STAGE BOTTLES, BRIGADA FLORES MAGON, HEROS & ZEROS
D-Frankfurt am Main, AU - 7. März 2003
Ui! Nach einem langen Winter sendete die „AU“ ein erstes Signal. Die AU... Das seit 1983 besetzte Haus in unserer Rödelheimer Nachbarschaft! Mit einem Keller in dem der Duft von Fäulnis und echter Punk regieren. Und manchmal auch der Oi!, die „Strength through joy“, jener Kampfruf der antirassistischen Skins. Man mag es ein wenig härter. Klischeeveranstaltungen finden in der AU nicht statt. Total Chaos erlebten wir dort 1995. Dieses Konzi zählt noch immer zu meinen dreißig Besten aller Zeiten. Aber nach den Festspielen des Doom Shall Rise vor einem Monat, war die Welt eine andere. Alles Nachfolgende war nichtig geworden. Doch der Draht zum Untergrund darf nicht reißen... Heute lockten drei Oi!-Gruppen der Plattenfirma Mad Butcher. 21 Uhr sollte es losgehen. Pünktlich (!!), wie der Untergrund-Navigator von „Copy Riot“ ausdrücklich vermeldete. Um zehn war ich mit meinem Mädel in der Au angelangt. Für sechs Oiro kamen wir rein. Von mir ausgelegte Handzettel zum neuen Voodooshock -Silberling wurden dankend aufgenommen.
Eine knappe Hundertschaft bevölkerte den Keller, als HEROS & ZEROS um 22.10 Uhr die Bootparty eröffneten (vor Monatsfrist ließen zu jener Stunde Maltas Forsaken die Zeit still stehen, *schnief*); weitere fünfzig stießen im Verlauf dazu: Keine Blood-&-Honour-Skins, keine Hammerskins - Redskins, Sharpskins, Punkrocker, Hooligans, und paar Langhaarige. Der Alkohol hat schon immer vereint, es muß ja nicht gleich Froindschaft sein. In einem Nebenraum standen Tische mit Platten, Shirts, Ansteckplaketten und Aufnähern mit Schriftzügen wie „Skinhead Girl“ und „Skinhead Boy“. Alles war so anders als der Doom vor vier Wochen in Crailsheim. Dazu schmetterten vier Jungen und ein Mädel aus Amsterdam schnellen Oi! im Stile der Cockney Rejects in den Mob: das genaue Gegenteil zum ekstatischen Doom. Wir gestatteten uns in der Bar ein Licher Nullfünf zu eins fuffzich. Außer vielen „Oi!“s habe ich wenig mitgekriegt vom Spähtrupp und seinem anarchistischen 'Wake-Up Call'. Weiß nur, daß Olaf von den Stage Bottles bei vier Nummern Trompete blies und damit für gehörig Ska sorgte. Mitgereiste holländische Haschrebellen zeugten dichte Cannabisschwaden und ihre Heldenhaften Nullen waren nach fünfzig Minuten durch. Ich verduftete mit Fräulein P. zum Luftschnappen in die sternenklare Nacht.
Um 23 Uhr - zur Zeit als vor Monatsfrist Mirror of Deception die Zeit still stehen ließen, *schnief* - rauschten die nächsten harten Gitarren durch die AU. Die ursprünglich als Sprengkommando angekündigte BRIGADA FLORES MAGON hatte die Barrikaden gestürmt. Auch die nach dem Vater der Revolution in Mexiko benannten Droogs aus Frankreich hatten als Quintett Stellung bezogen - um Oi! zu spielen. Nur ungleich rauher, ruppiger und radikaler als die Kapelle zuvor. Mit geschorenen Schädeln, nackten Leibern, Tattoos zuhauf, aufgekrempelten Hosen, Stahlkappenstiefeln und brutalen Schlägen auf die Saiten... Man konnte die Kakerlaken geradezu knacken hören. Dazu der urpolitische Hintergrund: Die Franzosen waren Kampfschweine der Arbeiterklasse, Mitglieder der Gewerkschaft CNT, der Redskins RASH und die Stadtguerilla von Paris. Echter ließen sich die roten Ideale nicht leben. Radikal wie Optik und Gesinnung, auch die vertonten Botschaften „Fight Rascism!“ und „Never Give up!“. BFM beschworen Unity, Aufstand und Gewalt, und von Bullen hielten sie sowieso nichts. Zweifelsfreier als mit The 4-Skins´ „A.C.A.B.“ ließ es sich nicht rausbellen. „Oi! Oi! Oi!“ und „Fuck you!“ dominierten hier den Wortschatz. Speziell der sich voll verausgebende Vokalist Mateo hatte sich als tobender und kämpfender Pitbull tief in meinem Gedächtnis festgebissen. Wer weiß, wie oft Oi! in der Form noch zu erleben ist... An der Korova Milchbar lernte ich den mit einem gigantischen Backenbart bestückten „NoDeoMan“ Alex kennen. Wir plapperten über die brachliegende Klublandschaft in Frankfurt. Und auf dem Klo waren alle Tabus gebrochen: Froilleins kamen mir entgegen - und hinterließen blutige Spuren. Punk´s not dead!
Um 0.30 Uhr läuteten Frankfurts Ska Punker STAGE BOTTLES die dritte Halbzeit ein (vor Monatsfrist ließen in Crailsheim die Schweden Semlah die Zeit still stehen, *schnief*). Die Ska-Skins Olaf, Marcel, Alex, Genschi und Frank stehen auf der antirassistischen Seite der Szene: sie sind SHARP-Skins. Ein Lied haben sie dann auch einem gewissen Ian Stuart gewidmet, der bis zu seinem Unfalltod im Jahre 1993 Kopf der Rechtsrocker Skrewdriver war. „Dead but Not Forgiven“, hieß es. Ach ja, „Bühnenflaschen“... Komischer Name? Aber die Bottles machten alles, nur keinen Saufpunk. Treibende Kraft war ganz klar der kahlrasierte Sänger und Saxophonist Olaf, der schon den Holländern zu mehr Schwung und Schmiss verholfen hatte. Nun forcierten seine knalligen Sax-Attacken auch den Shufflesound der Bottles. Und jener war weit weniger roidig als alles davor. Jazzig bis reggaesk war´s fast schon, was die Hessen von der Kette ließen. Punker sprangen von der Bühne in die Meute und surften über pogende Schädel quer durch den Keller bis zur Bar. Von oben tropfte etwas auf meinen Kopf. Schwitzwasser? Spucke? Zünftig unterlegt von rüde rausgerotzten Oden an die „Eintracht“. Wer weiß das schon...? Ja, und natürlich gab´s auch wieder reichlich „All You Need is Hate!“, „We´ve Got to Fight“ und „Oi! Oi! Oi!“s. Auch „You´ll Never Walk Alone“ durfte nicht fehlen. Ebensowenig zerbrochene Flaschen, Pogo und Chaos. Tiefere Erinnerungen liegen im Nebel des Vergessens. Um 2.20 Uhr war Schicht im Schacht.
 
Zurück in der Bude habe ich meine Welt mit einem letzten Bier und einer Stunde Doom geradegerückt. Ich bin mit Reverend Bizarre vier Uhr nachts ins Bett gegangen, und mit einem dicken Kater aufgewacht.
 
 
Heiliger Vitus, 8. März 2003