DARKEN THE MOON V
 
ESOTERIC, PROCESSION, INDESINENCE, MARCHE FUNÈBRE, HEMELBESTORMER, FADING BLISS
BE-Brüssel, Magasin 4 - 26. April 2014
Prolog
 
Doom ist eine schwierige Liebe. Mit dem Ende von „November´s Doomsday“, „Low Frequency Assault“ und „Doom Shall Rise“ brachen der deutschen Gefolgschaft große Festserien weg. Die eine verlor das Interesse, die andere ihr Heim, die dritte sah ihren Auftrag nach zehn Jahren erfüllt. Damit müssen Goddess of Doom Peanut und ich seit 2013 als Paar vermehrt zu Ritualen in der Fremde tingeln. So nach Brüssel, wo der fünfte Teil von DARKEN THE MOON stieg. Ausrichter waren die vor knapp fünf Monaten beim wallonischen „From Dusk Till Doom“ erstmals erlebten Marche Funèbre. Manchmal ist Doom auch ein Dorf...
 
Freitag, 25. April 2014
 
Um zum Fest möglichst unverbraucht zu sein, sind wir bereits am Vortag in der belgischen Hauptstadt eingerückt. Auf dem Weg dorthin erfuhr ich vom Abschied Jeff Hannemanns, der mich trotz jahrelanger Entsagung von Slayer nicht ganz kalt ließ. Immerhin waren Slayer die erste richtig harte Metalband, die ich leibhaftig erlebte. Nach dem Konzert 1988 mit Overkill war alles anders. Mit Hannemanns Gang nach South of Heaven endet nun auch dieser Teil im Leben. - Unser Doomquartier lag im Pentagon, dem fünfeckigen Zentrum Brüssels, nicht weit weg vom Grote Markt, Manneken Pis und den zahlreichen Kirchen und Schänken. Westlich befand sich gleich hinterm Charleroi-Kanal in der Gemeinde Molenbeek der Schauplatz des Darken The Moon. In der Theorie kannte man die Gegend, die vielen sternförmig verzweigten Plätze erschwerten die Orientierung allerdings erheblich. Einmal die verkehrte Richtung eingeschlagen, verlor man sich im unregelmäßigen Brüsseler Gewinkel. Mit dem Verzehr von Froschbeinen in einem Lokal in der Innenstadt holte ich mir böses Bauchgrummeln, das im Bett zum Glück wieder verschwand.
 
Sonnabend, 26. April 2014
 
Obwohl nur zwei Kilometer vom „Magasin 4“ wohnend, zogen wir die sichere Anfahrt per Droschke vor. Um 16.20 Uhr hatten wir den feldgrau angepinselten Klub in der Avenue de Port 51b am Rande eines Hafenbeckens erreicht. Die Karten zum Preis von 17 Euro hatten wir schon vor Wochen gesichert, an der Abendkasse wurden 20 Piepen fällig. Das Magasin 4 - unlängst zwanzig geworden und dementsprechend aussehend - faßte rund 400 Personen. 70 Karten hatten die Veranstalter Marche Funèbre im Vorverkauf über den virtuellen Ladentisch geschickt, 100 Besucher wurden erwartet, letztlich legte der Torwächter 125 Leuten ein silbernes Eintrittsbändchen ums Handgelenk: Doom- wie Metal-Fans (und auch schlimmen Posern). Dazu kamen 35 Akteure und Crew-Mitglieder. Mitorganistaor Arne hieß mich mit einem Klaps auf die Schulter willkommen, Kurt Blommé stand hinter der Kasse: Das große Wiedersehen nach Huy war perfekt.
Bevor die Halle sich füllte, mußten sich FADING BLISS vor dreißig Seelen entblößen. Das Ensemble aus Lüttich hatten Peanut und ich ebenfalls beim From Dusk Till Doom (Huy 2013) erstmals in echt erlebt. Mit Venema bediente heute eine Dame die Orgel, dazu stand der frühere Sechssaiter Steph C. als Gast hinter der Rhythmusgitarre. Kern und Blickfang waren und sind indes das gemischte Vokalistenduo Dahl und die in ein schwarzes Korsett geschnürte Melanie Fading Bliss. Die Aufstellung - geschlossen mit dem Rücken zum Publikum - war die gleiche wie vor fünf Monaten in Huy, ebenso die Abspielliste. Fading Bliss kredenzten dieselben fünf Lieder in der gleichen Reihenfolge. Wobei das Ganze heute zwar durchweg endzeitlicher klang, in meinen Augen aber weiterhin kein Doom, sondern eine Kombination aus Gothic, Death und Dark Metal ist. Stark war heute die Leistung von Frontamazone Mel, welche die Meute mit dominanter bis heldnischer Haltung und bösen Blicken fesselte. Der Ausklang durch „A Walk Through Despair“ brachte ein zartes Doomriff.
Für einen neuen Stern am Firmamanet der Wortlosen sorgten vier Himmelstürmer aus 51.0758 x 5.0869 irgendwo im Königreich. Jo Driesmans, Filip Dupont, Kevin Hensels und Frederik Cosemans - drei Gitarristen und ein Schlagzeuger mit Black Metal-, Sludge- und Hardcore-Hintergrund - haben sich zusammengetan, um als HEMELBESTORMER dichte, vielschichtige Klänge im Zwischenfeld von Postrock, Shoegaze und Ambient durch den Äther zu schicken. Hemelbestormer waren Musik für höhere Ansprüche, Doom ohne Worte, Doom, der sich im Kopf zusammensetzt, Doom zum Treibenlassen, schlicht bis eiskalt - und zugleich tief und wundervoll. Esoterisch beleuchtete Symbole am Bühnenrand, die ekstatischen Verbiegungen der Akteure, und auf grobkörnige Schwarz-Weiß-Filme gebannte Naturereignisse zwischen Himmel und Erde, machten das Erlebnis perfekt. THE PURGING HAS BEGAN (Die Säuberung hat begonnen): Dieser auf die Wand gestrahlte Satz hatte die Darbietung um 17.49 Uhr MESZ eingeleitet. Fortführung dringend erwünscht!
18.56 Uhr setzte sich der doomige Trauerzug aus Flandern in Bewegung. Die ersten Doomriffs der Nacht verbunden mit dem tragisch-schönen Timbre ihres Frontmanns ließen die Halle erzittern. MARCHE FUNÈBRE haben ein Gespür für Dramatik und verzauberten mit manischen Melodien in die sich wie aus dem Nichts tödliche Tempogegenstöße bohrten. „These Fevered Days“ bedeutete den Auftakt, und wie in Huy verweigerten die Flamen jeden französischen Gruß. Alle Ansagen erfolgten auf Angelsächsisch, der Dank lautete „Tanks!“ statt „Thanks!“. Mit Marche Funèbre war für mich der Untergang eingeläutet, gingen meine Sinne headbangend spazieren. Einen Meter über mir zelebrierten Vandenhoeck, Blommé, Egberghs, Iolis und Lefebvre ihre Glanzlichter, allen voran den Deathdoomer „Roots of Grief“ - wie Arnes Stimme: unverfälscht, schmerzvoll und unerbittlich unter die Haut gehend. Die Zerbrechlichkeit „Crown of Hope“ und ein leises „Merci“ besiegelten ein weiteres großes Ereignis. Final schickte der Sänger eine Salution gen Himmel.
Scheint so, daß die Herren Rodriguez, Wright, McIvor und Ben-Haim die Abwechslung lieben. Nach der raserischen Belgian Doom Night (Gent 2004) und dem gedrosselten Dutch Doom Day (Rotterdam 2007) kamen INDESINENCE heute wieder mit vollem Karacho daher. Und dabei war man bis auf einen in derselben Besetzung angetreten. Aber Ilias Haare waren ab. Die Londoner agierten rauhbeiniger, brachialer und brutaler denn je. Dazu trug der Bassist mit einem Jersey von Crass eine (gewollt?) ideologische Note zur Schau. Mit rund 150 hatten die Engländer die meisten Leute vor sich. Und die freuten sich natürlich über eine Durchsage wie „Hello Brussels! It´s great to be here!“ Nach einer eher an Bolt Thrower als an Doom erinnernden halben Stunde, röchelten, schoben und ballerten die Tommys mit der betagten „Catalepsy“ die einzige mit Überlänge ausgestattete Krankheit ganz am Schluß durch die Lautsprecher. Indesinence waren in Ordnung, aber nur bedingt Doom!
21.20 Uhr schlug die Glocke für PROCESSION. Die inzwischen von Chile nach Schweden ausgewanderte Horde eroberte die Herzen von Brüssel mit ihrer Liebeserklärung an die späten Achtziger, Epic Doom Metal von Gestern, und jeder Menge Zauberelixier. Nach Indesinence waren Procession die Einzigen, die unverhohlen König Gambrinus huldigten. Und das ausgiebig. Speziell Frontmann Plaza leerte unter schallenden „Cheers motherfuckers!“ so manche Büchse Bier. Dazu bestachen Neu-Bassist Botarrex Botarro mit feuriger, und der unentwegt über die Planken fegende Saitenhexer Pedersen mit Theatralik in Maiden-Manier. Virtuose Gitarren, wirbelnde Mähnen, strömendes Bier: Metalhead, was willst du mehr? Doomern dürften Procession etwas zu reißerisch, zu abgewichst sein. Das finale, sehr hymnische Teil, widmeten Procession den vielen Namenlosen, die den wahren Spirit des Doom ausmachen, es wird wohl nicht so oft gespielt und trug den Titel „Chants of the Nameless“.
Neue Gesichter gab es auch bei ESOTERIC zu vermelden. Mit Gitarrist Jim Nolan und Keyboarder Jan Krause hatten Chandler, Bicknell, Bodossian und Fletcher gleich zwei Neulinge dabei. Als prägende Band der Neunziger und Vorreiter des Funeral Doom könnte die Formation aus Birmingham mit ihren fünf Studioalben (eins davon ein Doppelalbum, dazu eine Rohaufnahme von 82 Minuten!) und Liedern teils weit über der doomrelevanten Zehn-Minuten-Grenze mühelos zwei Stunden füllen. Das tun sie aber erstens nie - und zweitens ist Masse nicht gleich Klasse! Manchmal fehlt Esoteric etwas die Tiefe, wirkt die über ein Kopfbügelmikrofon herausgeschriene Qual zu steril, ist die körperliche Performanz zu starr. So leider auch heute. Esoteric lieferten eine weniger beklemmende bis misanthropische, sondern vielmehr düstere, meditative Schau ab. Schön für Esoteriker, schlecht für Wackenfahrer... Der Niedergang schritt voran, und rasch hatten sich die Reihen gelichtet. Die sechzig Ausharrenden wurden mit zwei Zugaben belohnt, darunter einer improvisierten, kurzen, äußerst raserischen. Zusammen ergaben sich 88 Minuten!
 
Nach einigen Bieren mit Leuten von Marche Funèbre und der Fahrt zurück ins Hotel in einem Neunsitzertaxi, war das Abenteuer Darken The Moon für Peanut und mich leider schon wieder vorbei. Der Mond gab sich heute verdunkelt.
.:: ABSPIELLISTEN ::.
 
FADING BLISS
(16.36-17.18)
Intro
1. 1462 Part II
2. Illusion
3. Chant de Ruines
4. 1462 Part I
5. A Walk Through Despair
 
HEMELBESTORMER
(17.49-18.33)
1. After Us The Flood (unveröffentlicht)
2. Portal to The Universe (= parts Alpha, Portal I, Portal II and Omega)
3. The Purging (unveröffentlicht)
 
MARCHE FUNÈBRE
(18.56-19.48)
1. These Fevered Days
2. L' Avenue des couers passes
3. Roots of Grief
4. Nothing to Declare
5. Crown of Hope
 
INDESINENCE
(20.10-20.58)
1. Paradigms
2. Dusk Towering Force
3. Communion
4. Catalepsy
 
PROCESSION
(21.20-22.13)
Damnatio Memorae (Intro)
1. Destroyers of The Faith
2. Raven of Disease
3. To Reap Heavens Apart
4. Around the Room
5. Death and Judgment
6. Chants of the Nameless
 
ESOTERIC
(22.39-0.07)
1. Disconsolate
2. Loss of Will
3. Circle
4. Creation (Through Destruction)
5. Abandonment
Epilog
 
Sonntag und Montag, 27. und 28. April
 
Beim Köpfen des Frühstückseies gestand P. mir ihre persönliche Rangliste:
 
1. Marche Funèbre
2. Hemelbestormer
3. Fading Bliss
4. Indesinence
5. Procession
6. Esoteric
 
Unser verlängerter Aufenthalt in Brüssel bestand aus viel Liebe im Schatten der Heiligen Katharina, einem Rundgang durch den alten, grauen und krätzigen Stadtkern - der pinkelnde Knabe Manneken Pis (eine Nachbildung von 1965, heute in Portugal-Tracht gekleidet) war von einer Menschentraube umzingelt -, sowie der Berauschung an Waffeln, Fritten und belgischem Bier. Wir haben uns durch alle bedeutenden Wilden, Weißen, Roten, Blonden, Sauren, Kloster- und Trappistenbiere getankt - natürlich nur in den urbelgischen „braunen“ Bars. In einer wurde die 100. Ausgabe der „Doyenne“, des im Osten Brüssels steigenden Radrennens Lüttich-Bastogne-Lüttich übertragen (Radsport ist Nationalheiligtum!), in einer anderen konnte man sich viele Freunde machen (die man nie wiedersah). Brüssel war häßlich und wir lieben den Doom!
 
Cheers!
Arne, Dennis, Kurt & Marche Funèbre
Hemelbestormer
Fading Bliss
Das Personal von Magasin 4
Goddess of Doom P.
 
 

((((((Heiliger Vitus)))))), 2. Mai 2014