TYSKE LUDDER, BETAMORPHOSE
D-Frankfurt am Main, Das Bett - 4. Februar 2012
Wir gehen bald nur noch ins Bett. Obwohl der Klub in Frankfurts Westen höchst selten die eigene Lieblingsmusik bringt: man ist duldsam, die Preise sind volksnah, der Gast kann sich frei bewegen. Heute ganz besonders. Der eisige Hauch von Sibirienhoch „Cooper“ hatte große Lücken gerissen. So stellte sich der magere Rahmen von achtzig Leuten auf. Jene kamen ausschließlich aus der Schwarzen Szene und waren folglich in Schwarz und Militär gekluftet. Große Männer, schwere Männer, elegante Frauen. Neben rasierten Köpfen, aufgekrempelten Hosen und Boots trug man auch gewagte Kleidungsteile. Ein Hemd der umstrittenen EBMler Feindflug war ebenso vertreten wie eins des Oi!-Trupps Pöbel & Gesocks. Den Vogel schossen indes die Mitglieder von „old school ebm Rhein-Main“ ab, deren Kutten von Frakturschrift und Reichsadlern im Lorbeerkranz geschmückt waren. Hier hatte das externe Türpersonal das rechte Auge kräftig zugedrückt. Hätten das die Roten gewußt, hätte das Bett in Flammen gestanden!
BETAMORPHOSE verschoben den Start um eine halbe Stunde. Das Frankfurter Harsh-Electro-Projekt um die Beutegermanen und Gruppengründer Franco und Mario sowie Frontmann Patrick bündelte die Einflüsse seiner verflossenen Projekte - von Elektropop, EBM und Industrial war die Rede - zu einem kruden Tanzkick aus treibenden Bässen, Todesgeröchel und bombischer Aktion (mit etwas wenig Verve), den sie „Hellectro“ nennen. Betamorphose kamen als kajalgetarnte - anfangs auch maskierte - Muskelprotze in schwarzen Unterhemden, aus denen muskelbepackte und von Jugendsünden gezierte Arme ragten. Links und rechts ein elektronisches Tastenpult, auf einer großen Leinwand bizarre Filmchen, am Bühnenrand ein leuchtendes Passionskreuz mit aufgespießter Gummipuppe, daß als Mikroständer herhielt, dazwischen viel Qualm und Hingabe in Fleisch und Blut: so war das mit der Betamorphose. „In the Name of God“ muß sicher als Herausstecher genannt werden, und als Ausklang gab´s eine kurze, aber anrührende Instrumentenspur, die von einem Schattenspiel einer Tänzerin untermalt war. Insgesamt währte die Betamorphose 39 Minuten. „Viel Spaß mit den Ludders“, der Wunsch für den weiteren Abend...
Die deutsche EBM- und Industrial-Legende TYSKE LUDDER hatte die Bühne in einen wahren Hightech-Gefechtsstand verwandelt. Während über den von Davidsternen flankierten Hintergrund Panzer, Jagdflieger und apokalyptische Endzeitbilder flackerten, war neben den Instrumenten (Mikrofone, Elektroorgeln- und Schlagzeuge, teils unter Tarnnetzen) am Bühnenrand zusätzlich auch noch ein Flachbildschirm zur visuellen Unterstützung aufgebaut. Man marschierte rank und schlank auf, trug Kampfschnitt, Schutzwesten aus denen Funkgeräte ragten, Militärhosen und Springerstiefel. Alles in Schwarz, versteht sich. Peanut äußerte: „Ich komme mir vor wie beim Militär.“ Das ganze Szenario wurde meist vernebelt. Scheinwerfer schnitten durch die Halle. Mal schwenkte jemand die Fahne Israels (bei „Tempelberg“), mal eine der USA. Dazwischen wütete eine Schlacht aus martialischen, mit vollem Kattun vorgetragenen Elektroklängen, die von gepreßt heiserer Propaganda in Machart der Neuen Deutschen Härte gespickt waren. Kurz nach elf hatten Albers, Reimers und Homann ihren Feldzug gegen die Welt begonnen. Gleich der Einstieg mit dem Glaubenskrieger „Khaled Aker“ steckte nur so voller Sprengstoff. Nicht minder brisant und rigoros krachten die Appelle „Wacht auf, die Augen auf, den Kopf an die Wand“ (in „Eugenix“) und „Steht auf und bildet eine Reihe“ (in „Manipulation) aus den Lautsprechern. Mitten ins geballte Bomben, einer Ode an die Heimat Friesland, und einem „Okay, ihr Penner“ für Frankfurt, hatte sich mit „Bastard“ auch eine obszöne Nummer über Sex geschmuggelt. Sein heißestes Feuer ließ das „Deutsche Luder“ (Tyske Ludder ist Norwegisch) aber erst in der Verlängerung von der Kette. Wer die erste Zugabe „aus einer Zeit ganz weit zurück, von ganz weit unten“ geschafft und bis 21 Minuten nach Mitternacht durchgehalten hatte, wurde mit einer alles niederwalzenden Reise im „Panzer“ belohnt. Ausgangspunkt: Moskau. Endziel: die Welt. Ehrung: durch „Muchas gracias“. Mit ihrer panzergleich in Kopf, Bauch und Beine fahrenden Musik, hatten Tyske Ludder mich einerseits stark an DAF erinnert... „Tanz den Mussolini“... Andererseits ging Frontmann Albers glatt als Alter Ego von Till Lindemann durch. Und nicht zuletzt glich die provozierende Ästhetik sehr der von Rammstein (wobei das Kommando von der Nordsee bereits fünf Jahre länger - seit 1989 - existiert, und nie dem Mammon verfiel).
 
Im Abspann sendete DJ EVANGEL weiteres Elektro, EBM und Industrial aus. Womöglich steckte die umtriebige Blitznutte vom Mischpult dahinter. Nach einem letzten hellen Bier und einem Besuch am Kramtisch mit Erwerb einer Ludder-CD sind wir um 0 Uhr 40 in ein eisiges Schwarz abgetreten. In der Nacht auf Sonntag maß man in Frankfurt Temperaturen von 15 Grad unter Null.
 
 

Heiliger Vitus, 6. Februar 2012
.:: ABSPIELLISTEN ::.
 
BETAMORPHOSE
(22.02-22.41)
Intro
1. Reborn!
2. Nightmare
3. In the Name of God
4. Slasher
5. Tempel of Blood
6. Why?!
7. Coroner
8. Fear
Outro
 
TYSKE LUDDER
(23.03-0.21 / Titel ohne Gewähr)
Intro
1. Khaled Aker
2. Tempelberg
3. Eugenix
4. Wie der Stahl gehärtet wurde
5. Frya Fresena
6. For Their Glory
7. Androgyner Held
8. Bastard
9. Pädophil
10. Canossa
11. Shokkz
12. Manipulation
13. March
******
14. Merciless
15. Panzer [Jesus and the Gurus]