DRITTE WAHL, FLIEHENDE STÜRME
D-Frankfurt am Main, Nachtleben - 10. Dezember 2008
Fortuna war mir hold gewesen. Als einer der drei Schnellsten in Evis kleiner E-Post-Lotterie war ich nicht nur ein Gewinner eines Gästelistenplatzes für Dritte Wahl, sondern obendrein einer von 280 Glücklichen, die Einlaß ins „Nachtleben“ fanden. Die Innenstadtfiliale der „Batschkapp“ war ausverkauft! Obendrein waren 13 Euro gespart. Dank „MusicXtreme“ ist selbst Bürgern dritter Wahl eine rosige Zukunft gesichert! Nun das Schlechte: Ich war beim Vorglühen vor der heimischen Anlage versackt und hatte den Anfang verpaßt... Auf der Konstablerwache angekommen, wurde ich von einem Mob aus Stachelpunkern empfangen. Kein Grund, sich nun gleich den Revolver auf die Stirn zu setzen. Denn die Fliehenden Stürme waren tags darauf zweihundert Kilometer südwärts, in Nürnberg, noch mal zu erleben!
„Kannst du die Freude nicht mehr seh´n / Ist dir die Luft zu schwer / Fühlst du gar nichts mehr?“ Als ich unten im Keller des Nachtlebens einschlug, waren FLIEHENDE STÜRME beim sechsten Lied angelangt. Andreas Löhr, Stefan Kniehl und Andi Münch, sprich Deutschlands bedeutendste Wave-Punk-Rotte, mußten Schlag neun losgelegt haben. Auf „Das Chaos brütet“ knallten mit „Umarmung“ und meinem derzeitigen Lebensmotto „Tag der Armut“ die nächsten düsteren Hämmer in den Klub unter der Erde. Einsamkeit und Kraft, Haß und Liebe: das ist es, was die Stürme nach wie vor antreibt. Und die Helden der Achtziger haben absolut nichts verlernt. Zwei etwas ruhigeren, aber umso bedeutungsschwereren Stücken mit „Mein langsamer Tod“ und dem metaphorischen „Trümmergemüt“ folgten mit „Blauer Mond“ und „Killerblau“ zwei unschlagbar schöne Stürmeklassiker für die Ewigkeit. Das Publikum ging stark mit und es war eine unsagbare Freude, die Stürme nach zwei Jahren Pause wieder mal in Aktion zu erleben. Es war alles wie immer: Die drei standen introvertiert auf der Bühne, zelebrierten ihre Abrechnung mit dem Alltag und dem Erdendasein überhaupt, und mir jagte es Schauer um Schauer über den Rücken. „Springen“ war heute sehr langsam, durchdringend, fast schon doomig gespielt. Dafür „An den Ufern“ (!) und „Zerstörung“ wieder umso radikaler. Mit einem Brandneuen von 'Lunaire spielt mit dem Licht' ( „Bakterien“ ) und einem Uralten ( „Höhlen sind dunkel“ ) schlugen die Stürme in der Verlängerung eine Zeitenbrücke über ihr komplettes Schaffen von 1988 bis 2008. Um 22.50 Uhr waren die Stuttgarter durch. Ich habe diese Stunde auf den Stufen im dunklen Winkel hinter der Bar genossen. Es war unheimlich berührend!
DRITTE WAHL mußten im Winter 2005 den Verlust von Busch´n überstehen. Der Tod des Gründungsbassisten gab der Gruppe eine neue Richtung. Gitarrist und Sänger Gunnar sowie Trommler Krel werden nun von Stefan assistiert. Der metallische Einschlag, der die „Ropiraten“ früher so unverwechselbar machte, ist einer klassischen Punkrock-Attitüde gewichen. Als nahezu ebenbürtige, zweite Stimme bediente Stefan das Klischee des kämpferischen Punks. Die Rostocker feierten ihr Zwanzigjähriges. Und zwar als Geldhaie in Nadelstreifen und Krawatten. Sie lieferten soliden Deutsch-Punk. Härter und schneller als die Hosen. Aber nicht mehr so vehement wie 2002, als ich die Nordlichter letztmals sah. Neben alten Aufrüttlern wie „Macht die Augen auf“ und „So wie Ihr seid“, standen auch das bedrückende „Sonne und Meer“ und die sehr geilen „Kleiner Planet“ und „Rausch“. Irgendwann hatte sich ein Punker das Mikro gekrallt - um vom Saalschutz aggressiv vom Geviert gerempelt zu werden. Gunnar wiederum gedachte Busch´n mit den Worten „Zwanzig Jahre Dritte Wahl heißt auch immer Busch´n. Holen wir Busch´n auf die Bühne zurück. Ruhe sanft im Land der Freiheit irgendwo!“ Es folgten „Hol mich hier raus“, das fulminante „Auge um Auge“... und dann lehnte ich neben Kniehl von den Stürmen am Tresen. Ich denke, wir haben uns wieder erkannt. Den Auftritt der Dritten Wahl habe ich nach vierzig Minuten verlassen...
 
… um in der angegliederten Bar noch ein Weizen zu liquidieren. Mitternacht strömte die verschwitzte Meute aus dem Keller in den Frankfurter Winter. Und dann ging´s in die nächste Stadt...
...... Nürnberg
 
 
Heiliger Vitus, 17. Dezember 2008
.:: ABSPIELLISTE FLIEHENDE STÜRME ::.
1. Tobende Welt
2. Systemstörung
3. Alles Falsch
4. Zwischen Liebe
5. Lunaire
6. Das Chaos brütet
7. Umarmung
8. Tag der Armut
9. Mein langsamer Tod
10. Trümmergemüt
11. Blauer Mond
12. Killerblau
13. Springen
14. An den Ufern
15. SchlafWandel
16. Zerstörung
17. Kleines Herz
******
18. Bakterien
19. Höhlen sind dunkel