FINSTERFORST, DREAD SOVEREIGN, BIFRÖST, ANOMALIE
D-Frankfurt am Main, Das Bett - 28. Dezember 2015
„LEMMY IST TOT!“ Ich wollte mich gerade an die letzte Nacht erinnern, als plötzlich das Telefon klingelte und sich am anderen Ende die zitternde Stimme meiner Freundin meldete. Kurz nach Philthy und seinem Siebzigsten hatte sich unser Lemmy nach einem verheerenden Medizinerbescheid zum Whiskeytrinken drüben im Himmelreich entschieden - und damit uns auf der Erdenwelt allein gelassen. Der Vater! Unmöglich jetzt noch Fassung zu bewahren. Mit Peanuts Nachricht war die RAUNÄCHTE-TOUR im Bett noch unbedeutender geworden, als sie es ohnehin war. Während wir an der Bar saßen, war es auf der anderen Seite des Erdballs zu einer fürchterlichen Tragödie gekommen. All die schrecklichen Ereignisse am Ende des Jahres fanden ihre Fortführung. Wir hätten es bei der Reise zum „Low Frequency Assault“ in Nürnberg belassen sollen. Denn auch die ersehnten Doom-Bringer für Frankfurt waren keine! Lassen wir uns den Abend kurz rekapitulieren... Fünfzig juvenile Schattenwesen hatten für einen Zwanni den Weg ins „Bett“ gefunden, darunter zwei Rapunzel im Wettstreit um die wildeste Headbangerin. Und für so manchen begann der Abend mit gehörigem Groll...
... denn als wir zur erklärten Zeit im Bett eintrafen, kredenzte das Septett ANOMALIE bereits sein vorletztes Teil. In einer Art Treppenwitz erfuhren wir anderntags, daß in der letzten Stunde vorm Konzert der Fahrplan geändert und der Beginn um vierzig Minuten auf 19.20 Uhr vorverlegt worden war. Dies erfuhr der geneigte Gast aber nur, wenn er im Fakebuch vertreten und unmittelbar vorm Konzert auch noch dort drin war. Unser Bekannter, der Murmler, brachte uns auf den Stand. Die Österreicher hatten 19.35 Uhr angefangen, und sphärischen Post Black Metal gespielt, der grundverschieden zu den Nachfolgenden war. Wir wurden um die beste Gruppe der Nacht geprellt!
Halb neun gehörte die Bühne ein zweitesmal einem Kommando aus Austria. Sie war nun von Aufstellern flankiert und aus dem Boden waberte unvermindert Nebel. Drei der sieben von Anomalie standen mit vertauschten Apparillos erneut auf den Bohlen, die Gitarristen zuweilen auch überhöht neben den Bühnenboxen. Die nach der Regenbogenbrücke zwischen Midgard und Asgard benannten BIFRÖST zelebrierten heidnischen Pagan Black Metal rammelvoll mit rohem Charme. Sämtliche Lieder waren in Germanisch gehalten und erzählten aus der nordischen Mythologie. Die lebendigen, nicht unangenehmen Figuren gaben dem Auftritt so was wie Seele, nicht zuletzt durch etliche schwarzhumorige Einlassungen (die manchmal auch etwas schundig waren; eine Anstiftung zum Saufen war entbehrlich: Ragnar, van Mattherhorn, Nordolf, Leão und Severni taten dies selbst seit drei Tagen). Im Großen und Ganzen schlug sich das Sextett aus dem Salzburger Land wacker und glänzte durch Wucht und Rasanz. Das letzte durfte die Meute wählen. Es ging mit 3:1 Stimmen an „Der Mönch“.
Um neun holten die vermuteten Heilsbringer zum doomigen Gegenschlag aus. Vor einem Jahr, zu den Dutch Doom Days, hatten DREAD SOVEREIGN ein phantastisches Langeisen über religiöse Grausamkeiten, Schmerzen und menschliche Barabarei geschmiedet. Dessen Klänge wandelten zwischen traditionellem und epischem Doom, und es war mit Drone-Passagen veredelt. 'All Hell´s Martyrs' war wie eine Vereinigung von Saint Vitus mit Solitude Aeturnus in einer sehr dunklen Umgebung. Nur für ein Wiedersehen mit Nemtheanga, Bones und Sol Dubh hatten wir uns auf den Weg in die große Stadt gemacht. Halb zehn ertönte der Ausruf: „Are you ready for some Doom Metal? - Let´s do it!“ Doch nach wenigen Takten war rein vom Gefühl her klar, daß die Iren nicht zum Doomen ins Bett gekommen waren. Selbst ein Seufzer wie „O Frankfurt, we are fucking doomed“ überzeugte da nicht. Dread Sovereign hatten sich ihren Tourkollegen ästhetisch angeglichen und servierten weitgehend doomfreien Achtzigerjahre-Hardrock, der mit seinen gefrickelten Solis und Posierereien durchaus als Thin-Lizzy-Anhimmelung durchgehen konnte, und der trotz seiner melodischen Ausrichtung beim eher auf härtere Töne stehenden Publikum gut ankam. Alle glaubten, Doom vor sich zu haben. Aber daß war gar kein Doom!! Böse Zungen würden es Gitarrenonanie fickt Rockstarbullshit nennen. Und wie in einer fürchterlichen Ahnung wurde einem Teil sogar das Kleid von Motörhead verpaßt. Der heute einzig ansatzweise Doomer - „Pray to the Devil in Man“ - wurde mit „Fuck you Jesus Christ!“ angesagt. Schreie nach „666 Cathars to Their Doom“ besiegelten eine Schau, die unter dem Namen PRIMORDIAL ehrlicher gewesen wäre. Kein Wort zur eigenen Gemütslage während dieser Dreiviertelstunde! - Überstrahlt wurde die Schau von den mitgeführten Fanartikeln. Neben Shirts mit den acht Stationen der Raunächte-Tour, verschacherten die Iren die limititerte Version ihrer Platte auf zwei blutroten, jeweils 180 Gramm schweren Vinyl-Tionträgern. Zusammen mit der schweren Klapphülle und den bedruckten Innenseiten wog das Schmuckstück über 600 Gramm! Darin liegt der echte Doom!
Propaganda, zwei Sechssaiter, ein Fünfsaiter, Akkordeon (!), Orgel, Trommel: Auch beim Hauptakt war das Geviert heillos überladen. Es schien, als seien mehr Menschen auf der Bühne als drunter. FINSTERFORST kamen in rußverschmiert aufgekrempelten Weißhemden und schwarzen Beinkleidern und spielten einen Mischling aus Volksmusik und Metal. Gloriöse Geschichten und martialische Aufrufe paarten sich mit Stolz und der Sehnsucht nach Freiheit. Wobei die Kapelle aus dem Schwarzwald in Sachen Inszenierung noch einen draufsetzte, und ihre Gitarristen auf überhöhte Lautsprecher stellte, währenddem aus dem Boden Nebelfontänen schossen - so daß der Betrachter an Menschen auf Scheiterhaufen erinnert war. Ferner regierten derb-debile Faxen, pralles Gehabe, synchron in die Luft gereckte Fäuste und Teufelsbekundungen. Und ja, tatsächlich: Der Sänger war in Frankfurt. Rasch war die Schmerzgrenze erreicht. Worte, Töne und Optik waren derart abgedroschen und hemmunglos verkitscht, und die Klischees wurden so lustvoll gefeiert, daß der naive Klamauk der Schau schon wieder Kult war. Finsterforst waren wie ein wuchtiges Spektakel, bei dem allein die Materialschlacht jedes Loch stopfte. Ein „In Extremo“ auf Schwarzwälderisch, das nach höheren Weihen lechzte. Mit „Zeit für Hass“ und „Mach Dich Frei!“ war im Mitteleteil zwischenzeitlich Schluß mit Volksliedgut, bevor man mit der „Vogelhochzeit“ in alte Peinlichkeiten verfiel. Die zwei Dutzend, die trotz Pomp und Pathos bis zum Ende durchhielten, waren entweder Freunde oder betrunkene Bettgänger. Final zogen Finsterforst einen unerwarteten Joker und spielten mit „Fremd“ ihr bestes, schwarzmetallischstes Stück.
.:: ABSPIELLISTEN ::.
 
ANOMALIE
(19.35-20.16)
1. In Fear of Tomorrow
2. Between Reality and The World Beyond
3. Blinded
4. Leaving Somnia
5. Untouched Walls
6.Refugium
 
BIFRÖST
(20.26-21.05)
1.-3. unbekannt
4. Waffenbruder Niedergang
5. Mana Ewah
6. Der Mönch
 
DREAD SOVEREIGN
(21.28-22.11)
Intro
1. Thirteen Clergy to the Flames
2. Heroin
3. Pray to the Devil in Man
4. We Wield the Spear of Longinus
5. The Devil´s Venom
6. Cathars To Their Doom
 
FINSTERFORST
(22.32-23.40)
1.+2. unbekannt
3. Lauf der Welt
4. unbekannt
5. Des Waldes Macht
6. Zeit für Hass
7. Mach Dich Frei!
8. Vogelhochzeit [Deutsches Volkslied]
9 Stirbt zuletzt
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10. Fremd
Das Ende vom Lied? Die Rauhnacht in Frankfurt war schnell vergessen. Keine 24 Stunden später stießen Peanut und ich auf LEMMY an. Danach stieg in unserer Behausung ein Lemmy-Gedächtnisabend mit Germanentrunk, selbstgemachtem Eierlikör (Whiskey war nicht greifbar) und alter, lauter MOTÖRHEAD-Musik! Und das sollte nicht der letzte sein. Lemmy für immer!
 
 

Heiliger Vitus in der Silvesternacht 2015 (wenige Tage nach Lemmy)