DUTCH DOOM DAYS XX
 
MONOLITHE, EREMIT, FAAL, HEAVY LORD, AKELEI, ACHE
NL-Rotterdam, Baroeg - 6. November 2022
Sonntag, 6. November (2. Tag)
 
Trotz acht Stunden Doom und ebenso vielen Jupilern zuviel, war ich zu einem reinigenden Dauerlauf an der Maas und durch den Park bereit. Es regnete zwar den ganzen Tag, aber so sind wir mit klaren Köpfen und unter Ponchos hin zum „Baroeg“ marschiert. Ein Zeltverdeck vor der Eingangshalle schützte die Besucher vorm Wasser aus dem Himmel. Ein Drittel von gestern blieb dem Doom jedoch fern. Die restlichen einhundertfünfzig wurden von einer wirklich schlechten Nachricht erwartet:
 
Letzte Nacht hatte Pascal von den niederländischen Funeral-Eckpfeilern FAAL einen schweren Unfall. Er lag im Hospital und sein Zustand war kritisch. Wie jeder verstand, konnte der Auftritt von Faal nicht stattfinden. Pim machte an der geplanten Stelle zwischen Heavy Lord und Eremit eine kurze Durchsage. Wie schlimm es wirklich war, ahnte zu der Zeit niemand...
Wegen der Tragödie um Faal verlagerte sich der Auftritt der Sludger ACHE um eine halbe Stunde auf drei Uhr. Wie uns die Vergangenheit lehrte, war manchmal die erste Gruppe bereits die beste. Wir waren also überpünktlich zur Stelle. Nur drei Dutzend standen neben uns, als Gijs und Minne, zwei Jungen aus Rotterdam, die Nacht mit Propaganda aus dem Off eröffneten. Ache hatten mit Chris Fielding von Conan eine Albumkassette mit dem misanthropischen Titel 'The Unbeatable Defects of Humanity' veröffentlicht. Auch in natura doomten die Beiden in einer Blutlinie mit den infernalischen Conan. Dabei schrie und trommelte speziell Gijs um sein Leben. Anfangs mit Kappe und Shirt, später mit freiem, kryptisch tätowiertem Leib und schweißnassem Haar. Wegen dessen körperlicher Verausgabung dachte ich, er kollabiert, wie er so gleichzeitig voller Zorn und Energie spielte und zur Seite ins Mikro spie. Während Gijs immer wieder skurrile Aufwärm-, Dehn- und Atemübungen machen mußte, begleitete ihn der eher „normal“ wirkende Minne mit tief dröhnenden und malmenden Bässen. Auch im Nachhall blieb Gijs unter einer Kapuze vermummt eine rätselhafte Figur. In letzter Sekunde vermachte er mir ein Exemplar von Aches wohl einzigem Tondokument für immer...
AKELEI waren untrennbar mit dem Baroeg und den Dutch Doom Days verbunden. 2007 feierten sie hier ihren ersten Auftritt überhaupt - und wir durften ihren Doom schon damals sehr geniessen. Seinerzeit erinnerten sie mich an die zerbrechlichen Mirror of Deception. Viel Wasser ist seither die Maas hinuntergeströmt... Mit Misha Nuis war nur noch der Gruppenkopf dabei. Doch Akelei kamen zu fünft, die Nuis-Brüder an Gitarre und Trommeln sangen, und in der Mitte gesellte sich eine Frau dazu. Was etwas hakelig begann, sollte zu einer Sternenstunde emporsteigen. Wie die namensgebende Blume standen Akelei für Erlösung von Angst, Verlust und Einsamkeit. Denn vom Abschiednehmen handelten ihre Lieder. Schon allein die ersten Sekunden der feierlichen, in Melancholie schwelgenden Frauenstimme sorgte für Gänsehaut pur. Misha hatte sie bei ihrem Erscheinen als „Meisje“ (Mädchen) vorgestellt: „Nun haben wir ein Mädchen in unseren Reihen.“ Mit der zarten Mädchengestalt war im Doomladen alles anders. Aline Kuiper hatte eine der zauberischsten und betörendsten Stimmen, die ich je erlebte. Ihr Sopran war von einer unberührbar stolzen Aura, durchdringenden Blicken und verstohlen gefalteten Händen untermalt. Stringente Trossen forcierten dieses Bild nur noch. Während die geisterhafte Elfe den Doom für immer veränderte, wehte ein märchenhaftes Spiel von Schönheit und Anmut ins Baroeg, ein Fluidum, das mich in tiefe Demut stürzte: schwarz wie die Nacht, rot wie die Liebe und weiß wie die Ewigkeit. Final blieb ein Wermutstropfen für alle, die Niederländisch nicht verstanden. Akelei waren zum Sterben schön!
HEAVY LORD waren ein weiteres Rudel, das wir noch sehr genau von früher kannten - ein weiteres von den Toten auferwecktes! Nachdem sie vor zehn Jahren in der Versenkung verschwanden, hatten Vokalist Steven, Gitarrist Jeff und Trommler Wout die Gruppe ohne ihren durchgebrannten Sechssaiter Wes-Lee frisch aufleben lassen. Nach unserem letzten Erlebnis 2011 beim „Low Frequency Assault“ in Nürnberg kam es heute zur Wiederbegegnung. Heavy Lord waren damals Kult, heute sind sie Nostalgie voller Wehmut, genial makaber, immer und immer wieder! Mit „The Holy Grail“, „Elephaunt“, „Dope Smoking Days“ und „Gods of DOOM“ brachte der Dreibund uralte Heavy Doomer. Hinzu gesellten sich Experimente mit psychedelischem Siebzigerflair. Dabei gelang es jedem der Akteure anders rüberzukommen: Sei es die geradlinige, hochenergetische Körperlichkeit des zentral postierten Wout hinter der Batterie (der dem Ruf nach „Force the tempo!“ prompt superhart folgte); das manische bis halsbrecherische Headbanging des Gitarristen Jeff; oder die von Steven besetzte Frontmannfigur, die sich in einem verstörenden Schlußbild irgendwo zwischen Jack Nicholson mit gruselig verdrehten Augen und irre gebleckten Zähnen, lässigem Charmeur und hypnotischem Magier entlud. Diese Schau bleibt in unseren Gehirnen! Länger als der in die Decke und den Boden des Baroeg gerammte Bass. Heavy Lord aus Hellevoetsludge leben!
...... FAAL ......
Steven und Jeff waren welche von den Akteuren, die sich auch für die anderen interessierten. Fragen zu EREMIT konnte ich allerdings nicht beantworten. Die Osnabrücker waren offenbar unerwartet mit eigener Backline angereist, so daß sich der Umbau endlos hinzog. Dummerweise konnten sie ihre Gerätschaften erst direkt vor ihrem Auftritt durch den Seiteneingang auf die Bühne bugsieren. Und da Eremit nur aus zwei Leuten bestand, mußten sie sogar Besucher um Hilfe beim Tragen bitten. Dann lagen plötzlich Aufkleber mit ideologischer Geisteshaltung auf dem Händlertisch... Der Frontmann zeigte sich in Crustpunk-Aufmachung mit langen Filzlocken und Bart, einer Kappe voller Anstecker, roten Handschuhen, Brustschutz, Nylons und Ringelsocken. Zusammen mit seinem Fast-Ebenbild am Schlagzeug spielte er einen fiesen, aber wenig überraschenden Aufguß aus Sleep (Stoner-) und Conan (Sludge-Doom). Eremit kamen nicht so gut an; sie wirkten überambitioniert, dick aufgetragen und hinterließen einen moralinsauren Nachgeschmack. Trotz der subtil nebelumschwadeten Bühne wurde der Gig nach einem überlangen und zwei kurzen, schnellen Stücken dann ganz ohne Botschaften zu Ende gebracht. Eremit kamen und gingen als Phantome.
Mit Beginn der zehnten Stunde kam es zur Götterdämmerung mit einer Gruppe, die man nicht so oft sieht. Die Geschichte von MONOLITHE aus Paris begann vor langer Zeit. als Gitarrist Sylvain Bégot inspiriert von Kubricks Space Odyssee 2001 ein Funeral-Projekt gründete, das sich mit dem Ursprung und der Geschichte der Menschheit befasste. Zwischen 2003 und 2013 erschienen vier Kapitel vertont in vier Alben mit je einem Titel von Überlänge. Mittlerweile umfasst der Katalog neun Langeisen und diverse Kurzgeschichten. In diesem Jahr kam 'Kosmodrom' raus. Trotz ihrer ruhigen Ausstrahlung und obwohl der Auftritt mit „Monolithe III“ funeralig ruhig wie einer von Skepticism begann, gelang es den Franzosen, eine starke Sogwirkung zu entfachen. Mit tief gestimmten Gitarren, dunklen Orgeln und dem steinzeitlichen Geröchel des langhaarigen Rémi Brochard baute sich ganz allmählich eine atmosphärische Spannung auf. Dazwischen wurden ein paar mittelschnelle Death-Doomer jüngeren Datums gestreut. Aber final war das Ende dann ziemlich überraschend mit Auszügen aus dem Anfang der Schöpfungssage mit dem siebzehn Jahre alten „Monolithe II“ und dem Ursprung „Monolithe I“. Dabei kreuzte der Sänger seine Arme zu einem X.
 
Im Abspann wurden die letzten Biere spendiert und vernichtet, und zum ersten und einzigen Male ertönte „Doom Over The World“ von Reverend Bizarre. Als wir uns gegen elf Uhr auf den Weg zur Haltestelle Paasweide machten, entlud sich große Wehmut...
.:: ABSPIELLISTEN ::.
 
ACHE
(15.04-15.49)
1. Episode I: Chaos Reigns Compels the Hippocampus
2. Episode II: Measure and Rage
3. Episode III: The Waves in the Rivers of Bile
4. Episode IV: Homeless, Spineless and Wallow
5. Episode V: Last Resort's Sudden Gift
 
AKELEI
(16.20-17.03)
u.a.
Een van ons
Nabij
Hierna (van binnenuit)
 
HEAVY LORD
(17.30-18.15)
1. The Holy Grail
2. Elephaunt
3. Can´t Care Less
4. Necrology
5. Dope Smoking Days
6. Live Laugh Die
7. Gods of DOOM
 
EREMIT
(19.28-20.09)
Unbekannt
 
MONOLITHE
(21.03-22.12)
Intro
1. Monolithe III (Excerpt)
2. Onset of the 8th Cycle (Edit version)
3. Ecumenopolis (Edit version)
4. Soyuz (Edit version)
5. Engineering the Rip
6. Coil Shaped Volutions (Edit version)
7. Monolithe II (Excerpt)
8. Monolithe I (Excerpt)
Outro
Epilog
 
Montag, 7. November
 
Heute hieß es Abschied nehmen von Rotterdam. Jener verlief schrecklich undoomig. Langhaarige, Doomer oder Metalheads sahen wir an diesem erneut unsonnigen Tag keine mehr. Dafür trafen wir auf eine sterile neue Welt mit Läden ohne Kasse, Essbuden, die als Bezahlung nur Plastikkarten akzeptierten und Tore, die sich nur über einen „Scan“ öffneten. Aber Peanut vermutete: „Nächstes Jahr sind wir wieder in Rotterdam!“. Der von Pim organisierten Folge Nummer zwanzig war es erneut gelungen, nostalgische Gruppen für Anhänger der ersten Stunde mit dem aktuellen Geschehen im Doom der Niederlande zu vereinen. Es waren elf Killerbands! Auch mit Wiedersehensfreude hatte die Austragung nicht gegeizt. Pim sagte mir zum Abschied, daß er die Dutch Doom Days „immer weiter und weiter und weiter“ machen wird! Doch da wußten wir nicht, daß ein Todesfall einen schwarzen Schatten über das Jubiläum wirft:
 
Mittwoch/Freitag, 9./11. November
 
Am schicksalshaften neunten November gaben FAAL schweren Herzens den Tod ihres Freundes und Bandkollegen Pascal Vervest bekannt: “Pascal hatte um sein Leben gekämpft, aber den Kampf um sein Leben am Dienstag, dem 8. November verloren.“ Ich habe Pascal nie berührt oder mit ihm gesprochen. Aber ich sah ihn mit Akelei 2017 und Faal 2012 und 2016. Wir sind uns im Baroeg zigmal übern Weg gelaufen. Am Sonnabend haben wir das Bareog nach der letzten Gruppe zur gleichen Zeit verlassen: Peanut und ich den Spinozaweg links-, Pascal rechtsrum. Zweihundert Meter weiter wurde er an der Molenvliet von einer Straßenbahn erfaßt. Wir sahen die Lichter und hörten die Sirenen...
 
 
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((((((Heiliger Vitus)))))), 11. November 2022; Pascal Vervest: mit Faal 2016 im Baroeg
R.I.P. Pascal Vervest