BÖHSE ONKELZ, SUB7EVEN
D-Frankfurt am Main, Festhalle - 9. Juni 2002
Der heutige Sommertag war kein normaler. Erst war der geliebte Dresdner Dynamo-Klub mit zwölftausend Anhängern im Rücken nach einer Abwehrschlacht ohne Tore bei der Reserve von Hertha BSC in die Dritte Liga marschiert. Und in den Abendstunden lockten die Böhsen Onkäls in die Festhalle ihrer Heimatstadt Frankfurt. Jene Gruppe, die mal wie eine Religion für mich war. Die gleichen Gedanken und Gefühle... Welch ein Tag! Wie alle Auftritte der Onkelz wurde auch dieser von den Unbekehrbaren totgeschwiegen. Selbst an der Festhalle kein Hinweis auf die Söhne der Stadt, kein Plakat, nichts. Werberummel bekamen unterdessen die Popgülleschwurbler Bro´Sis, die zur gleichen Zeit in der Jahrhunderthalle kreischende Pussys in Ohnmacht stürzten. Egal! Frankfurts „Gud Stubb“ war seit einem halben Jahr ausverkauft. Vor den Gittern drängten sich Menschen in häßlichen Kleidern und mit Lust auf Außenseitermusik: Metalheads, Huren, Rocker und andere rauhe Gesellen. 13 000 davon! Sage noch einer, böse Menschen hätten keine Lieder! Um acht hatte ich mit meinem Mädel die Torwächter passiert und den berstendvollen 1. Rang erklommen.
 
Daß die von Speedmetallern zu Freigeistrockern mutierten Ephtimiadis-Brüder nebst „Lord“ Fischer alias Rage - nun SUB7EVEN - schon lange losgelegt hatten, interessierte mich nicht die Bohne. Wie ihre monatelang im Radio gespielten Hitsingles „Whatever it May Take“ und „Weatherman“, war auch der Rest des Albums 'Free Your Mind' belanglose Klimpermusik. Früher hätte man das Rudel aus Dortmund-Herne dafür von der Bühne gebuht. Es war mir schnurzpiepegal. Nicht so die Sperrung des Oberrings für die dicken Fressen von VIP und Presse, die dort sichtlich bequem den besten Blick genossen. Damit war der Kartenaufdruck „Sitzplatzwahl frei“ glatter Betrug. Zudem wurde in der Festhalle nur alkoholfreies Bier ausgeschenkt. Im Plastebecher halbvoll. Für drei Euro. Und das bei brütender Hitze. Aber der Siegesrausch um Dynamo überstrahlte sowieso alles...
Bumm! - - Bumm! - - Bumm! - - Drei unglaubliche Knalle mit hoch emporlodernden Feuerstrahlen - es war es soweit: Unter unermüdlichen „Onkelz“-Chorälen traten 21 Uhr die weißen Teufel mit den schwarzen Seelen auf den Gefechtsstand. Willkommen im Reich BÖHSE ONKELZ! “Die Firma“ diente als Einleitung und war zugleich Auslöser für Onkelz-Paranoia pur. Große Leuchttafeln, über die alte Aufnahmen und Filme aus der Vergangenheit flackerten, schufen einen einzigartigen Rahmen. Unter der vierzig Meter hohen Kuppel schwebten zwei gigantische Leinwände, auf denen man die Helden auch hautnah verfolgen konnte. Wir sahen Kevin Russell: mit gewohnt kratzigem Geschrei zwar, aber auch in feinem Zwirn steckend. Und es war recht dekadent, wie er in Großaufnahme mit einem halben Zentner zuviel über die Planken mäanderte. Ebenfalls weit weg von der Menge, aber mit gebleckten Zähnen, blitzenden Augen, heißen Herzen, zornig und ketzerisch wie immer: der Bass spielende Geistesführer Stephan Weidner, Sechssaiter Matt „Gonzo“ Röhr und Trommler Peter „Pe“ Schorowsky. Für ein Sümmchen von 200 000 Mark war in der Bar des „Alien“-Schöpfers Giger ein Kurzstreifen zum Minialbum 'Dunkler Ort' entstanden. Davon untermalt, bohrten sich mit „Dunkler Ort“ und „Narben“ die Feuerbälle Nummer zwei und drei ins Hirn. Frankfurts böse Buben rotzten nach links und kloppten auf rechts. Trommelfelle gerieten an ihre Grenzen. Ab Geschoß Nummer fünf begannen selbst meine slayererprobten unkontrolliert zu schwingen. Wir suchten Schutz im Treppenhaus, und der Gedanke an einen vorzeitigen Aufbruch machte sich breit. Doch wir wollten die Onkelz sehen! Peanut hatte einen Fetzen Papier, mit dem wir die Ohren verrammelten. Wieder im Saal, ging´s mit dem Schlachtruf zur WM ´86 weiter: „Mexico“. Zu rauschhaft gejohlten „Ohne Holland fahr´n wir zur WM“, zückten manche in der Menge einen Sombrero; der Dezibel pegelte auf Rekordhöhe. Neben Hausmannskost vom Neuwerk, hallten auch die Überhymne „Nichts ist für die Ewigkeit“, Nachdenkliches wie „Schöne neue Welt“ und die Haßtirade „Nr. 1“ durch den Saal. Bomber um Bomber stürzte sich mit Heidenlärm in die Donnerkuppel. Das geile Onkelzgefühl war indes futsch. Wir suchten nach dem Ort mit den niedrigsten Schallwellen und fanden ihn in der Gegenkurve des Unterrings. Gegen 22.45 Uhr ging es unter Glockengeläut in die Verlängerung. Den Anfang machten „Keine Amnestie für MTV“, die Kampfansage „Wir ham noch lange nicht genug“ und die Absage an Papst und Religion, „Kirche“. Zeigten sich die Onkelz erst in Rabenschwarz, thronten sie nun in weißen Priestergewändern auf einem kreuzgekrönten Altar. Das krachende „Gehasst, verdammt, vergöttert“ verursachte einen weiteren Einschlagskrater. Und trotzdem fand ich die Liederwahl wie in der Kampagne zum 'Bösen Märchen' weitaus besser. Damals, als selbst Verbotenes wie „Das Signum des Verrats“ entrostet wurde... das waren noch Zeiten! Heute war mir alles zu modern, zu schillernd - und viel zu laut. Vielleicht suhlten sich die Onkelz auch schon im Weltruhm. Eine halbe Stunde vor Mitternacht besiegelte der Aussteiger „Erinnerungen“ die Schau.
 
Der Abmarsch verlief friedlich wie der ganze Tag. Doch nachts um drei wachte ich schweißgebadet mit einem weißen Rauschen auf. Ich bekam es mit der Angst zu tun - fand aber wieder Ruhe...... Fünf Stunden später war alles im Lot. Ich war dem Tinnitus entkommen. Aber es sollte auch meine letzte Zusammenkunft mit den Onkelz bleiben!

 
 
Onkel Vitus, 10. Juni 2002
Bild: Weil in der Festhalle Fotografieren verboten war, eins aus dem Buch „Danke für nichts“
ABSPIELLISTE ONKELZ
Intro
1. Die Firma
2. Dunkler Ort
3. Narben
4. Onkelz 2000
5. Macht für den der sie nicht will
6. Ich bin in dir
7. Ein langer Weg
8. Mexico
9. Nichts ist für die Ewigkeit
10. Finde die Wahrheit
11. Schöne neue Welt
12. Wie kann das sein
13. Der Platz neben mir - Part I + II
14. Ach, sie suchen Streit
15. Danket dem Herrn
16. Wieder mal 'nen Tag verschenkt
17. Nr. 1
18. So sind wir
19. Koma - Eine Nacht die niemals endet
20. Terpentin
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21. Keine Amnestie für MTV
22. Wir ham' noch lange nicht genug
23. Kirche
24. Gehasst, verdammt, vergöttert
25. Erinnerungen