THE SUBSONICS, BOY FROM BRAZIL
D-Dresden, Groovestation - 11. Mai 2002
Schiefgehen konnte an diesem Sonnabend im Mai 2002 nichts mehr. Nachdem Dresdens Startätowierer Volker „Sweet Needles“ Witschas Peanut und mir ein gemeinsames Saint-Vitus-´V` unter die Haut gefräst hatte, ich mit meiner Kirsche im ältesten Szenelokal der Neustadt, der „Planwirtschaft“, feudal bewirtet wurde, und es im Metal-Schuppen „Heavy Duty“ Wiedersehensfreude mit der Crew gab, trieb ich schon am Firmament - - als es am Abend in eine Verlängerung ging... Im Gründerzeitviertel Äußere Neustadt reiht sich ein Laden an den anderen. Jeder ein Kleinod für sich, ein Tresen schöner als der andere. Die schwer angesagte „Groovestation“ im Kulturhof der „Katharine“ wollten wir schon lange mal besuchen. Heute ließ sich das mit einem kleinen Indierock-Konzert prima verbinden.
Im Thriller „The Boys from Brazil“ soll der abgetauchte Mengele Hitler genetisch kopiert und vierundneunzig mit Führer-Genen ausgestattete „Boys from Brazil“ über die Welt verteilt haben. In den Adern des Berliner BOY FROM BRAZIL floß indes kein deutsches, sondern Palästinenser-Blut! Der Diplomatensohn Brezel „Razi“ Göring kam mit einem Attentat aus manisch-depressivem Elektro-Pop. Hauptamtlich beim Elektroduo Stereo Total angestellt, kreiert Göring mit Mademoiselle Françoise Cactus eigentlich poppig-melancholisches Easy-Listening. Seine heutige Begleitung war nun aber keine Dame aus Fleisch und Blut, sondern ein Tonbandgerät. Razi fabrizierte intellektuelles Ambiente wie einst die Wave-Legende Suicide. Eine Synthese aus Pornos, Neurosen, Terror und expliziter Performanz. Lüstern gefauchte Vokale spielten eine Rolle. Dazu kam eine hintersinnige Mimik - und nicht zuletzt eine weiße Taillenhose, die während seiner Tanzeinlagen auf Penishöhe herunterglitt. Manche warteten mit voyeuristischem Blick auf den finalen Rutsch... doch nach dreißig Minuten entließ der androgyne Lüstling aus Spree-Athen alle in tiefe Konfusion und begann einen Plausch mit einem Sonderling aus dem Publikum. Ein superschräges Ende einer superschrägen Sex-Schau.
THE SUBSONICS - zwei Boys aus Atlanta, Georgia mit einer kubanischen Trommlerin - wollten auch eine knisternde Nacht kredenzen. Etwas Prickelndes für die Sinne, einen heißen Sommerdrink aus bonbonfarbenem Glamour, unterschallendem Punk und romantischem Schluckauf-Rockabilly im Dunst von Velvet Underground und den Cramps. Und das vor dem puffrig-seidenen Wandbehang, der an eine Stripshow erinnerte... Die Supernummer wurde es indes nicht. Obwohl nur zu dritt, wollte bei den Garagenrockern aus Übersee überhaupt nichts zusammenpassen. Besonders die rassige Buffi Aguero konnte ihre weichen Knie vor den fünfzig Leutchen kaum verbergen. Mit ein bißchen Rum aus ihrer karibischen Heimat hätte die Lady ihr Nervenkostüm sicher stabilisieren können. Und Alphatiger Rockin´ Clay Reed machte mir ganz einfach zu sehr einen auf seinen Namensvetter Lou Reed. Wie auch immer: Ich fand keinen Draht zu den Amis und deren fünften Erguß 'A Lot To Forget'. Die Subsonics waren schrullig, schundig, schnell vorbei und schnell vergessen.
 
Ich lernte den charmanten Frontmann der Dresdner Doomcoreler Gorilla Monsoon, „Hellrock“ Seb, kennen. Der arbeitete in der „Groove“ hinter der Bar. Die Groove wiederum war ein abgefahrener Schuppen mit kleiner Bühne, schmucker Bar, Billardraum, Internetcafé und Waschsalon in einem... Halb zwei führte uns der Weg zur Straßenbahn durch die Äußere Neustadt, einer Ecke Dresdens so schief wie die Groove und die beiden Bands selbst. Nachteulen hockten trinkend oder an gigantischen Wasserpfeifen saugend, klönend und grinsend auf dem Trottoir... Flaschen kollerten übers Kopfsteinpflaster... ein Schauspiel wie in mediterraner Kulisse. Und das wiederholt sich Nacht um Nacht. Bis der Hahn Kikeriki macht!
 
 

Heiliger Vitus, im Mai 2002