EF, DATURAH
D-Frankfurt am Main, Ponyhof - 6. Mai 2010
Punk oder Postrock? „Hibbdebach“ oder „Dribbdebach“? Nord- oder Südseite des Mains? Gleich zwei bedeutsame Veranstaltungen waren an jenem Donnerstag im Mai aufeinandergekracht. Während sich im Frankfurter „Nachtleben“ die englische Punklegende Anti-Nowhere League und die Bornheim Bombs die Ehre gaben, war zwei S-Bahnstationen weiter im Sachsenhäuser „Ponyhof“ der Postrock zugange. Ich hatte Dribbdebach gewählt. Endlich wieder mal Daturah sehen! Vielleicht in luftigem Rahmen. Der Punk würde einige Leute ziehen, so die stille Hoffnung. Pustekuchen! Achtzig Piepel im Sturm-und-Drang-Alter, Möchtegern-Ches und schwierige Terror-Zoras, kurz: die Stadtguerilla, ließen das Adrenalin sprudeln. Es waren viel zu viele davon in diesem kleinen Laden. Aus dem Grund wurde sogar der Notausgang freigegeben, der über die Jungentoilette ins Freie führte. Auch Mädel gingen da hindurch - durch eine Toilette, die so schmutzig war wie manche Gedanken....
DATURAH begleite ich seit sieben Jahren an der Livefront. Mit Anfang zwanzig macht man nicht nur charakterlich einige Entwicklungen durch. Die Gesichter sind kantiger geworden, die Haare kürzer, die Bärte länger, die Körpersprache ist taffer. Und Daturah haben Zuwachs auf der Gitarrenseite: Der frühere Keyboarder Sebastian verstärkte die Front der Sechssaiter. Drei E-Gitarren, Bassgitarre und Schlagzeug: das sind Daturah 2010! Und: Man schweigt sich nach wie vor aus! Aber das beharrliche Totschweigen hat ja den hübschen Nebeneffekt, daß der Fan seine Gedanken frei und unbeschwert auf Reisen schicken kann. Ferner verzichteten Daturah heute weitgehend auf die stilüblichen Videoprojektionen. Klimek, Möller, Bellinetti und die im Publikum stehenden Heng und Ebert konzentrierten sich nur auf ihre Instrumente - und waren so düster und knallhart, wie ich sie noch nie erlebt habe. Es war fast schon beängstigend, wie perfekt und ohne jeden Mißton die vielen Stahlsaiten zusammenarbeiteten. Daturah lieferten ab 21.45 Uhr einen fünfzigminütigen Mahlstrom aus hypnotischer Spannung, auf dem oft und sehr heftig der weiße Schaum der Gischt britzelte. Bis auf ein Stück vom Zweitwerk 'Reverie' spielte das Kommando aus Frankfurt nur brandneuen Stoff. Daturah sind Vorreiter der deutschen Postrock-Bewegung, und mit so etwas Abgefahrenem wie heute schießen sie selbst ihre Idole weg. Herr Heng verabschiedete die Meute mit einem saloppen „Danke für´s Kommen! Danke für´s Mitschwitzen! Wir waren Daturah! Es geht gleich weiter mit Ef.“
EF aus Göteborg übernahmen pünktlich auf die Minute um 23 Uhr. Emotionen, Explosionen und Energie hatten Torsson, Öhman und Åström nebst zwei unbekannten, ergänzenden Mitgliedern versprochen (ein weiteres E für Experimente ließe sich hinzufügen). Ef bewarben ihr Neuwerk 'Mourning Golden Morning' - und inszenierten sich mit ihren Rock'n'Roll-Tollen, mit Muskelhemden und diversen Tätowierungen dabei so gar nicht wie endzeitlicher Postrock. Was sich aber nur aufs Äußerliche beschränkte. Denn künstlerisch erfüllten Ef alle Muster der Stilart vollauf - und versuchten dabei eine Abgrenzung durch den Einsatz von klarem Gesang, schrägen Instrumenten (wie einer Blasharmonika mit langem Gummischlauch als Mundstück) und einem Hang zu nordischem Folk. Ef variierten Tempo und Härte. Mal wirkten sie versonnen bis artifiziell entrückt. Dann wieder stürmten sie, daß die Planken nur so krachten. Ganz so wie eine Kreatur mit weichem Fell und scharfen Krallen. Alles in allem blieb Luft nach oben wie nach unten. Ef waren eine der Gruppen, von denen ich keine Platte kaufen würde. „Schreibst du eine Kritik?“, wollte eine Frau von mir wissen, lange bevor Ef überhaupt angefangen hatten. Auf mein „Ja“ hatte diese Frau mir wortlos etwas auf einen Zettel gekritzelt. Eine Viertelstunde vor Mitternacht mußte ich gehen. Den Zettel habe ich im Licht des neuen Tages entfaltet. Es stand da folgendes geschrieben:
((((((Heiliger Vitus)))))), 7. Mai 2010