MAYHEM, MALSAIN, DISCREATION
D-Frankfurt am Main, Nachtleben - 11. März 2008
[666] Black-Metal-Kult total! Mayhem haben in Frankfurt eine schwarze Messe gegeben - und Frl. Peanut und ich dank Fortuna einen Gästelistenplatz geschnappt (und so zwei mal zwanzig Euro Eintritt gespart). Ursprünglich für die große „Batschkapp“ angesetzt, wurde das schwarzmagische Ereignis hellsichtig - die Masse zog die Auftritte von Megadeth in der Isenburger Hugenottenhalle und Overkill tags darauf in Frankfurt vor - ins „Nachtleben“ unter der Konstablerwache verlegt. In der Halle von Eschersheim hätte sich die angerückte Hundertschaft glatt verloren. Leider weilten darunter viele Wichtigtuer, groteske Poser, Möchtegernmetaller und sonstige Arschfotzen. Groß war auch die aufgefahrene Technik: Chromblitzendes Eisen, massive Stangen und Stative aus Stahl, Dutzende Trommeln und Becken unterschiedlicher Größe. Auf der Bühne thronten gleich zwei Schlagzeuge nebeneinander: eins für die Stoßtrupps, eins speziell für Mayhem. Stark war auch der Zulauf am Andenkenstand. Die Hemden, Wollmützen und fingerlosen Handschuhe von Mayhem gingen weg wie warme Semmeln. Nur diese. Denn Tonträger hatten sie nicht dabei. Pech auch für die dralle Dekolleté-Dame von Malsain, die gänzlich auf ihrem Kram sitzen blieb. AC/DC rockten die Szenerie, und der deklarierte Beginn von 20 Uhr erwies sich abermals als Mittel zur Generierung von Umsätzen durch Getränke... Derweil kreuzte ein Bursche in einem Hemd der verblichenen Sludger Iron Monkey meinen Weg. Das Teil hätte ich ihm am liebsten vom Leib gerissen!
Unter bedrohlich anschwellendem Kriegsgedröhn und mit einem Hagel aus Stahlsaiten blies um 20 Uhr 40 Hessens Death-Metal-Rotte DISCREATION zum Angriff. Auf zehn Minuten Blitzkrieg mit „Liberation“ und „To Rust“ folgte Stille - aber kein Stillstand. Das Tempo wurde um einen Tick gedrosselt. Düstere Kreaturen wie „Captured and Freed“ und schwere Brecheisen, nahezu schon Death-Doom-Schlepper - wie der „Breeding Terror“ - übernahmen nun das Regiment. Der Kontrast aus rauhen Vokalen und dunkel hämmernden Melodien sorgte für eine ganz spezielle, sehr herbe Aura. „Die sind doch was für dich, zum Headbangen!“, säuselte Peanut in mein Ohr. Das stimmte - wäre nicht der in sechs Wochen steigende Boston-Marathon gewesen, der alle Gefahr für den Leib verbot. Dazu waren wir als „Edger“ gekommen. Aus Ordnung durfte kein Chaos werden! Trotz allem fand ich Discreation heute sehr packend. Nie zuvor war der Fünfer so taff, kraftvoll und wuchtig zugange. Discreation starteten mit Gewalt, und endeten mit Gefühl: Das alte Meeresungeheuer „Leviathan“ besiegelte diesen starken Sturmzug.
Zwei Walküren und drei Wikinger mit den Kampfnamen Skumring, Leprae, Valdr, Tenebres und Phobos alias MALSAIN waren für ihre norwegischen Schwarzmetallgenossen PANTHEON in die Bresche gesprungen. Direkt nach dem lokalen Vortrupp und vor der Berühmtheit in Stellung gehend, hatte die Gruppe aus Bergen mit einem Abzug der Meute zu kämpfen. Nur eine halbe Hundertschaft wollte Malsain sehen. Tja, Pech gehabt. All die Ignoranten haben nämlich was verpaßt! Wenngleich nicht in alles vernichtender Faszination, so fuhren Malsain zumindest einen Mix aus Black Doom und Dark Metal mystisch wie Polarlichter auf. Schwere Gitarren kreuzten sich mit dem tiefen Grunzen der strohblonden Skumring (ein Gruß aus dem Jenseits von der vom Gehörnten besessenen Regan), dazu gesellte sich die unheilvolle Orgel von der wild den Kopf werfenden Hexe Leprae. Ferner stelle man sich zwei mähneschleudernde Jünglinge, sowie den geistesführenden Tenebres vor, welcher mit kahlem Schädel und schwarzer Kluft an einen Satanisten erinnerte. Alles zusammen verschwand in einem milchigen Dunst, der sich fortan zäh durchs Nachtleben schob. Der Keller war erfüllt von einer kühlen, klaustrophobischen Ästhetik, die einen Hauch Endzeit verströmte. Vierzig Minuten währte das Inferno Malsain insgesamt. Das von Burzum gemauste, hypnotische „Old Asylum“ markierte das Ende.
Sprung ins Norwegen des ausgehenden 20. Jahrhunderts. Drei Herren mit den Decknamen Euronymous, Necrobutcher und Manheim gründen um 1984 herum eine Black Metal-Horde namens MAYHEM. Der erste Vokalist Messiah wird rasch durch einen gewissen Maniac ersetzt. Wegen der sich abzeichnenden Radikalisierung verließen auch Trommler Mahnheim und Maniac schon bald die Gruppe und wurden durch Hellhammer und Dead ersetzt. Dead war in der Konsequenz noch endgültiger als die Mitstreiter, indem er sich 1991 die Adern öffnete und sich mit den Worten „Entschuldigt all das Blut, Cheers“ eine Ladung Schrot in den Kopf schoß. Die Munition hatte Count Grishnackh von Burzum geliefert, und Euronymous wiederum aß von Deads Hirn und versendete Teile des Schädels in Spiritusfläschchen an die Black-Metal-Szene. Darauf stieg Necrobutcher aus und wurde durch Count Grishnackh am Baß abgelöst. Den Posten des toten Sängers nahm der Ungar Attila Csihar ein. 1993 nahm das Unheil seinen Lauf: Im Streit um die Führung des Inner Circle erdolchte Grishnackh seinen Widersacher Euronymous mit 23 Stichen in Kopf, Hals und Körper. Mit den Gitarrenspuren von Euronymous entstand 1994 Mayhems Meisterwerk 'De Mysteriis Dom Sathanas'. Hellhammer war es schließlich, der Mayhem 1995 neues Leben einhauchte (das nicht frei von schweren Vorwürfen ist; von Forderungen nach einem ausländerfreien Norwegen und Hakenkreuzfahnen im Probebunker ist die Rede)...... Die Führer der Bewegung ließen viel Zeit verstreichen. Hohle Rufe wie „Jetzt ist Schluß mit lustig, Attila!“ bewirkten das Gegenteil: Vierzig Minuten spannten uns Mayhem auf die Folter. Schließlich und endlich zeigten sich Attila, Blasphemer, Necrobutcher und Hellhammer kurz nach elf auf dem Geviert - um sich gleich wieder zu verstecken. Dicker Nebel trieb von der Bühne und verdarb jede Sicht. Wer nicht von Anfang an im ersten Sturm war - der wurde raubtiergleich verteidigt! -, konnte Mayhem nur in den wenigen Momenten erblicken, in denen sich die Schwaden legten. Während seine langhaarigen Komplizen ohne Schmuck und Schminke und mit ihren Metalshirts wie gewöhnliche Fans wirkten, gab es in Gestalt des Hunnen die verkörperte Finsternis zu bestaunen. Attila trug eine zerfledderte schwarze Kutte, ein riesiges, umgedrehtes Kreuz, und sein Kopf war unter einer Kapuze und häßlichen Lepramaske verborgen. Chihas Gestik, die unermüdlichen Teufelsanbetungen, das manische Kreuzen der Arme, die spiritistisch abwärts gerichteten Daumen, dazu dieses gruselige Gurgeln, Röcheln, Fauchen und bedrohliche Flüstern, inszenierten einen totalen Krieg gegen die Rasse Homo sapiens und einen irrationalen Haß aufs Christentum schlechthin. Alles starrte vor Blut und Verwesung. Mit „Silvester Anfang“ und „Deathcrush“ war es pfeilschnell und roh losgegangen. Obwohl nur geisterhaft zu erahnen, was sich nun Zentimeter vor unseren Augen abspielte, waren es aber nicht zuletzt die ultrafinsteren Teile, wie das mit sieben Minuten geradezu doomige „Freezing Moon“, oder das heroische „My Death“, die einem immer neue Schauder über den Rücken trieben. Nicht minder der Allzerstörer „Anti“. Das von gruseligen Echos eingeleitete und in einem brutalen Massaker endende „Pure Fucking Armageddon“ war auserwählt, das Ritual mit raserischer Geschwindigkeit und satanischem Geröchel zu besiegeln. Es war unsagbar faszinierend, so nah an den Leuten zu sein, die nicht bloß Zeugen des Geschehenen im Norwegen der Achtzigerjahre, sondern die Rädelsführer des Ursprungs überhaupt waren. Beschämend einzig die Kürze des Auftritts: Nach fünfzig Minuten hatten Mayhem den Raum ohne Zugabe durch die Hintertür verlassen. Mein Winseln nach der Abspielliste wurde enttäuscht: Hellhammer ließ sie fein säuberlich zusammengefaltet in seinen Utensilien verschwinden. KEINE LIEBE. KEIN HASS. KEIN GLAUBE. KEINE ERINNERUNG.
 
 

Heiliger Vitus, 14. März 2008; Bilder: Geordie Blackcore [Attila] und Vitus
Blasphemer
Necrobutcher
Attila
.:: ABSPIELLISTEN ::.
 
DISCREATION
(20.40-21.20)
1. Intro
2. Liberation (Last one)
3. To Rust
4. Virgin Mother
5. Captured and Freed
6. Set the Memories Ablaze
7. Breeding Terror
8. Worth Fighting For
9. Symphony of Broken Bones
10. Leviathan
 
MALSAIN
(21.48-22.28)
1. Isolation
2. Cement Forest
3. The Disease
4. Chambers of the Sick
5. Cold Strofobia
6. Kvele Seg
7. Intruder
8. The Marsh II: Unexpected Visit
9. An Old Asylum
 
MAYHEM
(23.05-23.55)
1. Silvester Anfang
2. Deathcrush
3. Ancient Skin
4. Illuminate Eliminate
5. View From Nihil
6. Freezing Moon
7. Symbols of Bloodswords
8. A Time to Die
9. My Death
10. Anti
11. Pure Fucking Armageddon
R.I.P.:
Dead & Euronymous