FLEAS AND LICE, RED WITH ANGER, STATUS // HYSTERIE
D-Frankfurt am Main, AU - 22. Juli 2006
Ene, mene, miste... •••••• *, die feuerrothaarige Chef-Punkette der AU, war schuld, daß wir diesen Juliabend nicht so schnell vergessen sollten. „Die werden dir als Metaller gefallen!“ hatte •••••• mir vor einem Monat beim letzten Besuch in der AU über Fleas and Lice gesagt. Der Tag war gekommen, Frl. P. und ich hatten extra Urlaub genommen, um nicht mit dem Marathontraining zu kollidieren, waren statt den planmäßigen 35 nur 20 Kilometer gelaufen, waren dennoch knülle und leer, waren trotzdem im besetzten Haus angerückt, hatten sieben Euro Eintritt entrichtet und uns arglos an der sommerlichen „Furcht Bar“ niedergelassen. So weit, so normal. Wäre nicht gleich darauf ein Überfallkommando aus •••••• und dem AU-Punk mit dem Doppel-Iro auf uns zugesteuert. Grund: Mein bevorzugtes Hundstageshirt der japanischen Doomer Church of Misery mit dem „Sick of Living (Zodiac)“-Motiv - vorn: Lustmörder Zodiac, hinten: dessen Erkennungszeichen, ein Tierkreis. Jemand hatte den Tierkreis aber für ein Keltenkreuz und damit als Erkennungssymbol der Nazis gehalten, und dies dem Personal gesteckt - welches mir nun freundlich aber unmißverständlich beibrachte, daß meine Kleidung „unerwünscht“ sei. Wobei ich noch Glück im Unglück hatte: Einerseits wurden wir nicht rausgeschmissen - man kennt sich schon so lange -, andererseits wurde ich vom Übelgesinnten nicht geschlagen - durch den Schutz der AU-Leute. Ein Hemdentausch beendete die unliebsame Szene: Haßobjekt gegen Küchenbulle (altes Volksküche-Motiv mit stoppelbärtigem Koch, geschenkt von dem AU-Punk). Trotzdem wurde es ein Abend, bei dem unklar blieb, wer gut oder böse ist.
Vier verfilzte Aachener, die sich STATUS//HYSTERIE nannten, machten kurz vor elf den Anfang. So verhirnt der Name, so verhirnt der Krach. S//H boten experimentellen Hardcore mit politischer Agenda und einer Stimme, die eher Metal als Punk war. Der Vokalist grunzte und röchelte - und dies am Anschlag. Die „Stimme“ war dann auch der prägende Moment bei Status//Hysterie. Hatte doch der Fronter den Konzertkeller ganz für sich vereinnahmt um wie ein Geisteskranker unter immer neuen Mutationsschüben in einer Gummizelle umherzutoben. Mal eine Wand anschreiend, mal Auge in Auge einen verschreckten Besucher anbrüllend, mal depressiv zu Boden stürzend, dann wieder manisch die Decke anwimmernd. Die Gitarren stifteten so was wie den Sinn zum Unsinn. Status//Hysterie waren chaotisch schnell - und ebenso chaotisch schnell vorbei. Trotz Weigerung des Sängers - „Ich kann nicht mehr reden!“ - gab es sogar noch eine Zugabe, und nach zwanzig Minuten durfte der Vokalist brausen gehen. - - Umbau... Besuch an der Bar... Ich hatte mich gerade auf den Tresen gelehnt, als •••••• sich mit einem Schwung darüber beugte, daß sich ihre Nasenspitze fast mit meiner berührte - um sich für das Geschehene fast ein wenig schüchtern zu entschuldigen - „Das tut mir so leid!“ -, und verstohlen eine Literflasche eisgekühltes Elixier nach Hamburger Rezept aufzuschütteln (eine Mixtur fifty-fifty aus diversen Destillaten und Zitrusfrüchten). Andere wiederum frönten dem bajuwarischen Punker-Bier „Pogorausch Pralles Pils“. Der tanzende Stachelpunk auf dem Etikett sollte der einzige seiner Art bleiben.
Ab 23 Uhr 40 hatten vier Bilderbuchpunker aus Göttingen ihren Einsatz: Nille, Heiko, Patrick und Schmied alias RED WITH ANGER. Und die machten - obwohl erst kurz zuvor eingeschlagen - tierisch was los. Ähnlich der Statushysterie, fuhren auch die Niedersachsen die turboschnelle, knallharte Schiene. Waren dabei aber mehr dem brachialen Hardcore als dem metallischen Crust verpflichtet. Ein rasselnder Sechssaiter, ein hackendes Schlagzeug, zwei rigorose Tiefsequenzer, drei harsch-böse Stimmen forciert durch aggressiv-agnostische Propaganda: Es glich einem Feuerstoß aus der Kalaschnikow, was nun durch die AU knallte. Ein Anti-Song jagte den anderen. Wie der für die Klugscheisser und Besserwisser der Szene ( „Punk Police“ ). Oder der über Menschen, die von anderen Menschen unterdrückt werden ( „Schreie“ ). Red With Anger zogen gegen alles und jeden und insbesondere gegen das System! Und dies mit mit einem Höchstmaß an Entschlossenheit und Nachdruck. Es ist schwer in Worte zu fassen... Von Punk wie ihn RWA machten, muß man sich selbst ein Bild machen. Die Jungen waren packend von der ersten bis zur letzten Sekunde. Obwohl sie fanden, daß sie „noch nie so beschissen gespielt haben“. Na dann Obacht, wenn die mal die Katjuschas aufheulen lassen. So wie zur „Deadline“. Red With Anger waren in meinen Augen eine der besten Gruppen, die die AU jemals sah. Das war Crust-Punk in Vollendung! Feurig wie Chili und gepfeffert brutal! Red With Anger!
Als Rausschmeißer fungierten die in Groningen ansäßigen, niederländisch-schottischen Crust-Veteranen FLEAS AND LICE. Als Sextett hatten sie sich positioniert. Mit Robbie und Esther an den Mikros, den Gitarristen Pierre und Jim, dem Trommler Pelle und Kilt-Bassist Stiff (welcher sich beim Besteigen und Verlassen der Bühne alkoholbedingt beinahe das Genick gebrochen hätte). Na ja, die Flöhe und Läuse eben, die Oberasseln des schnellen, melodiösen Hardcore Punk, von denen •••••• so geschwärmt hatte... Mit zwei furchteinflößenden Figuren an der Front: einer Glatze mit Hool-Charme, und einer Amazone, die einem glatt den Arm durchbricht. Auch der Rest wirkte grell. Rein äußerlich eine Wucht. Doch fast wie geahnt, entpuppten sich die netten Nachbarn aus Oranien stilistisch als locker und verkitscht. Fleas and Lice waren wie abgestandenes und von wenig geistreichen Ergüssen aufgeschütteltes Pogorauschbier. Wobei Frau Esther offenbar den Pseudopunk „Schweini“ Schweinsteiger anhimmelte. Wollte sie doch „nie ein Kind haben, doch nun - bei dem Namen - gleich vier auf einmal.“ Und alle sollten „Schweinsteiger“ heißen. Jeder Nummer folgte fortan ein lautes „Hup“ auf „Schweinsteiger“! Oder Herumalberei etwa um das „Magic Spray“, mit dem Esther ihr Killerorgan ölt. Doch ich will nicht ätzen, den Crusties in der AU hat´s gefallen. Und die, für die Tanzen nicht gleich „emo“ ist, haben heftig gepogt. Einzig der Verfasser und seine Adjutantin hatten nach einer halben Stunde genug vom „unkompliziertes Punkrock“, wie Esther ihn nannte. Zehn nach eins ließen wir den Löwen in seinem Hemdchen steh´n.
 
Ene, mene, muh... Dies war unser letzter Hausbesuch in der AU Frankfurt.
 
 
Der Heilige Geist, 25. Juli 2006
 
 
* Zensur
Namen und Inhalte fielen zum Teil der Zensur zum Opfer
 
Keine Unterwerfung ist so vollkommen wie die, die den Anschein der Freiheit wahrt. Damit läßt sich selbst der Wille gefangen nehmen. (Jean-Jacques Rousseau)
.:: ABSPIELLISTEN ::.
 
STATUS//HYSTERIE
(22.50-23.10)
1. Don´t Stop!
2. Hoffentlich schon...
3. Konserventerror
4. Absprung
5. Das neue
6. Realität
7. Strudel
8. Bis nix mehr geht
9. Standardverfahren
 
RED WITH ANGER
(23.40-0.15)
1. Another Fucking Day
2. Opfer
3. Two Faced
4. Stumme Rache
5. Scum
6. Punk Police
7. Guilty
8. Massengrab
9. Schreie
10. Deadline
11. D.I.Y.
12. Burn
13. Letzter Tanz
14. Bring Action Back to Punk
15. Nacht
16. Kein Vergessen
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17. Another Fucking Day
 
FLEAS & LICE
(0.30-?.??)
1. Woke Up This Morning
2. Free World
3. Industrial Brutality
4. Paranoid World
5. Fuck Chirac
6. Up the Punks
7. No Division - No Confusion
8. Take it Back
9. Delirium Tremens
10. Prepare for Armageddon
11. Insane
12. I Don´t Need You
13. The Pain [The Restarts]
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14. Sick of it All
15. Living for Pleasure Not for Pain
Pogorausch und Übeltäter