterten goJA moon ROCKAH mit hochenergetisch depressivem Dark Wave im Joy-Division-Stil die Planken. Womöglich geschah das in einer Art Anpaßung an die nachfolgenden In The Nursery. Auf der anderen Seite wurde durch das Minialbum 'Invasion' auch ein neuer Kurs eingeschlagen. Traurigkeit und Trostlosigkeit auf Deutsch, melancholische Liebeslieder, Oden ans Nicht-Unterkriegen-Lassen, und Instrumente tief im Moll begründeten heute das Flair der Goja-Musik. Die vom „Bett“ bekannte, stimmungsvolle Ausleuchtung des Bühnenhintergrunds und einzelne Strahler in Weiß taten ein Übriges für ein außergewöhnliches Erleben. Für schwarzen Humor sorgte das dem Cure-Kopf Robert Smith gewidmete „Robert Schmitt“ ziemlich am Schluß - bevor die Schau durch den Schlußakt „322“ ihr Glanzlicht erfuhr. Nach „322“ könnte man sich auch glatt den Tod wünschen. Nach dreißig Minuten dankte JA mit einem schlichten „Vielen Dank, es hat sehr viel Spaß gemacht.“ Uns auch. Das war verdammt ungeschminkt und lebensnah!
„Guten Abend! Wir sind IN THE NURSERY aus Sheffield in England. Hoffentlich wird das Konzert heute Abend gefallen.“ Ebenfalls sehr einfach, aber mit mehr Druck im Segel, ging die „Krankenabteilung“ von der Insel ans Werk. Wobei sich die Macht eher auf die Optik als auf die Kreatvität bezog. Bereits seit 1981 aktiv, hat das Projekt aus Mittelengland nur im Untergrund der Neoklassik eine gewisse Bekanntheit erlangt. Neben Dead Can Dance gelten ITN dabei immerhin zu den Erfindern der Stilart, man hat mit Death in June gemeinsame Sache gemacht, und Filme wie „Beowulf“, „The Aviator“ oder „Interview mit einem Vampir“ pompös vertont. Nach dem Abzug der Ostdeutschen lüftete sich der Schleier um die Bühnendekoration: Unter dem schwarzen Sitz war eine Militärtrommel verhüllt, und vor der Wand schwebten zwei weitere Große Trommeln. Dazu waren Trommeln am Bühnenrand aufgebaut. Elektropianos und ein Sechssaiter vervollständigten die Ausstattung der Tommys. Die Gründungsbrüder Klive und Nigel Humberstone wurden von Dolores Marguerite C und David Electrik am zweiten Schlagzeug unterstützt. Die vier inszenierten martialischen Industrialrock, der in seiner Ästhetik sehr an Von Thronstahl erinnerte. Daß man dabei auch dem Mammon nicht abgeneigt ist, bewiesen kleinere Verneigungen vor Depeche Mode. Die Performanz wurde vollständig im Stehen absolviert, man zeigte Haltung, das uniforme Schwarz saß korrekt, und manchmal hob Walküre Dolores in einer beschwörenden Geste den Arm. Alles tönte erhaben und empirisch, das Tempo lag im mittleren Bereich, selbst das drängende „Mystery“ - der Höhepunkt! - kam zurückgenommen daher. Neofolk ist nicht mein Spezialgebiet, für mich klangen ITN zu glatt und gleichförmig. Es war schön, aber es wollte nicht funken. Glücklich schien auch Peanut nicht. Von Beachtung blieben das einzig widerständlerische „Compulsion“ sowie die Sprachgabe der Dolores, die neben Englisch und deutschen Ansagen mit „A Rebours“ auch eins auf Französisch brachte. „Dies war unser letzter Gig in 2011. Kommt wieder!“, so der letzte Wunsch. Nach einer guten Stunde und einer zeitlosen Verlängerung war der schwarze Bund aus England durch.
Die signierte 'Invasion'-EP
.:: ABSPIELLISTEN ::.
 
GOJA MOON ROCKAH
(21.00-21.30)
1. Kalt
2. 3 Uhr 10
3. Hollywood
4. Schwarz
5. P.S.
6. Ninja
7. Invasion
8. Robert Schmitt
9. Warten
10. 322
 
IN THE NURSERY
(21.55-22.58)
1. Crepuscule
2. Hymn Noir
3. Bombed
4. Mystery
5. Crave
6. Sixth Sense
7. Artisans of Civilisation
8. Cobalt
9. A Rebours (Against nature)
10. Compulsion
******
11. Blueprint
Der Aufbruch verlief nebulös. Ursprünglich wollte ich was von In The Nursery erstehen. Der Händlertisch lag voll mit digitalen Tonträgern, geschätzten zwanzig Alben, Minialben, Singles und Maxis. Meine unkundige Frage nach einer Live-Platte wurde von Humberstone leider flapsig abgeschmettert. (Genauso hatte er zuvor auch schon ein Mädel vergrault, das daraufhin ganz entsetzt ihre Freundin angeschaut hatte.) So wurde aus einem Silberling aus England schwarzes Vinyl aus Germania: Die Gojas hatten - neben Hemden mit einem Schafsweib auf der Brust - auch „Tapes“ (wo gibt´s das heute überhaupt noch?) und limitierte 7-Zöller vom Minialbum 'Invasion' am Start. Versüßt wurde mein Kauf durch die Unterschriften aller Mitglieder (wobei der Bassist aus der Garderobe geholt werden mußte).
 
 

Heiliger Vitus, 22. November 2011