UR, EMOABCON
D-Dresden, Scheune (Blechschloß) - 1. Oktober 2025
Vier Jahre stand die orange Containerburg „Blechschloss“ nun schon auf dem Vorplatz des Sanierungsfalls „Scheune“. Doch so langsam waren die Tage des kleinsten, kantigsten und lautesten Schlosses Dresdens gezählt. Bis Ende des Jahres standen seine Türen noch offen, ehe es vom Subkulturenviertel Äußere Neustadt an einen anderen Standort umzieht. Peanut und ich hatten noch keinen Besuch geschafft. Bei der dritten und letzten Ausgabe der Dresdner Blechschlossnächte mit gleich sieben Tagen am Stück, bot sich kurz vor Ultimo eine unerwartete letzte Chance. Die alteingesessenen Indie-Veranstalter Distilled & Bottled und Dicktator Soundz präsentierten ein tieffrequentes Schallwellenchaos mit URs Mix aus Doom, Sludge und Post Metal, eingeleitet von Ambient- und Drone-Landschaften von EmoAbCon. Karten gab es zum Selbstwählpreis in den Kategorien Förderer (16,50 Euro), Regulär (11,50 Euro) sowie zum ganz schmalen Taler Einfach (5,50 Euro). An der Kasse und den Getränken saßen eine Dame von der Scheune-Crew sowie Herr Dicktator Soundz persönlich. Zu den Latrinen ging es außen herum, links, links. Draußen konnte man allles mithören.
Der Vorspann hieß EMOABCON. „EmoAbCon“ war abgeleitet von „Emotionally Absentminded Consideration“, zu deutsch „Emotional zerfahrene Achtsamkeit“. Wenn das mal keine Ansage war... Hinter dem Soloauftritt mit den acht Buchstaben stand der in einem Cult-Of-Luna-Shirt steckende Dresdner Klangtüftler Marco Sieber. In diffuses dunkles Licht getaucht und von einer artifiziell bebilderten Dystopie forciert, servierte er seine Version von Elektromusik: ein Weltuntergangskino aus Ambient-Drone-Passagen, Feldaufnahmen und Tonbandschleifen, zusammengeschraubt mit einem Effektgerät und einem Klapprechner. Weshalb über der Darbietung leiser Zweifel schwebte. Zumindest waren es maximale Effekte mit minimalen Mitteln. Der hinter einem schwarz verhangenen Pult drapierte Künstler schien dabei genauso versunken in die Bild- und Klangkaskaden zu sein, wie das gespannt lauschende Publikum. Rund vierzig durchweg Unauffällige ließen sich mucksmäuschenstill verzaubern. Reden war verboten! Während die Schau anfangs etwas feinfühlig dahinplätscherte, riss sie später mit Erhöhung der Lautstärke mit. Letzten Endes erwies sich EmoAbCon als idealer Auftakt, und es kam so langsam das Gefühl auf, daß dies ein denkwürdiger Abend wird. Einzig übertrieben waren die alle zehn Minuten abgefeuerten, raumfüllenden Nebelfontänen, die jedem die Luft zum Atmen nahmen!
Die nach dem Auerochsen benannten UR sind eine Gruppe aus vier Freunden, die ihr ganzes Leben zusammen verbracht haben. Früher lebten sie in Dresden, nun sind zwei in Leipzig. Doch auf der Bühne harmonieren sie fantastisch, und jedes Ritual ist für sie ein großes Erlebnis, sagte mir der Bassist (zugleich das Lexikon von UR). Dabei beruhen ihre Auftritte auf den schon etwas betagten Alben 'Ur' von 2013 und 'Grey Wanderer' von 2017. UR erweiterten diese mit Videoschnipseln und einem Klang, der seinesgleichen suchte. Nach einem unscheinbaren „Wir fangen jetzt an“ brachten massive Sludge-Rammen den kleinen Raum zum Vibrieren, raspelte sich Martin Paul hin und wieder heiser die Seele aus dem Leib, ließ Enrico Machate wehmütige Trossen aufheulen, bog sich Michael Weise manisch in den Viersaiter und hämmerte Jakob Ritter auf einer Linie gnadenlos die Batterie. Untermalt war die klanglich schwere, zwischen Post Doom und Sludge Metal changierende Kost von einem schwarz-weißen Bildersturm voller endzeitlicher Visionen. Jegliche menschliche Zivilisation war ausradiert. Treu den Liedtiteln waren mächtige Tiere erstarrt in ultralangsamer Zeitlupe zu sehen: ein Bulle, ein Bär, ein Kondor, ein Hirsch. Die Besten kamen zum Schluß: „Condor“ und „Megaloceros“ - Doom in seiner reinsten Form! Nach 66 Minuten endete ein weiteres magisches Ritual von UR (das vierte in unserer Gegenwart): Rauh, intensiv, authentisch. Es blieb kaum Zeit zum Atmen. Auch die Begebenheiten abseits des Gevierts überzeugten mit einwandfreiem Charakter. Zu Recht gewannen UR die Herzen der Meute und stehende Ovationen. Neuer Stoff steht auf der Startrampe.
.:: ABSPIELLISTEN ::.
 
EMOABCON
(20.05-20.45)
Titel unbekannt
 
UR
(21.00-22.05)
1. Bulle
2. Grey Wanderer
3. Bär
4. Condor
5. Hirsch
Dresdens lebenspralle Äußere Neustadt hatte aber wie immer auch ganz eigene, eigenwillige, schräge Momente. Allein wie mich ein hackedichter Sonderling in der Straßenbahn vor die Brust stieß und die Herausgabe seines Handys forderte - während ein anderer sagte, daß es in seiner eigenen Tasche steckt, war völlig surreal. Nach einem ernüchternden Absacker in der ehemaligen Lieblings-Metal-Bar „Heavy Duty“, die nun „HD“ heißt, machten wir beim nächtlichen Spaziergang durch heruntergekommene Straßen eine neue Entdeckung in Form der nagelneuen Rock- und Metal-Bar „Liquid Rock“ - mit Guiness vom Fass und riesigen Monitoren voller Heavymusik.
 
 
((((((Heiliger Vitus)))))), 3. Oktober 2025