EARTH, MOUNT EERIE, Ô PAON
D-Wiesbaden, Schlachthof (Räucherkammer) - 26. März 2012
(((o))) Ein Höchstmaß an Drone Doom konnte man heute erwarten. Niemand anders als die Erfinder der Vernichtung durch Schallwellen wollten Wiesbaden am letzten Montag im März in Schutt legen. Mount Eerie gaben Geleitschutz. Aber erstens kommt es anders, und zweitens... Zumindest lag der Preis fürs Dabeiseindürfen schon mal bei 17 Euro, Gesichts- und Kleiderkontrolle inbegriffen. Rund 150 Leute hatten sich im Klub versammelt. Darunter - als einzig mir bekannte - Kopfsockenträger Bremer und Trommler Eichmann vom Doomprojekt Radare. Bremer hatte Earth vor einem Jahr am selben Ort - und als „ganz mies, wie auf Drogen“ erlebt. Ferner waren da nur schwierige Freigeister Anfang dreißig, ein halbes Dutzend Langhaarige, eine B.SON-Bluse sowie eine neunmalkluge Glatze als Earth-Kenner. Alle übten sich in aufgesetzter Feierlichkeit, man traute sich kaum was zu sagen, Blitzlichter waren untersagt. Keine Freude ferner auch durch die Blutsauger hinterm Kramtisch, die für CDs 15 und für Vinyl sogar 25 Euro wollten (wobei sie nur neues Material offerierten, vom frühen Drone keine Spur). Wären sie doch nur alle vom Drone verblasen worden!
Der Abend wurde Punkt 20.05 Uhr von einem sensiblen Liedervortrag eingeleitet. Ô PAON - in Kanada geboren und im immergrünen Nordwesten der USA zuhause - war mir unbekannt. Laut Netz hat Ô Paon die „einmaligste Stimme aller Zeiten“. Jemand anders fühlte sich „weggeblasen“ durch Ô Paons Performanz in Bristol. Wieder ein anderer hatte sich gar in Ô Paon verknallt. Die Bühne in Wiesbaden war spartanisch. Hinter dem kryptischen Ô Paon, das eigentlich nichts anderes als „Der Pfau“ bedeutet, steckte ein Mädel mit blasser Haut, zersaustem Haar und dunklen Ringen um die Augen, das barfuß und mit geschulterter Gitarre Halt an einem Mikroständer suchte. Genevieve Castrée sang sechs Lieder auf Französisch mit Namen wie „Le Dernier Mot“, „La Cible“, „La Plus Puissante du Monde“ und „Sainte Patronne De Rien Pantoute“. Diese strömten wie ein stiller, dunkler, aber nur mäßig bewegender Fluß durch den Raum. Bemühter Lo-Fi-Untergrund traf auf studentische Kulisse: mehr gibt´s nicht zu sagen. Nach dreißig Minuten stieg Geneviève mit „Thank you, I´m down“ unter Applaus von der Bühne. Die aus zwei in den Wäldern um Québec lebenden Hexen bestehende Menstruations-Doom-Kommune Urine wäre erquickender gewesen.
Auf einen fließenden Übergang von acht Minuten - das halbe Auditorium vergaste sich noch im Außenbereich mit Nikotin - folgte ab 20.44 Uhr der Akt Numero zwei, gleichfalls mit Heim in Anacortes, Washington, und mit gleichem Ansatz unterwegs. Man befruchtet sich gegenseitig (wobei der gemeinsame Stil aber mehr der kleinen Warmbläserin half). „I am Phil Elverum and MOUNT EERIE is my band“, lautete der Gruß an Wiesbaden. Von Mount Eerie kursierten Filme, in denen sich Elverum - unter Mönchskapuze und Gitarrenverstärkern meditierend - an Noise Drone versucht. Gruppen wie Earth und Sunn schießen einem da sofort in den Kopf. Doch weit gefehlt. Denn heute gab sich der Zauberlehrling und Produzent als Chamäleon, das statt Heilung durch Doom Ödnis durch harmlose Lo-Fi-Folklore brachte. Elverum hatte gleich zu Beginn gewarnt: „I have only new stuff.“ Dieser hörte auf Titel wie „Distorted Cymbals“ und „Anglepoise Cymbals“, und war kein himmelkratzendes Bergmassiv, sondern ein seichter Hügel aus vielen Worten in unsagbar schwacher Optik. Nur in zwei von neun Teilen - in „Hidden Stone“ und „The Mouth of Sky“ - schimmerte etwas von verstörendem Drone durch. Das Denkwürdigste am Mt. Eerie war noch die zwölfsaitige Gitarre. Nach 35 Minuten war der poetische Dünnschiß vorbei. Die Frage nach einer Abspielliste habe ich mir verkniffen.
Ein verknöcherter Schrat, dem man das Böse regelrecht ansah (außer einer frischen Tätowierung auf der Hand kam aber nichts ans Licht), eine Dame aus der Mitte des vorigen Jahrhunderts an der Bassgeige, ein wie ein Honigkuchenpferd grinsender Bassist, und ein derbes Weib mit großem Busen hinterm Schlagzeug: Das waren EARTH. Dylan Carlson, Lori Goldston, Karl Blau und Adrienne Davies stellten die Besetzung aber nur heute. Denn in 23 Jahren gingen ganze Rudel an Künstlern durch die Gruppe aus Seattle. Earth sind Legende! Mit dem Brummbass-Angriff 'Earth 2: Special Low-Frequency Version' haben Earth 1993 die Dinge des Dooms verändert und einen völlig neuen Stil namens Drone Doom kreiert! Zur Vorgeschichte zählen auch Carlsons Freundschaft mit Kurt Cobain, dem er das zum Selbstmord führende Gewehr lieh, Verbindungen mit den Melvins, das lange Aua durch Drogen, sowie der Ruhm, von späteren Schallwellenreiter nicht bloß nachgespielt zu werden: Es haben sich bereits Gruppen nach Liedtiteln von Earth benannt! Ohne Earth keine Sunn O)))! Aus den dronigen Neunzigern bekamen wir allerdings nichts. Earth brachten nämlich nur den folkloristischen Americana des neuen Jahrtausends, der kaum mal länger als fünf Minuten ist. Außer der Durchsage „No flash, no recordings, no blitz!“ und einem hingekauzten „Hello Wiesbaden, guten Abend! Hope you have a nice show!“, agierte man ferner mit herausgeschnittener Zunge. (Die aufgesagten Ansagen „The next is...“ und „A new song...“ waren eher peinlich.) Niemand redete von damals, die Vergangenheit war totgeschwiegen und sämtliche Teile stumm vorgetragen. Es sprachen nur die Instrumente. Jedes Stück folgte dabei dem gleichen Ablauf, das nämlich das angeschlagene Riff grundsätzlich nur einmal verwendet und immer und immer wieder wiederholt wurde. Draußen hörte sich das wie eine Probe oder das Einüben von was Neuem an. Zu einigen Schwierigkeiten respektive Kunstpausen durch die Technik, kam die Tatsache, daß ausgerechnet der Meister einen äußerst verfallenen Eindruck hinterließ. Carlson und Konsorten wirkten sehr salbungsvoll bis weise und zugleich versteinert und frostig wie der Mount Everest. Aber wir haben bis zum Ende ausgehalten. Und zwar ohne Pflöcke fürs Ohr! Das als „Pop song“ vermeldete „Tallahassee“, der Zeitlupenzerstörer „Ouroboros Is Broken“, und die umjubelten „Bees Made Honey in the Lion´s Skull“ waren die Höhepunkte in einem ziemlich leblosen Auftritt. Nach einer Stunde, um 22.34 Uhr, waren die Götter eingeschlummert, eine womögliche Verlängerung geschenkt.
 
Zum dicken Ende geriet unser Heimweg. Die 28 Kilometer Luftlinie von Wiesbaden nach Frankfurt uferten zu einer Odyssee per pedes, zwei S-Bahnen, einer U-Bahn sowie einem Bus von sage und schreibe zwei (!) Stunden aus!
 
 

((((((Heiliger Vitus)))))), 29. März 2012
ABSPIELLISTE EARTH
1. Old Black
2. Badger
3. His Teeth Did Brightly Shine
4. Tallahassee
5. The Rakehell
6. Ouroboros Is Broken
7. The Bees Made Honey in the Lion´s Skull