ALCEST, LANTLÔS
D-Frankfurt am Main, Das Bett - 7. September 2015
„Verdammt beschissen“ ist noch eine milde Umschreibung für den September 2015. Frau Peanut und ich steckten in ein paar persönlichen Schwierigkeiten. Dazu kamen immer neue Nachrichten von der Massenwanderung der Perser in Richtung Westen. Sie kamen als Flüchtlinge und ausgewählte Vertriebene ins Land. Jetzt war der Strom nach Frankfurt durchgebrochen - um Einheimische zu vertreiben. Heime brannten. Mörder und Räuberbanden kamen übers Meer. Wohin bloß gehen? Das Boot wurde immer näher zum Abgrund gedrückt... Draußen war es plötzlich kalt, die Äcker kahl, die Blumen verwelkt. Auf unserem Weg zum Zug irrte ein junger Maulwurf über den Zement. Keiner von uns fühlte sich in diesen Tagen sonderlich wohl. Es grenzte schon an Verzweiflung, auf gedankliche Zerstreuung durch ein Konzert zu hoffen. Aber Konzerte sind eins der letzten Lebenselixiere...... Nach einem langen Nichts und einem langen Nichts voraus, ergab sich am ersten Montag im geliebten „Bett“ die Möglichkeit, es noch mal mit zeitgeistigem Post-Metal zu versuchen. Trotz lausiger 25 Euro Eintritt (dafür gab´s weder Karten noch Flugblättchen), und trotz des gleichzeitigen Länderspiels in Schottland, war die Halle mit weit über zweihundert Leuten prall gefüllt. Heute trank man auch nicht aus Bechern oder Gläsern, sondern gleich aus der Flasche! Und weil mittlerweile jeder Abend im Bett ein Abschied für immer sein kann, wurde an der Bar auch so mancher Euro verjubelt......
Ihr Land noch nicht los waren LANTLÔS. Obwohl Frontmann „Herbst“ sich durch eine Wahrnehmungsstörung heimatlos fühlt, steht das Quartier der Gruppe mit dem esoterischen Winkel überm „o“ im westfälischen Rheda. Da der Start entgegen den Gewohntheiten Punkt 20 Uhr 30 war, kamen wir etwas zu spät, hatten aber wenig verpaßt. Ein Endzwanziger mit wasserstoffblondem Johnny-Rotten-Igel und weißem Shirt spielte mit zwei weiteren Gitarristen, einem Viersaiter und einem Schlagzeuger - allesamt Beiwerk in neutralem Schwarz - eine Art Ringelstrumpf-Post-Black-Metal mit rebellischen Gedanken. Ich sah Bilder aus der eigenen Sturmzeit. Worte sind nutzlos. Hätten Count Grishnackh und Euronymus geahnt, was aus ihren Idealen einst wird, würden sie beide noch leben. Nach dem obligaten Dreiviertelstünder waren Lantlôs am Ziel im Niemandsland angekommen... Es gibt so viel, was mir nichts bedeutet, in der Gegenwart bin ich schon lange nicht mehr. Und heute Abend sollte sich auch nicht mehr viel ändern...
... denn mit Neige stand bei ALCEST der ehemalige Vokalist von Lantlôs hinterm Mikro. Die Gruppe aus Avignon drosselte das Tempo und verwässerte die Intensität immer mehr, so daß sich ihr Stil als Dark Metal für Feuchtgebiete umschreiben ließ. Offiziell redet man von den Erfindern des „Blackgaze“, doch von schüchternem Auf-die-Schuhe-Starren war keine Spur. Zumindest schenkten Neige, Zero, Saray und Winterhalter als Langhaarige der Damenwelt einen Bonbon fürs Auge - neben mystischem Nebel wehte eine Windmaschine unentwegt Luft in Zeros Mähne (böse Zungen würden es Kitsch und Pathos nennen) -, doch stilistisch fand ich die Paarung von Post Black Metal mit Shoegaze und Postrock zu flach. Die längste Zeit ging´s ohne Herz und Leidenschaft, aalglatt wie die neue Welt daher. Hin und wieder, in zwei, drei Stücken, blitzte Neiges schwarzmetallische Vorgeschichte u.a. mit Peste Noire auf. Dann brach ein Sturm aus flackernden Gitarren und zornig-harschem Gekeif los. Doch offenbar hat der Herr über die Jahre einen Hang zu Nietzsche entwickelt, und kann sich nur noch diskret an die Vergangenheit erinnern. Insgesamt ließen Alcest mich kalt. Sie waren weich und matt wie der vierzehntausendste Orgasmus. Immerhin leisteten die Franzosen mit neunzig Minuten etwas für den Eintritt, und wurden von der Menge - Ron „Beardson“ und „Murmler“ Micha eingeschlossen - nett beklatscht. Was bleibt sonst noch zu sagen? Auch Neige und Unterstützer schienen von einem Heimatproblem getrieben. Ihr letztes Album heißt „Shelter“ (zu deutsch: Zuflucht, Unterschlupf)... Mit pompös dahinfließender Gitarrenonanie, schwarzmetallischen Resten, und viel „Krušo“ tranquilliert, war ein weiterer wundervoller Tag geschafft. Die Musiker zogen fort nach Stuttgart, dann nach Essen, weitere Orte folgten...
 
 
Heiliger Vitus, 9. September 2015
.:: ABSPIELLISTEN ::.
 
LANTLÔS
(20.30-21.15)
1. Bliss
2. Melting Sun I: Azure Chimes
3. Melting Sun II: Cherry Quartz
4. Melting Sun IV: Jade Fields
5. Pulse/Surreal
6. Coma
 
ALCEST
(21.45-23.14)
1. Opale
2. Summer's Glory
3. Écailles de lune - Part 1
4. Les Iris
5. Souvenirs d'un autre monde
6. L'eveil des muses
7. Là où naissent les couleurs nouvelles
8. Sur l'océan couleur de fer
9. Percées de lumière
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10. Autre temps
11. Délivrance