LOW FREQUENCY ASSAULT IV
 
BLACK SHAPE OF NEXUS, DREAMING, TEKHTON, THE WALRUZ, DOWN ON KNEES I´M WEAK
D-Nürnberg, Z-Bau (Kunstverein) - 15. Dezember 2007
Doomerstag, 13. Dezember
 
Der Stab von „Low Frequency Assaults“ hatte einen neuen LFA ausgerufen. Den vierten. Und wie in den Wintern zuvor, folgte der Ablauf der Tage von Nürnberg auch in diesem Jahr seinen altgewohnten, unverzichtbaren Ritualen. Der Tag eins begann mit der Anreise. Statt am Zaun der Südkaserne lag die Unterkunft von Frau Peanut und mir diesmal im Lichtenhof. In den Vormittagsstunden trafen wir dort ein. Nach diversen Vorzündern mit dem Hotelbetreiber endete der Tag auf einer Hardcore-Show im Z-Bau, in dem achtundvierzig Stunden später auch der Doom stieg. Zum Erlebnisbericht geht´s hier lang:
...... Life Long Tragedy, Cloak/Dagger, Gold Kids, Lighthouse
 
Freitag, 14. Dezember
 
Am Nachmittag des zweiten Tages stießen die Doomgenossen Kalle und Micha aus Ostelbien zu uns. Es war deren erster Besuch beim Low Frequency Assault. Eigentlich wollten wir uns mit dem Macher des Festivals treffen. Jener mußte uns aber versetzen, weil er vierundzwanzig Stunden zuvor etwas zu tief ins Gin-Glas geblickt hatte. Wir zogen ohne Onkel Boris los, verpflegten uns im „Südtiroler Platz“, und saßen im „Lichtenhof“ beim Bierchen und Weinchen zusammen. Dabei beäugte das ungarische Schankweib meinen Thorshammer. Und sie kam ins Grübeln und frug: „Was ist das? Seid ihr eine Sekte? Trinkt ihr Blut?“ Mit einem von uns stimmte also irgendetwas ganz und gar nicht. Es wurde spät. Kalle kampiete vertikal in einem Sessel auf dem Hotelkorridor (aber nicht nackt)!.....
 
Sonnabend, 15. Dezember
 
Diese Qualen. Dieses Durcheinander. Diese Grauen. Welch ein Morgen. Während ich im Bett für die Sünden büßte, versuchten sich Peanut, Kalle und Micha an einem „Weggla“ (Brötchen) - beließen es jedoch bei Weizenbier. In den kalten Nachmittagsstunden haben wir den traditionellen Rundgang übers Reichsparteitagsgelände vorgenommen, und bei einem labenden Hellen im Heim am Stadion den stummen Zeugen der Vergangenheit gedacht. Halb acht erfolgte - noch immer zerrüttet - der Aufbruch zum Doom. Gemäß Vorgabe trafen wir pünktlich um acht in der Südkaserne ein. Wie beim ersten LFA 2004, stieg im Nebenraum eine orientalische Hochzeit. Diesmal verwehrte jedoch ein Betonklotz vor der Tür Fremden den Zugang. Sebastian kassierte den Zehner für den Einlaß. 160 Leute waren vor Ort. Vertraute Gesichter hat man natürlich auch gesehen, unter anderem Kurt Winter, Sturmkind, Mike vom „German Doom Forum“, verschiedene Musikerfrauen, und den Tonmeister von der Hardcore-Sause der Gold Kids vor zwei Tagen im „Roten Salon“. Der aus dem niedersächsischen Lohne angereiste „Doom Dealer“ durfte einen Verkaufstisch aufstellen. Und: Dübel dienten als Getränkepfand...
Mit anderthalbstündigem Zeitverzug eröffneten 20 Uhr 30 DOWN ON KNEES I´M WEAK aus Schwarzenberg, Torgau und Karl-Marx-Stadt (nicht Chemnitz!) den Low Frequency Assault. Obwohl der Sänger mit einem „Punk Rock - No Patriotism“ auf der Brust angerückt war, kredenzten Martin, Basti, Reik und Mario passend zum Festmotto eine grimmige Kreuzung aus Doom, Hardcore und Southern Rock, die man grob dem Sludge zuordnen könnte. Tiefe Bässen und zorniges, krudes Geröchel und Gekeife trafen auf nihilistische Gefühle und antigesellschaftliche Spitzen. Überwiegend ging es zeitlupenschwer, mitunter auch still melodisch dahin - bis plötzlich detonierende Mörser jegliche Friede-Freude-Eierschecke im Ansatz wegbombten. Das Rudel aus Sachsen bestach durch echte Körperlichkeit. Nichts mit glatten Hipsterfrisuren und lauen Gesten. Eine Dreiviertelstunde lang bekam die Meute was fürs Auge geboten: fliegende Dreads, wilde Bärte, schiefe Grimassen, Tattoos. Das waren mal vier Typen! Noch war nichts auf Tonträger gebannt. Aber man darf auf den weiteren Weg gespannt sein!
Nach ihrem wunderbaren Livedebüt auf der Church-Of-Misery-Tour 2005 in Wiesbaden, und der Absage im Vorjahr, war der heute nachgeholte erst der zweite Auftritt für THE WALRUZ überhaupt. In einer konspirativen Bunkersitzung hatte sich der Trupp aus Köln und Fürth vorbereitet. Die ganze Nacht hatte man sich im Quartier von Versus The Stillborn-Minded um die Ohren geschlagen, der Bassist mußte morgens sogar noch zum Dienst anrücken... Wenige Stunden später, um 21 Uhr 48, wurde der mit schwarzer Farbe an die Wand gemalte Stern vom siebenzackigen Heptagramm Walruz´ verhangen, und die Gefolgschaft konnte die heile Welt des High Society Doom atmen. Honig fürs Herz und Opium für die Seele durch Lex Braselli, Carlos Cabrero, Stuart West, Joe Cobra und ihrem Cocktail aus dröhnenden Psychedelika, Lauten aus dem All und massivem Ziegendoom aus der Geißbockstadt. Die Bässe surrten, bittersüße Stimmen lagen in der Luft, Menschen bogen sich zu „Cracked-Brained“ in Ekstase (auf und vorm Geviert). Es war ein Fest. Ein großes. Ein drogenschweres. Und ein entspanntes. Vielleicht fehlte etwas der Biß, die Wucht von Wiesbaden... Vielleicht hatte der steile Zahn, der Walruz filmte, den Jungen in der Bunkernacht das Adrenalin geraubt... Wer weiß... Walruz verneigten sich mit „Snow Blind“ vor Ace Frehley, die Gitarreros warfen sich symbolisch die Doomriffs zu, und 22 Uhr 30 war das Walroß nach einem wahnsinnig schönen Trip gestrandet. Micha sagte: „Walruz allein waren die weite Reise wert!“
Aus dem schnellfließenden Vulkanstrom von Asche und Wasser sind zwei Jahre später drückende, schiebende, brechende und sich faltende Gesteinsplatten geworden: LAHAR wurden zu TEKHTON. (Die Gruppe aus Groningen hatte diesen Namen angenommen, weil die Welt noch andere Lahare hat.) Die Akteure blieben dieselben. Luimstra, Evers, Van der Zee, Jurgen und Oostra starteten ihre Darbietung mit einem verbindenden Ritual, indem sie aus einem Flachmann ein Elixier tranken, daß keiner kannte (und an dem sich der Vokalist in der Folge noch öfter stärkte). Außer der „Apocalypse Machine“ lieferten die Holländer nur brandneuen Stoff. Kernigen Post Sludge, der - wie „All is Glory“ - mitunter in die entrückt depressiven Post-Metal-Gefilde von Neurosis ging, und in Verbindung mit den sehr harschen, extrem qualvollen Schreien einen durchaus spannenden Kontrast erzeugte. Etwa so, als ob sich die Innererde verformt - um dann mit Urgewalt die sie umgebende Kruste wegzusprengen. Das Naturereignis Tekhton währte eine Dreiviertelstunde.
Uhlmann, Schulz und Becker, gemeinhin DREAMING genannt, waren die erste und einzige Gruppe, bei der ich headgebangt habe. Damit wäre eigentlich schon alles gesagt und jedes weitere Wort überflüssiges „Geschwurbel“ (um es mal mit Toms Worten zu sagen). Dreaming sind aus Sachsen und machen traditionellen Doom tief in den Venen von Saint Vitus und Count Raven. Und dies seit dem letzten Jahrzehnt des alten Jahrtausends. Dreaming sind Deutschlands führende Kraft in diesem Bereich! Dreaming, das ist Passion, Ursprünglichkeit und Spiritualität. Diese Musik wird geatmet. Alte Eisen wie „Creeping Forward“ und „Treadmill“ stehen seit Ewigkeiten in der Valhalla, das mysteriöse „The Other“ tut dies seit jüngerer Vergangenheit, und ein dunkler Schatten wie „Birth Means Defeat“ kann gleichwohl zur Geburt, als Geleit zum Suizid, wie auch zur letzten Ölung am Ende des Weges zelebriert werden. Nachdem der Vokalistenpart heute nahezu allein von Sandro bestritten wurde, durfte Tom am Ende zumindest die Vitus-Nostalgie „War Starter“ zum Besten geben. Und man war danach überaus uneinig, wer der beiden Großen der „bessere“ Sänger ist. Ein Luxusproblem! Nach 53 phantastischen Minuten mußten zwei Schmuckstücke abgehackt werden. Wobei „Mind Food“ vermutlich die Hymne des gesamten Festivals geworden wäre...
 
Derweil drin Dreaming doomten, waren draußen schwere Jungs und Türsteher aufmarschiert: Im Technoclub „Zoom“ im Obergeschoß starteten die DJs Elektrisch durch. Tausende Raver wollten rein...
Keine Fragen stellen, bloß staunen! BLACK SHAPE OF NEXUS selbst waren es, die zu Beginn ihrer Laufbahn Worte verschmähten. Mittlerweile ist der um 2006 herum angeheuerte „Sänger“ so was wie der optische Knaller im sechsköpfigen Sludge/Drone-Doom-Kommando aus Südwestdeutschland. Malte ist eine Schockfigur. Manche waren in ihrem sittlichen Empfinden ziemlich beeinträchtigt, jemanden zu beobachten, der von einem um die Gurgel gelegten Spezialmikro regelrecht stranguliert wurde. Einen bulligen Mann zu sehen, der die Augen ins Kopfinnere gedreht hatte, und aus dessen Rachen nichts als sarkastisches Kreischen und unwirkliches Geröchel drang. Da konnten sich die Saitenkämpfer Geb und Bergweiler noch so doommagisch in ihre Instrumente graben, die Schädel werfen und ihre Körper doommagisch im Staub wälzen - dieses beunruhigende Bild war allgewaltig. Was gibt´s zu B.SON sonst noch zu sagen? B.SON sind die derzeit intellektuellste, esoterischste und künstlerisch superbste Doom-Formation auf Erden. Der von B.SON stets neu vorgelebten Endgültigkeit, dieser zelebrierten Nichtigkeit unserer Existenz, diesem irrationalen Haß auf alles und jeden, kann sich niemand entziehen. Am jungen Sonntagmorgen um 2 Uhr 03 waren die postapokalyptischen Klangwälle aus der antifaschistischen Propagandamaschine verstummt. Bergweiler war es, der seinen Bass kopfüber in den Bühnenboden stach und mit diesem Sinnbild der Welt die finale Todeskapsel verteilte!
 
Seltsamerweise redete Kalle nach dem Auftritt mit niemand mehr ein Wort. Er stieg auch nicht mit uns ins Taxi, sondern ging bei klirrender Kälte allein nach Hause...
.:: ABSPIELLISTEN ::.
 
DOWN ON KNEES I´M WEAK
(20.30-21.13)
1. Warscars
2. Plague of Vampires
3. Ultra Violent
4. The Aftertaste of a Future to
5. Neues
 
THE WALRUZ
(21.48-22.30 / Titel ohne Gewähr)
Intro
1. Save Yourself
2. Apathetic
3. Crack-Brained
4. Snow Blind [Ace Frehley]
5. Theme from Nedin
 
TEKHTON
(23.00-23.44)
1. Clove Hitch
2. Apocalypse Machine
3. 031045
4. All is Glory
5. Cleanse the Temple
6. Tooth and Nail
7. Auric Revelations
 
DREAMING
(0.10-1.03)
1. The Other
2. Creeping Forward
3. Treadmill
4. Hello
5. Way Home
6. Orgies of Sorrow
7. War Starter [Saint Vitus]
8. Blurred Truth
9. Birth Means Defeat
******
10. By a Hairs Breadth
11. Mind Food [Saint Vitus]
 
ABSPIELLISTE B.SON
(1.23-2.03/ Titel ohne Gewähr)
1. III
2. VI
3. V
Sonntag, 16. Dezember
 
Der vierte und letzte Tag stand im Zeichen des Aufbruchs. Während Kalle und Micha sich nach einer fünfstündigen Ausnüchterung schon auf der Autobahn befanden, haben Peanut und ich einen letzten Rundgang durch das wiederhergerichtete Schatzkästlein von Alt-Nürnberg und hinauf zum Burgfelsen unternommen. In den Abendstunden sind wir in Frankfurt eingeschlagen. Nürnberg, Low Frequency Assault: Wir blicken gespannt in die Zukunft!
 
 
Dank und Gruß
Boris und Sebastian (ohne euch wäre der Doom sehr viel ärmer!)
 
 
Nachhall, 7. August 2016
Neun Jahre später bewerteten Black Shape of Nexus ihren Auftritt in Nürnberg 2007 als bestes Konzert ihres Lebens.
Der Veranstalter sagte, daß die vierte Ausgabe des Low Frequency Assaults das beste Konzert im Kunstverein und zugleich der beste LFA der Geschichte war.
 
 
Doom, Fascination und Gewalt: ((((((Heiliger Vitus)))))), 20. Dezember 2007, August 2016