DUTCH DOOM DAYS XX
 
SATURNUS, ESOTERIC, HELEVORN, POEMA ARCANVS, MAJESTIC DOWNFALL, MOURNERS LAMENT
NL-Rotterdam, Baroeg - 5. November 2022
Prolog
 
Freitag, 4. November
 
Nach fünf Jahren und der Pandemie sehnten sich Goddess of Doom Peanut und ich nach einem neuen Doom-Ritual in Rotterdam! Dafür mußten wir viel Geld auf den Tisch legen. Und leicht war es auch diesmal nicht: Während mein Mädel im kleinen Klub „Baroeg“ wieder große Strapazen erwartete, hatte ich mit dem Ende der Radrennen, dem Niedergang der mühsam erschaffenen Kondition und einer schlaflosen Nacht zu kämpfen. Ein Festival ist immer auch Tod durch Freude... So standen wir wieder auf Bahnsteigen rum und warteten auf morgen, Rottderdoom und vielleicht aufs Ende der Zeit. Nach sechs Stunden trafen wir im Hotel „Thon“ im Schatten der Erasmusbrücke ein. Dort wurden wir in einen Pferch von drei mal drei Metern gesteckt. Der erste Tag unseres insgesamt zehnten Aufenthalts in der Stadt an der Maas endete in tiefer Zerrüttung bei Bier und panierten Fleischbällchen im „De Swaan“.
Mainhattan a.d. Maas (© Peanut)
Sonnabend, 5. November (1. Tag)
 
Wie üblich hatte der niederländische Petrus zu den Dutch Doom Days herbstliches Grau geflaggt. Dazu wehten heftige Winde. Auch am Eintritt hatte sich nichts geändert: Die Zweitageskarte ging für 34 Euro über den virtuellen Ladentisch. Dafür gab es allerdings statt sieben nur sechs Gruppen pro Nacht zu erleben. Auch Festivalshirts waren nicht hergestellt worden... Nach geduldigem Schlangestehen und einer flüchtigen Begegnung mit Greg von Esoteric und Leuten von Officium Triste trafen wir im Inneren des Baroeg viele bekannte und neue Gesichter aus Belgien und den Niederlanden, etwa den Doom-Intimus Maarten aus dem flandrischen Leuven. Auch Deutsche waren angereist, darunter Kai von der Metal-Fanseite „Abstand“. Ein paar gestörte Seelen waren natürlich auch zu erblicken. Tom und M.O.D. von „Grau“ durften erneut exklusiv ihren Händlerstand betreiben. Textilien hatten sie diesmal jedoch nicht dabei. Für den ersten Tag vermeldete die Kasse 250 bis 260 zahlende Besucher. Damit war die Halle heillos überfüllt und vor allem: viel, viel zu laut. Zum zweiten rückten dann nur noch 150 an. Klassiker der alten Cathedral und Type O Negative dienten als Pausenbeschallung; „Black No. 1“ sang die ganze Halle mit.
„Beware of the drinking latin american team! Wenn sie zu viel trinken, fangen sie an, eine Cueca zu tanzen“, hatten Poema Arcanvs ins Facebook getippt. Die ersten der Latinos kamen aus Chile. MOURNERS LAMENT kreuzten zusammen mit den Mexikanern Majestic Downfall als „Majestic Lament“ durch die alte Welt. Dabei brachten die erst vor wenigen Tagen eingeflogenen Südamerikaner den Mut auf, das Ritual am hellichten Tag zu eröffnen. Das nach einem Lied von Candlemass benannte Quintett aus Valparaiso präsentierte Teile ihres Albumdebüts „We All Be Given“, erweitert um zwei Lieder des grandiosen Minialbums „Unbroken Solemnity“. Mit ihrem finsteren, abgründigen Gebräu im Dunst zwischen Funeral und Death Doom und ihrer schlichten, ehrlichen Ausstrahlung hinterließen Pérez, Contreras, Ciaffaroni, Aguirre und Figueroa einen bleibenden Eindruck. Für Organisator Pim Blankenstein waren sie sogar die Besten des Festivals. Mourners Lament waren die Einzigen, die ich um ein Shirt erleichterte. Sie waren die Melancholischsten und Authentischsten der Nacht!
MAJESTIC DOWNFALL hatten wir vor sechs Jahren auf der „Still No Spring“-Kampagne mit Ataraxie und Ophis erlebt. Rein äußerlich war der Vierer nicht wiederzuerkennen. Der damals unablässig wild headbangende Frontmann Córdova kam mit rasiertem Schädel und richtete heute den Blick immer wieder kathartisch nach oben. Wogegen der neue Leitgitarrist Aly mit langen grauen Haaren und Bart gar nicht wie ein Mexikaner aussah. Stilistisch blieb bei ihrem nun schon sechsten Langeisen „Aorta“ indes alles beim Alten. Angetrieben von mal heiser, mal guttural herausgeraspelten Schreien entfesselten Majestic Downfall einen Haken schlagenden Tornado aus Doom und Death, mit klarem Drall zu Letzterem - der im Unterschied zum Auftritt in Nürnberg aber nie reißerisch wirkte. Jacobo Córdova hatte die Herkunft seiner Gruppe ganz echt mit „Méchico“ angesagt, und er verabschiedete sie unkonventionell mit einem „Selfie“ mit der Menge, sowie dem Schlachtruf „HEAVY METAL“. Majestic Downfall waren die Besessenen unter den Gringos.
POEMA ARCANVS aus Chiles Hauptstadt Santiago sollten ursprünglich schon vor zwei Jahren nach Rotterdam kommen. Dann kam aber Corona und zwischendurch erschien das sechste Werk der Gruppe namens 'Stardust Solitude'. Wie ihre amerikanischen Vorreiter kredenzten auch Claudio Carrasco und Konsorten Death Doom. Wobei deren Interpretation weniger primitiv, vielmehr dezent progressiv ausfiel. Nach wenigen Takten stand fest, daß wir es hier mit der technisch versiertesten der drei Gruppen zu tun haben. Carrascos Stimme tönte gefühlvoll und rein, die Performanz wirkte klar und natürlich, perfekt ausgesteuerte Klänge taten ein Übriges. Nichts störte in dieser zugleich leidenschaftlichen wie geheimnisvollen Darbietung. Erstmals stellte sich magisches Doomgefühl ein. Trotzdem nutzten wir - um Helevorn komplett zu sehen - das Ende von Poema Arcanvs für eine Stärkung im Laden auf der anderen Straßenseite. Wie sich zeigen sollte, war dies ein Fehler! Poema Arcanvs blieben die Freigeister im Tross aus Übersee.
Nach der Zeitrechnung ihres Frontmanns hatten HELEVORN vor zwanzig Jahren zum erstenmal im Baroeg gestanden, die heutigen waren ihre dritten Dutch Doom Days. „We´re getting old“, befand der ergraute Brunet. Peanut und ich hatten sie 2007 an diesem Ort erlebt. Mit ihrer gefühlvollen Gothrock-Melancholie stachen Helevorn damals unter den extremeren Doomgruppen heraus. Über die Jahre haben die Mallorquiner diesen Stil zur Arena-Reife perfektioniert. Trotz der Tiefgründigkeit ihrer Lieder, klang das mit Keyboard aufmarschierte Sextett heute manchmal wie ein Mix aus HIM, Sisters of Mercy und Paradise Lost. Etwas weniger Theatralik hätte der Präsentation sicher gut getan. Doch es war genau die richtige Musik für das größte Publikum des Abends. Obwohl sie so gut angenommen wurden, mußte Josep Brunet zwei von acht Liedern wegen Stimmproblemen streichen. Am Vorabend konnte der Sänger kaum sprechen. Insofern waren Helevorn glücklich, überhaupt auftreten zu können!
Radikaler konnte der Übergang nicht sein. Denn zusammen mit ihren neuen Gitarristen Clayton und Walcroft fuhren Vokalist Chandler, Bassist Bodossian und Schlagzeuger Fletcher, kurz: ESOTERIC, natürlich den stärksten Tobak der Nacht auf. Ihre Gründung anno 1992, der Plan, ultralangsamen, überlangen Funeral Doom mit abrupter Eskalation zu kombinieren, sowie äußerst enigmatische Platten- wie Liedtitel, hat den Engländern unter den vielen Funeral-Gruppen eine Sonderstellung eingebracht. Auch heute war alles da, was Esoteric so ausmacht: mit „Dissident“ und „Stygian Narcosis“ zwei qualvolle Labyrinthe aus alten Tagen, mit dem harschen „Rotting in Dereliction“ und dem keyboardunterlegten „Cipher“ zwei an den Nerven zerrende Neuigkeiten. Andererseits haben Esoteric im Laufe der Jahre nichts dazugewonnen. 'Epistemololgical Despondency', zu Deutsch: Erkenntnistheoretische Verzweiflung, ist und bleibt der Geniestreich. Aber jener datiert aus dem Jahre 1994... Es war ein Erlebnis, die Legende noch mal hauteng erleben zu dürfen. Und trotzdem hat irgend etwas gefehlt. Blondschopf Mark Bodossian rettete mit ekstatischen Posierereien und Anbetungen der Lautsprecher vor einer gewissen Monotonie.
Die Hauptrolle des ersten Tages hatten die mit Esoteric angereisten SATURNUS inne. Auch die waren keine Fremden für uns. Doch auch in deren Reihen standen neue Gesichter. Saturnus waren nun keine reine Wikingerhorde mehr, sondern ein europäisches Geflecht aus Dänemark, England und Spanien. Die sechs um Kahlkopf Jensen zelebrierten melodischen Doom Death voller technischem Chichi, also: Musik, wie die Masse sie liebt. Für jene gab´s einen Bonbon in Form einer „Special accoustic version“. Dazwischen schmuggelten sich in mitunter abruptem Wechsel funeralige und punkige Passagen. So prallte ein todtrauriges Ende mit letzten Herzschlägen unvermittelt auf stolzen Rammstein-Bombast. Drei der elf Lieder fielen der Zeit zum Opfer: Um elf mußte Schluß sein! Saturnus ließen mich eher kalt. Für M.O.D. vom Grau-Stand waren sie wiederum die Helden der Nacht...
.:: ABSPIELLISTEN ::.
 
MOURNERS LAMENT
(15.00-15.49)
Intro
1. Suffocating Hopes
2. As Solemn Pain Profaned
3. Changes
4. Slumbers
5. Sadness Caress
6. We All Be Given
 
MAJESTIC DOWNFALL
(16.16-17.05)
3. Roberta
Rest: unbekannt
 
POEMA ARCANVS
(17.35-18.25)
1. Brave
2. Consummatum Est
3. Alter
4. Haven
5. The Lighthouse Keeper
6. The Crawling Mirrors
7. Elegìa
 
HELEVORN
(18.55-19.37)
1. A Sail to Sanity
2. Blackened Waves
4. Goodbye Hope
5. Two Voices
6. From Our Glorious Days
7. Aurora
8. Burden Me
 
ESOTERIC
(20.12-21.09)
1. Dissident
2. Rotting in Dereliction
3. Stygian Narcosis
4. Cipher
 
SATURNUS
(21.43-23.00)
1. Forest of Insomnia
2. Softly on the Path You Fade
3. Pretend
4. Embraced by Darkness
5. Chasing Ghosts
6. Murky Waters
7. Empty Handed
8. I Long
9. All Alone
10. The Calling
11. Christ Goodbye
M-22 und AE-20
Halb zwölf rumpelte die Straßenbahn von der Passweide zum Willemsplein. Drei Metalheads aus dem Ruhrgebiet fuhren mit uns zurück. Noch vor ein Uhr nachts fiel ich in einen totengleichen Schlaf...
 
 
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((((((Heiliger Vitus)))))), 11. November 2022