EPHEMEROL, ATMO TAPES 98, BUCKETTOVSISSORS
D-Offenbach am Main, Waggon am Kulturgleis - 13. Juli 2012
((((((O)))))) Ein Rundschreiben von Maxim Engl hatte uns aus der Lethargie des Sommers gerissen. Ephemerol sollten im Waggon Offenbach auftreten. „Hoffentlich ist das dort nicht so politisch“, hatte meine Konzertkumpeline auf dem Hinweg noch Bammel gehabt. Schließlich fuhren wir zu ersten Mal zu dem exotischen Schauplatz. Er stand auf zwei stählernen Schienen zwischen dem Isenburger Schloß und dem Main. Und dort trafen wir auf Leute, die keiner Strömung folgten, sondern allenfalls Backbord und Steuerbord kannten (um es in der Sprache der Kähne auf dem Main zu sagen): Elektrofreunde, Musikfans, paar mit Motorradkluft und Vokuhila, die letzten einer aussterbenden Generation... Die Zahl schwankte zwischen 14 (bei Buckettovsissors), rund 40 (bei Atmo Tapes) und etwa 20 (bei Ephemerol). Mit vierzig war der alte Güterwagen auch rammelvoll. Wobei Raucher auf die Eisentreppe hinab zum Main verdammt waren. Da standen sie im Regen. Denn heute war nicht nur ein Freitag, der 13., sondern auch einer der vielen nassen Tage im Sommer 2012. Der Eintritt zum Waggon war frei, das Licht stimmungsvoll heruntergedreht. Papierschiffchen baumelten von der Holzdecke, Kruso und Astra dienten als Treibstoff. Alles schön und gut. Wäre es nur pünktlich losgegangen. Aus 21 Uhr wurde 22 Uhr. Damit tickte der Zeiger gegen unseren letzten Zug.
Ab 22.08 Uhr ging durch BUCKETTOVSISSORS der Elektro-Untergrund auf den Sender. Hinter dem verwirrenden Namen stand ein mit „Endzeit“-Hemd bekleideter Kahlkopf aus North Carolina, der aktuell jedoch in Frankfurt lebt. (Vermutlich einer der verirrten US-Soldaten, die nach dem Abzug in Rhein-Main hängengeblieben sind, so genau wollte ich nicht fragen.) Besagter Herr Goodman schob zwei daheim aufgenommene Stücke von je zehn Minuten durch die Lautsprecher. Das erste klang wie das Rumpeln eines Panzers, das zweite wie das monotone Dröhnen einer Maschinenhalle. Beide Stücke trugen noch keinen Namen. Sie waren erst neulich - nachdem ein Freund Goodman ein zweites Keyboard vermacht hatte - entstanden. Die Verkupplung der Tasteninstrumente mit zwei Verzerrern erzeugte einen ziemlich beklemmenden, knirschenden Effekt aus, und mit diesem Minimalismus kam Buckettovsissors prima bei den Leuten an. Goodman dankte mit Ansteckplaketten vom Experimentalforum „Klirrbar“, die er auf der kleinen Theke zum Mitnehmen auslegte.
Nach dem Erfolg des Amis führte ein Offenbacher die Elektrowell(t)en nahtlos und fast unbemerkt fort. Hinter ATMO TAPES 98 steckte einer der beiden Waggon-Macher, der in vielen Sparten und Projekten tätige Herr Kauke, dessen Ausstattung nur minimal teurer war. Kauke hatte seine alten Kassetten mit einem Weltempfänger und einigen kleinen technischen Gegenständen verbunden, und derart digitalisiert durch den Äther geschickt. Da Kauke selber unermüdlich am Schrauben war, stand ihm ein Adjutant zur Seite, der ihm im fliegenden Wechsel insgesamt drei Kassetten reichte. Mit unheimlichen Stimmen und einem Glucksen wie von Gollum hatte das begonnen. Darauf war das Leiern einer Orgel zu verorten. Dann wieder eine verfremde Rundfunkansagerin. Und ganz am Schluß der Lärm einer vielbefahrenen Autostraße. Benannt waren die Stücke mit „Étude“ und fortlaufender Nummer. Das Noise-Experiment aus Offenbach am Main war von 22.33 Uhr bis 23.05 Uhr auf Sender. Die Frage eines Besuchers, ob das am Anfang Schlümpfe waren, beantwortete Kauke in dadaistischer Manier mit: „Das waren Aufnahmen aus den Neunzigerjahren, ja, Dankeschön!“ - Danach gingen die Elektro-Nerds, und das „Moorsoldatenlied“ schlug eine seltsame Brücke zu den Helden des Abends...
Grundverschieden zu dem was war, kamen EPHEMEROL daher. Während die Performisten zuvor rein elektrisch agierten, kam bei den bekanntermaßen besten Dronerockern Frankfurts Organisches zum Einsatz. Zwar lagen bei Ephemerol auch allerlei elektronische Mätzchen am Boden rum, dazu hatte man aber auch einen Sechssaiter, einen Viersaiter und Trommeln in Stellung gebracht. Um 23.25 Uhr begann die Schau, und zumindest das volle Programm von fünfzig Minuten wollten sie bringen (bei Verlangen auch mehr, wie Maxim Engl mir sagte). Damit war das Ende für uns verloren. Aber welch´ eine Dreiviertelstunde war das bis dahin?! Doom in Reinform. Hochgradig zeitlupenhaft im Tempo. Mit endzeitlich getrimmten Apparaturen. Und von Kopf, Herz und Bauch gemacht. Pures Pervitin für die Seele! Erst durch die hallenden Drone-Teile „Last Fortress“ und „Disregor“ (währenddem der Trommler versteinert den Blick nach unten richtete). Und schließlich noch durch die Repetierdroge „H Remains“! Jedes weit über zehn Minuten, „H-Remains“ vielleicht auch an die 15 Minuten heran. Ich wußte ja schon gar nicht mehr, was Doom überhaupt ist. Alle paar Sekunden schlug mein Herz einen Purzelbaum. Allein diese Variation war die Exkursion nach Offenbach wert. Zehn Minuten nach Mitternacht mußten wir „Tschüss“ sagen. Zu der Zeit zeigten Ephemerol ihr anderes, das irritierend avantgardistische Gesicht.
 
Da die geplanten DJs Brigant Oaschloch & DCP nicht länger warten wollten, und vorm Hauptakt einfach verduftet sind, waren Engl, Eckhardt und Prochir noch etwas länger am Werk. Vermutlich genauso lange wie in den Vorjahren: 70 Minuten! Zwei Straßenzüge weiter, schon hinterm Schloß, waren Ephemerol immer noch zu hören... In der S-Bahn nach „Hibbdebach“ (rechte Mainseite) fuhr auch die Offenbacher Jugend zur Brautschau in Frankfur mit. Ich denke noch heute an den Waggon in der Mainstraße. Der Abend war grau, verregnet und trotzdem so schön!
 
 
((((((Heiliger Vitus)))))), 17. Juli 2012
ABSPIELLISTE EPHEMEROL
1. Last Fortress
2. Disregor
3. H Remains
4. The Unspeakable
5. embryO dreamS oF
6. SNF
7. Every Man's Albatross