LA IRA DE DIOS, ELECTRIC MOON
D-Frankfurt am Main, Dreikönigskeller - 4. Oktober 2012
Innerlich zerrüttet war ich heute. Wieder mal. Erst herrschte das ewige Nichts in Frankfurts doomnahen Untergrund. Dann hatte Ephemerol-Kopf Engl zu einem exklusiven Abend mit akustischen Slow-Heavy-Experimenten, ätherischen Elektro-Drones und einer Solo-Drone-Performanz im Waggon Offenbach geladen. Drei Tage später hielt der Dreikönigskeller Frankfurt eine Nacht mit kosmischem Maximumvolumerocknroll und psychedelischen Erfahrungen dagegen. Am Mittwoch standen die Postrocker Ef im Ponyhof. Und schließlich trat auch noch unser eigenes Unternehmen, der Frankfurt-Marathon, in die Endphase. Hier sollte absolute Enthaltsamkeit gelten! Doch ab und zu braucht die Seele Zerstreuung: Peanut und ich entschieden uns für den DKK. - In der zehnten Stunde waren wir in die kleine Saufgrube am Eisernen Steg angetaucht. Dort fanden wir für acht Piepen das Rockgefühl der guten alten Zeit: hölzerne Barhocker, einen Tresen, den nostalgischen Branntwein „Southern Comfort“, Bier sowieso, schiefe Figuren, eine Vogelscheuche Typ Olivia Jones, einen Jüngling gar in Saint-Vitus-Shirt. Noch bietet der Dreikönigskeller der Gentrifizierung am Main die Stirn. Unter zwanzig Besuchern und zehn Musikern und Mitarbeitern, auch ein Bekannter aus besseren Tagen: Thomas, der frühere Inhaber des Plattenladens „Music Base“, war zusammen mit seiner Frau für die Peruaner La Ira de Dios gekommen. Weniger wegen deren Musik, sondern weil er in den Neunzigerjahren 16 Mal geschäftlich in Südamerika war. Damals schwante noch keinem was von Internet, Napster & Co....
„Guten Abend, wir sind ELECTRIC MOON und machen jetzt mal bißchen Sound“: Ein dünner Gruß leitete den Abend um 21.58 Uhr ein. Der Name der Gruppe klang wie ein Hybrid aus Electric Wizard und Dead Moon, aus tiefem Doom und astreinem Garagenrock. Das Netz gaukelte Videopclips im Stil von Yob, Toner Low und Sons of Otis vor - Hypnotisches, was zum Haarewirbeln. Mitte Oktober sollten die Fuldaer mit Obelyskkh bei „Doom Over Bielefeld“ sein. Doch alle Wunschgedanken und die eigene Phantasie waren schnell enttäuscht. An die Stelle von Doom trat Psych-Rock im Siebziger-Schick. Sula Bassana, Fräulein Komet Lulu und Michael Orloff schossen uns nicht auf die Spacedoomwolke 7, sondern wandelten in den Spuren von Hendrix und Hawkwind. Ohne Stimme, nur mit Gitarre, Baß und Schlagzeug. Erstere hochtourig, Letztes mit stringentem Gepolter. Wobei Electric Moon in völliger Starre agierten, und neben dem Gesang auch von den stilüblichen, lysergsäuredurchtränkten Lichtspielereien und georgelten Sterneneffekten absahen. Electric Moon gaben zwei Nummern. Einer viertelstündigen Gitarrenonanie namens „Mental Record“ folgte eine zweite Selbstverliebtheit, die sich über fünfzig Minuten dehnen sollte. Eine, die wie ein augelutschtes, schlappes Etwas in der Schleife hing. Wie da wieder herauskommen?, die spannende Aufgabe für die Künstler. Und sich da wachzuhalten, die fürs Publikum. Peanut hielt den gesamten Auftritt auf einem Hocker an vorderster Front aus, Sula Bassana schaffte mit einem über den Gitarrenhals gezogenen Stöckchen den Ausstieg vom „Inferno“, und nach insgesamt 73 Minuten waren Electric Moon durch.
„Revolution Rock“ nennen LA IRA DE DIOS ihre Musik. Was eine ganz schöne Etikette für deren unangepaßten Stil ist. Mit der Gründung zur Jahrtausendwende stand man bei der deutschen Stoner/Psych-Firma Nasoni unter Vertrag. Thomas kannte die frühen Sachen und äußerte, daß La Ira de Dios „sehr psychedelisch sind und manchmal fast schon Doom Rock machten.“ Nachts um 23.37 Uhr schlug die Stunde für Lima, und mit „Kaos“ ging´s auch entschleunigt los. Aber schon beim zweiten Stück wurde klar, daß man heute etwas anders drauf ist. Chino, Litros und Pepe legten fortan ein Wahnsinnsrodeo zwischen Garage, Soul und donnerndem Hard Rock hin. Drei Männer in den Dreißigern, der Frontmann mit schwarzen Locken, wilden Augen, Vollbart und Poncho an Che erinnernd, dazu zwei nicht minder verruchte Guerilleros an Sechssaiter und Trommeln, entfesselten einen obskuren Bastard aus Psych und Punk, aus Kult, Revolution und der Unzugänglichkeit der Anden. Ungeschliffene Vokale kreuzten sich mit kruden, erdigen Gitarren und schwer zähmbarer Energie. Aus der Antipathie gegenüber dem System machte man keinen Hehl. La Ira bereiteten allen Rebellen des Planeten diebischen Spaß - jedoch keinen den Kindern des Doom! Thomas wanderte vorzeitig ab; jemamd anders verlangte Doom! Und Chino versprach Doom: „Trust me!“. Aber es folgten allenfalls „Slow punker“. Nach vierzigminütiger Hinhaltetaktik waren alle besoffen und der „Zorn der Götter“ verraucht. Punkt 0.20 Uhr stellte die Horde vom Arsch der Welt ihre Aktion vor einer Schar Sonderlinge ein. Ob sie später noch zu doomigen Waffen griffen, ist nicht überliefert.
 
 
Heiliger Vitus, 9. Oktober 2012
ABSPIELLISTE ELECTRIC MOON
1. Mental Record
2. Inferno
 
ABSPIELLISTE LA IRA DE DIOS
1. Kaos
2. Yo Solo
3. Confusion
4. Guerilla A Go-Go
5. Policias
6. Care and Trust
7. Aparecidos
8. Velocidad
9. Underground
10. El Apego
11. Green Smoke
12. Grita
13. Altravezare
14. Ghost City
15. The Ocean