SOLEÏLNOÏR
D-Dresden, Heavy Duty - 14. Mai 2004
Zwischen Garagenrock mit Dead Moon und Freudentaumel mit Dynamo, zwischen schwarzen Wolken und Sonnenstrahlen, inmitten von Liebe und Heimaturlaub, gab es an jenem Freitag im Mai ein freies Konzert der Intellektuellen Liebesgötter aus Frankfurt am Main - Alternative Metal von Soleïlnoïr im „Heavy Duty“. Arrangiert von mir! Halb neun schlugen Peanut und ich im Dresdner Metalhauptquartier ein. Soleïlnoïr erwarteten uns bereits. Doch schnell rissen Gräben zwischen uns auf. Nach vier Tagen auf Heimaterde war ich durch und durch Sachse - und vor mir nun die aus dem Westen. Irgendwie taten mir die Jungs leid. Nicht nur weil sie ihre Konten für die Reise in den Osten plündern mußten. Nein, alle wirkten seltsam aufgerieben. Besonders Trommler Jo, der völlig verpeilt am Tresen in der Fremde herumhing. Außer dem extrovertierten Maggot, der draußen im Viertel seine Mätzchen trieb, schien mir nur das Pärchen Evi und Jörg eins mit der Stadt an der Elbe zu sein. Soleïlnoïr betrieben in der Folge Frevel und verpflegten sich beim einzigen Italiener weit und breit. (Außer der wegen seiner Leibesfülle „Erdkugel“ genannte Gitarrist, der in der „Plane“ sächsisch essen war, und nun ein Käffchen trank.) Halb elf waren alle zurück und eine Setliste wurde zusammengekritzelt. Trotz Überangebot an Konzerten - in der „Scheune“ die US-Poprocker Now It´s Overhead, in der „Groove“ die Punker Free Little Pigs, im „Titty Twister“ die US-Elektrolurchen Philiae und in der „Church“ die Glamrocker Any Given Day aus UK, dazu The Stockholm Syndrome aus USA im „Starclub“ - hatten sich achtzig Leute im „HD“ versammelt (darunter „Suck & Swallow“ Ulf).
Punkt 22 Uhr 58 traten SOLEÏLNOÏR ihre Reise zur sagenumrankten Innererde an. Nach einem Einstieg von CD und den Freigeistrockern „Intruder“ und „Twentythree“ zeichnete sich sofort eines ab: Soleïlnoïr im Heavy Duty - das war keine ideale Verbindung. Erde hatte mir schon vorher gesagt, daß es Probleme mit der Beschallung gab. Dazu kam die Bühne, die keine war, sondern ein Eck, in dem sonst der Kicker steht. Soleïlnoïr brauchen aber ein Podium, eine erhöhte, dunkel illuminierte Kanzel, Nebel und drückende Lautsprecher. Nur so kann sich die Mystik entfalten. Das etwas bissigere „Resistance“ und die aus leiser Verzweiflung und übersprudelnder Energie gemachten Neometaller „Remote Control“ und „Borderline“, die Neunummer „Eyes“ und auch der „Nucleus“ vermochten nichts zu ändern. Da wollte kaum etwas funken. Nur zwei gingen körperlich an die Grenze: Dreadlockshouter Maggot und der tanzende Vitus. Und - jaaaa! - beim so emotionsgeladenen „Interlude“ kam doch noch Leben in die Bude. Wäre ja noch schöner, kalte Sachsen! Verstörende Dissonanzen ebneten den Weg für den Wirbelsprenger „Nurutrus“ und das treibende „Life on a Thread“ ... bevor jener Monolith aus verzerrtem Donner, bebender Erde, verzweifelten Schreien und Todessehnsucht kam: der Ritt über die Achterbahn der Gefühle, der die Welt vergessen machende Gigant, der Noiseklumpen mit Anspruch auf eine Stunde und mehr - „Dust“. Für zehn Minuten (vielleicht auch mehr) verging ich in tiefster Faszination. Soleïlnoïr hätten „Dust“ bis zum Sanktnimmerleinstag auswalzen können. Am Ende stand ein verzerrt rauschender Ausklang. Maggot dankte Vitus, und kurz vor Mitternacht war der letzte Ton verstummt.
.:: ABSPIELLISTE SOLEÏLNOÏR ::.
(22.58-23.10)
 
Intro CD 1
1. Intruder
2. Twentythree?
3. Resistance
Intro CD 2
4. Remote Control
5. Borderline
6. Nucleus
7. Interlude
Intro CD 3
8. Nurutrus
9. New Song
10. Dust
Outro CD 4
Die Sonnen wurden von Dresden nicht mit Rosen überschüttet. Schuldgefühle trieben mich zur Bar... wo der mit seiner Kirsche Jeannette aus dem Brandenburger Land stammende Doomgenosse Holger von Low Man's Tune aufkreuzte - und ebenso schnell wieder verschwand. Ich spülte den Ärger mit Schwarzbier runter. Erde gesellte sich dazu und entpuppte sich als heftigster Schwarzbiervernichter der Welt. Wir tankten auch noch Odin-Trunk und bald leuchtete die Welt in ewiger Schönheit. Das Duty wurde von mir mit einer eigens mitgebrachten Esoteric-CD gequält. Jemand erkannte Esoteric sofort. Doch „der Lange“ machte dem Doom um „Bereft“ nach wenigen Minuten den Garaus. Unterdessen suchte Promoterin Evi leicht genervt ihre Musiker. Maggot wurde auf der Straße von zwei Groupies bezirzt. Weil ich ihm eindrnglich die Hand drückte, mutmaßte eins der Frolleins: „Man könnte meinen, du bist in ihn verliebt“. (Maggot heißt auf Deutsch übrigens Made!) Peanut wiederum klärte Maggot auf, „die Kugel sei auf dem gleichen Level wie Vitus.“ Soleïlnoïr wollten an diesem Tag noch in Chemnitz auftreten...
 
Nachdem wir die letzte Straßenbahn um 2 Uhr 22 verpaßt hatten, fielen P. und ich erst in den Morgenstunden in die Horizontale. Am Nachmittag bejubelten wir im strömenden Regen im Rudolf-Harbig-Stadion den Kantersieg von DYNAMO über die Reserve des 1. FC Köln. Das war der Aufstieg!
 
 
Heiliger Vitus, 3. Juni 2004