GODSPEED YOU! BLACK EMPEROR, KGD
D-Frankfurt am Main, Batschkapp - 24. April 2018
Es gibt so Geschichten, die müssen einfach geschrieben sein. Der Auftritt von Godspeed You! Black Emperor war so eine. Nicht genug damit, daß die Künstlergemeinschaft aus Montreal viele Grundprinzipien des Postrock erfunden hat. Nein, sie hatte sich bislang auch selten in Europa gezeigt. An diesem Dienstag im April kreuzten die Kanadier in Frankfurt auf. Und das vorm Hintergrund des Anschlags mit einem Lieferwagen und zehn Toten in Toronto tags zuvor... Wenigstens war man angesichts der Gesinnung von Godspeed in der Batschkapp sicher! Aber: Zwei Stunden Avantgarde zum Normalpreis von 34,50 Euro pro Person - war es das wert? Frau Peanut befand, daß wir uns das trotzdem nicht entgehen lassen sollten. Der hohe Obolus war gewiß auch schuld, daß die Halle mit fünfhundert Besuchern nur zu einem Drittel gefüllt war. Auch die Empore blieb heute zu. Andererseits vertrieb der Saalschutz zwei Gäste vom Geländer eine Podests - um dort Stühle für ein Paar zu drapieren. Selbst in der Subkultur sind eben nicht alle gleich. Unter der Menge befand sich Joe Muff von den verblichenen Hessaja (jetzt: Sarkh), der mich ganz am Ende grüßte. Joe hatte sich den Weg aus Weilburg gemacht. Doch auf die große Spannung sollte Ernüchterung folgen... So verdeckt sich GY!BE immer gaben, so spartanisch offenbarte sich auch deren Händlerstand. Neben dem Album 'Luciferian Towers' als CD und Vinyl, hatten sie nur Stoffbeutel und ein Shirt mitgebracht. Letztere waren klimaneutral, „ausschließlich mittels erneuerbarer Energie aus Wind und Solarkraft hergestellt“, das Stück zu zwanzig Euro...
Der Abend startete mit Konfusion. Pünktlich auf die Minute um 20 Uhr warf ein unscheinbarer Knilch einen in die Bühnenmitte gestellten Synthesizer an - um tief über Selbigen gebeugt einen klinisch kalten Brummton zu erzeugen, der in kleiner Amplitude an- und abschwoll und überhaupt nicht mehr aufhörte. Die meisten vermuteten, daß der Typ zu Godspeed gehört und denen das Feld ebnet. Minute um Minute verrann - und der Ton stand wie ein Störsender nervenzerrend im Raum. Und er hielt sehr lange an. Ein Ton - neunundzwanzig Minuten! Die Aufklärung folgte später: KGD alias Kevin G. Doria war Support für Godspeed - tauchte nur nirgends im Programm auf. Der aus Olympia, Washington stammende Künstler hatte mit seiner Drone/Noise/Ambient-Band Growing (ehemals 1000 A.D.) vor zehn Jahren schon für Japans Drone-Doomer Boris eröffnet, ebenso war er in der Vergangenheit mit Godspeed unterwegs. Ferner betrieb Doria ein Projekt namens Total Life. Resümmierend funktionierte KGD aus USA als erweiterte Inthronisation des Schwarzen Kaisers aus Kanada. Böse Zungen würden sagen: KGD war eine Empfehlung für das Schlechteste Konzert aller Zeiten. Als ich kapierte, daß KGD ein separater Akt war, war es zu spät für ein Foto...
Wenige Minuten vor Ende der neunten Stunde bewegten sich nach und nach die schwarz gekleideten Hauptdarsteller auf die Bühne. Und das brauchte seine Zeit. Denn GODSPEED YOU! BLACK EMPEROR (zu deutsch: Gute Reise Dir! Schwarzer Kaiser), kamen mit drei Gitarristen, zwei Bassisten, zwei Trommlern, Cellist und Violinistin. Bei den Neunummern „Fam/Famine“ und „Undoing a Luciferian Towers“ durfte überdies die rückwärts zum Publikum gewandte Saxophonistin Mette Rasmussen ihren Senf dazugeben. Immerhin waren mit den Sechssaitern Efrim Menuck und Mike Moya sowie Viersaiter Mauro Pezzente die Gruppengründer von 1994 dabei. Der vom „Hammer der Hoffnung“ filmisch untermalte Titel „Hope Drone“ leitete die Aufführung ein. Wobei die Filmkunst eine entscheidende Rolle spielte. Denn der heimliche Star war der Filmvorführer, der seine Vorstellung wie in einem alten Lichtspielhaus mit vier analog ratternden Projektoren in brillianter Optik inszenierte, und damit mehr als nur die flächigen oder pulsierenden Avantgardeklänge von Godspeed unterlegte. Offiziell gilt der Filmvorführer sogar als Teil der Band (das zehnte respektive elfte)! So wurde der gesamte Auftritt von grobkörnigen Schwarz-Weiß-Filmen begleitet, die in zwei vertikal gegenläufigen Schleifen über den Bühnenhintergrund flackerten. Diese dienten gewissermaßen als Propaganda zur rein instrumentalen Musik. In den Sequenzen und Aufnahmen sah man unter anderem eine Geisterstadt, düster-verschneit unter sternenleerem Himmel; sauren Wind, verbrannte Berge, ausgetrocknete Flüsse; eine Dampflok, die sich in die Natur träumte, sowie das Gerippe eines Wolkenkratzers, das in rasender Kamerafahrt wie als bissiger Nadelstich den Kollaps der teuflischen Türme assoziierte. Alles explodierte in einer Montage aus Kriegsfilmen und Schreckensbildern, die die ideologische Ausnahmestellung von Godspeed verdeutlichte, und als Sinnbild der Weltenbrände der jüngeren Vergangenheit gesehen werden konnte. Nachdem erst Kampfbomber vom Himmel stürzten, öffnete das Enfant terrible des durch und durch unpolitischen Genres final mit brutalen Aktionen des Militärs die Pforten zur Hölle. Rein klanglich fiel die Darbietung dagegen irritierend flau aus. So strömten die ersten zwanzig Minuten zäh wie Phosphor und glichen eher denen eines großen Symphonieorchesters als britzelnden Postrockern. Körperlichkeit hatte keinen Platz, das meiste geschah im Sitzen. Und viel intensiver oder gar tief wurde es auch nicht! Richtig ab ging es nie! Godspeed You! Black Emperor hinterließen ein äußerst selbstbezogenes Kammerspiel, daß seine Gäste zwei Stunden lang keines Blickes würdigte und in puncto Phlegma auf einer Stufe mit Bohren und der Club of Gore stand - es wirkte wie eine lustlose Pflichtübung. Am Ende blieb nur das Begehren nach einem grenzenlosen ALL FREE NOW...
 
 
Heiliger Vitus, 26. April 2018; Bilder: wegen Kameraverbot mit Funktelefon gemacht
.:: ABSPIELLISTEN ::.
 
KGD
(20.00-20.29)
Blurred Visions
 
GODSPEED YOU! BLACK EMPEROR
(20.54-22.58)
1. Hope Drone
2. Mladic
3. Monheim
4. Fam / Famine
5. Undoing a Luciferian Towers
6. Dead Metheny
7. The Sad Mafioso
8. String Loop Manufactured During Downpour