TOWERS OF MADNESS II
 
TOTENMOND, GOLDEN GORILLA, CLUSTER BOMB UNIT, GALLONS OF MUD, CHOCOLATE HABANERO
D-Stuttgart, Jugendhaus West - 17. Mai 2014
Nach der starken ersten Staffel kam´s elf Monate später zur Fortführung des TOWERS OF MADNESS. Statt sieben Gruppen traten diesmal fünf auf, dazu erhöhte sich der Preis minimal auf 22 Euro. Aber - hallo - Stuttgart bot die seltene Gelegenheit, die ruhmreichen Totenmond hauteng in einem Klub zu erleben! Von den stilvollen Eintrittskarten wurden 65 über Vorbestellung nachhause geliefert - doppelt so viele wie im Vorjahr. Zusammen mit Crew und Gruppen fanden sich geschätzt 120 Besucher im Jugendhaus in Vogelsang ein. Das Pokalfinale Dortmund gegen München verhinderte mehr. Die Organisatoren liebäugelten zwar mit einigen Fremdgehern - in der angrenzenden Sporthalle West stieg zur gleichen Zeit das „All Female Full Contact Roller Derby“ zwischen Stuttgart Valley Rollergirls und Dublin Roller Derby - doch die Musikfans blieben unter sich. Leider brachte die Zusammenstellung der Gruppen auch einen Aufeinanderprall unvereinbarer bis feindlich gesinnter Welten mit sich. Neben Totenmond-Anhängern mit schwarzer Kleidung, Patronengurten und Kampfstiefeln, diversen Metalheads und einer Handvoll Doomern (Fopp, B.SON, Cosmic Lava), waren Gestalten mit verbohrtem Weltbild und geschultem Auge und Ohr vor Ort, womöglich auch Versprengte der nahen Demo.
Mit der hippiesken Ansage „Hallo, wir kommen aus Holland und wollen etwas spielen hier“ wurde nachmittags um kurz nach fünf das „Madness Vol. 2“ eingeläutet. Das Quintett aus Leiden um den ehemaligen Toner-Low-Sänger Deef Den Haartog hatte sich nach vielen Veränderungen und der Neuausrichtung auf chilischarfen Spice Rock erst vier Tage vorm Fest von TONER HIGH CINDERELLA in CHOCOLATE HABANERO umbenannt. „Opruimen! Drinken en Roken!!!!“ (Aufräumen! Trinken und Rocken!!!!) lautete die Devise für heute. Was zur frühen Stunde noch niemand ahnte: Das vermeintlich lästige Vorspiel war schon (beinahe) der Höhepunkt! Chocolate Habanero lieferten eine prickelnde Melange aus Psych, Rock, einigen Spritzern Doom, und dem Riff von Motörheads „Ace of Spades“. Heavy Gitarren, eine kräftige, echoverzerrte Bluesstimme, sowie Trommeln und skurrile Orgeln verschmolzen zu einer äußerst unterhaltsamen Atmosphäre. Passend zu jedem Lied war die Wand mit einem Psychopuzzle bebildert. Neben Sternen und drogenschweren Verwirbelungen sah man auch Feuer, tickende Uhren und ein Fang-das-Weib-Spiel in Stummfilm-Ästhetik. Herausstecher war jedoch der von einem brutalen Kampf des Muskelprotzes Conan unterlegte Titel „Wo_Man“.
Die drei von GALLONS OF MUD hatten sich wieder mal mit bescheidenen Mitteln von der Doom-Ödnis Köln nach Süddeutschland durchgeboxt, und je öfter man die Gruppe erlebt, umso vertrauter sind einem Teile wie „Bullhead“, „Wingman“ und „Dirt Priest“. Doch hier liegt die Krux und die Gefahr der Abnutzung. Der stark von Goatsnake beeinflußte, zartbittere Stoner Doom ist nicht neu, nicht weltbewegend, und bleibt schon beim ersten Mal im Kopf hängen. Dabei wechseln sich zauberhafte Passagen mit etwas weicheren ab. Trotz grundehrlicher und charmanter bis origineller Figuren (allen voran der einem verschrobenen Schrat ähnelnde Trommler Pippo), und trotz unverdrossen großem Enthusiasmus vor nur dreißig Leuten, fehlte es den Jungen heute etwas an Strahlkraft und Dunkelheit. Die einzige mit alten Doomwerten beseelte Gruppe des Abends raffte ihre Zeit von 60 auf 40 Minuten. Gefühle blieben im Juha West weitgehend auf der Strecke, das Ende kam abrupt und unspektakulär. Wie in einem Gedenken an anno dunnemals trugen Gitarrist Kay und ich das gleiche Hemd: eins von Cathedrals 'Soul Sacrifice'.
„Okay, wir sind CLUSTER BOMB UNIT und wir wollen auch nicht lange stören.“ Kurz nach acht kam´s zu einem radikalen Wandel. Für den Punk waren ruckzuck siebzig Leute zur Stelle. Da sah man, was für ein Publikum das war! (Wobei die 1989 gegründete Combo aus Stuttgart durch ihre 2007 verfilmte Indonesien-Tour „Punk im Dschungel“ auch einen gewissen Bekanntheitsgrad genoß. Einzig den Tontechniker ließ das kalt, jener verfolgte auf einem kleinen Bildschirm den Kick in Berlin.) Eine knappe halbe Stunde herrschte nun ein kontrolliertes Chaos aus Geballer, Gekloppe und Geschrei. Eine Dame garstete wie am Spieß gegen die Mächtigen, gegen Nazis und die Welt überhaupt (auf Deutsch!), dazu häckselten drei Gitarren und das Schlagzeug im Hintergrund. Nachdem sich erst der Baß verabschiedete (und man mit defektem Gerät weiterspielte), und nachdem an der Leitgitarre auch noch die Schnur abriß (und man kurzzeitig zu dritt weiter improvisierte), war die Streubomben-Abteilung nach 28 Minuten im eigenen Kugelhagel verreckt.
„High, wir sind GOLDEN GORILLA und das ist unser erstes Konzert seit vier Jahren!“ So hörte sich die Vorstellung durch Frontmann Kong an. Den Peng zur ultimativen Sludge-Sause setzten die geschleuderten Fäuste „Hurling Fists at Nothing“. Bei dicker Luft und einer stetig anwachsenden Menge, droschen Stompor, Ortlepp, Hinkel sowie die Schüler-Brüder ihren von derb röhrenden Trossen und deftiger, metaphorischer Kotze geprägten Sludge ins Juha. Doch gleich mit „Paranoia Run“ und „Teeth in the Pocket“ war auch die Seele etwas abhandengekommen. Trotz aller Vehemenz wirkten die Hessen etwas eindimensional hardcorig. Der Doom hatte nicht das Kommando. Andererseits zelebrierten sie mit „Black Sun, White Logic“ den einzigen Doomer von starkem Tobak. Leider unterband beim heimlichen Schlaglicht des Abends die Enge des Raums (rund achtzig Personen auf zehn mal zwölf Metern) jedes Tänzchen. Obwohl Golden Gorilla nicht an ihre früheren Auftritte heran reichten, haben Peanut und ich innerhalb von 48 Stunden gleich zweimal Blut mit Darmstadt geschwitzt. Heute mit Golden Gorilla. Und am Montag mit den wahnsinnigen Lilien. Als D98 in Bielefeld antrat, war die Stunde der Rache für Dynamo Dresden da!
TOTENMOND waren was Besonderes für mich. Die Möglichkeit, frühere Helden zu berühren, kommt nicht alle Tage. Ich hatte sämtliche CD-Hefte und Stifte mitgebracht. Pazzer, der sich in einen ausgezehrten und geradezu anrührend stillen Eremiten verwandelt hatte, fand ich zuerst. Später gab sich der hünenhafte Senf als Wächter des Händlerstands äußerst offenherzig. Nur der Trommler blieb verschwunden. Ein alter Freund aus Backnanger Zeiten stellte mich S.P. Senz vor. Ein paar Worte und silberne Kleckse auf Papier retteten den Abend. - Punkt 22.20 Uhr war die Bühne vernebelt, Pazzer hatte dreimal fest auf die Bretter gestampft, das Kommando aus nördlich vor Stuttgart stand bereit. Der langsam beginnende und zu einer raserischen Bedrohung anschwillende „Panzerdampf“ schob sich durch den Raum, gefolgt vom Mörser „Honigtraum“. Der Klang war schlecht und über die Richterskala hinaus. Stimme und Gitarren drohten unter den Trommeln, in grell flackernden Lichtblitzen und einem grobkörnig-spröden Klirren unterzugehen. Zugleich wirkten Totenmond lange nicht so radikal und misanthropisch, fast zerbrechlich bis vergänglich. Es dauerte sechs Titel bis zur Korrektur. Zum ersten Donnerschlag stieg die „Sagenwelt“ auf. Da war sie nun, die tiefe Faszination, die Totenmond aus ihrem kargen Minimalismus ziehen. Wiederkehrendes Dröhnen vereinte sich mit panzerartigem Rumpeln und scheinbar sinnlos aneinandergereihten Worten zwischen Mordlust, Haß und Verachtung zu einer alles brechenden Macht. Jedes Stück glich auch immer einem Wagnis, genauso wie die vier offerierten Textilien, allen voran die kugelblonde Antifaschistische Neue Satanische Kunst. Im Raum lagen jetzt nicht nur Hitze und Krach, sondern auch eine greifbare Spannung innerhalb des Publikums. Subtile Gestalten zersetzten die Freude, jemandem wurde die Birne blutig geschlagen. Als weise Entscheidung und Tradition schickten Totenmond etliche Crust-Punk-Nummern über den Sender, darunter „Marschieren“ aus eigenen, alten Wermut-Tagen, sowie drei Fremdübernahmen samt der verlangten „Polizei“. Mit „Fort von Gott“ gab´s zudem ein Brandneues in mittlerer Geschwindigkeit. Unerreicht blieben indes die Altigkeiten mit Hang zum Schwarzen: „Heroin“, „Der Misanthrop“, „Kellerstahl“, „Die Schlacht“. Ein schlichtes „Danke schön, tschüss“ beschloß den Auftritt.
 
P. und ich gingen mit einem großen Fragezeichen. Wie letztes Jahr ließen wir das „Madness“ in der Schänke „Ackermanns“ ausklingen. Nach vielen über den ganzen Abend verteilten Zwiesprachen und ausgesprochenen Wahrheiten von und mit Jochen Fopp, sinnierten wir dort mithilfe einiger Hacker-Biere noch lange zu zweit über die Gruppen, die Gäste und den Ort. Seinem Namen hatte das Fest alle Ehre gemacht. Es war wahnsinnig bis irrsinnig. Die Kluft zwischen den „Szenen“ hatte sich nicht nur auf der Bühne gezeigt. Während die einen auf ihren Weltentwurf pochten, suchten andere vergeblich nach dem Doomgefühl, wie es früher einmal war. Towers of Madness etablierte sich 2014 als Kreuzung aus Doom, Psych, Metal und allen möglichen Ausformungen des Core. Um 2.30 Uhr ertönte als Wiegenlied im Ackermanns eine neue Version von „Gute Nacht, Freunde, es wird Zeit für mich zu geh´n.“
 
 
((((((Heiliger Vitus)))))), 21. Mai 2014
.:: ABSPIELLISTEN ::.
 
CHOCOLATE HABANERO
(17.10-18.00)
1. Helms Deeper
2. Been There
3. People Are Crazy
4. Empty
5. Spiderwoman
6. Kamikaze
7. Miss Communication
8. Heads Up
9. Helms Deep
10. Killing Time
11. I Feel Allright
12. Wo_Man
13. Lender Blender
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14. Train
15. Wanna
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16. Adam
 
GALLONS OF MUD
(18.35-19.15)
1. Bullhead
2. Wingman
3. Dirt Priest
4. Aims & Arrows
5. 21 Grammes
6. Gateway
7. Howl
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8. Failure
 
CLUSTER BOMB UNIT
(20.07-20.35/Titel geplant, aber wegen Abbruch evtl. nicht ganz richtig)
1. Überdosis
2. Bonze
3. Genug ist genug
4. Krawattencharly
5. Schandmaul
6. Abgrund
7. Heute wie morgen
8. Wut
9. Hyäne
10. Opfer
11. Hasskrieg
12. Lügenpack
13. Wirrkopf
14. VKP
15. Soldaten
16. Krank
17. Zukunftsvisionen
18. Ratten vom Müll
19. Mit dem Spaten
20. State Control
21. Relief
22. Wir fahren gegen Nazis
23. Verbaute Zukunft
24. Nervous Cops
 
GOLDEN GORILLA
(21.05-21.48)
1. Hurling Fists at Nothing
2. Paranoia Run
3. Teeth in the Pocket
4. Slaughterhouses of Tomorrow
5. Trajectories
6. Black Sun, White Logic
7. A Stab in the Dark
8. Met Me
9. My Name is Trouble
 
TOTENMOND
(22.20-23.38)
1. Panzerdampf
2. Honigtraum
3. Das saure Kraut
4. Menschenfresser
5. Achtung Panzer!
6. Alles ist Grau [Chaos-Z]
7. Sagenwelt
8. Arbeiterreserve
9. Sonnenstrahl
10. Heroin
11. Schwarz als Zweck
12. Der Misanthrop [Narsaak]
13. Fort von Gott
14. Kellerstahl
15. Die Schlacht
16. Marschieren [Wermut]
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17. Macht kaputt was euch kaputt macht [Ton Steine Scherben]
18. Polizei SA SS [Slime]
19. Die Macht des Feuers [Der Fluch]