KATATONIA, SÓLSTAFIR, SOM
D-Frankfurt am Main, Batschkapp - 16. Februar 2023
Das Konzert von Katatonia und Sólstafir in Frankfurts großer Konzerthalle „Batschkapp“ geht als eines der dunkelsten Kapitel in meine Annalen ein. Der Groll richtet sich aber nicht nur gegen den Abend, sondern auch an die Zeit davor und danach. Und dabei war alles nur einer Kette von Zufällen zu verdanken... Mangels Konzerten und in Erwartung eines hohen Fanaufkommens - die „Twilight Burials“-Tour kam nur in sechs deutsche Großstädte -, hatte ich vor langer Zeit zwei Karten blind gekauft: 42 Euro das Stück! Nach neuen Hörproben war dann aber die Begeisterung für die Supergruppen des Melancholic Metal rasch verflogen. Unter anderem hatte ich seit einer Ewigkeit Katatonias 'Viva Emptiness' aufgelegt, und mich gefragt, wie mir dieses Album jemals gefallen konnte... Kurzum: Bevor ich mich mit meiner Freundin auf einer weiteren Veranstaltung fürchterlich langweile, hatte ich unsere Karten zum Kauf angeboten. Jemand aus der Eifel meldete sich. Der hatte eigentlich den Auftritt in Köln angepeilt, doch an dem Tag mußte seine Freundin arbeiten. Also wollte er sie mit einem Abend in der Ferne überraschen. Und dann hatte auch die eigene Frau wieder Lust auf ein paar Stunden in der Batschkapp... Das Ende vom Lied: Der Unbekannte erwarb über die Batschkapp erst ein personalisiertes Ticket für sein Mädel, und dann noch eins für sich. Sodaß der Weg für Peanut und mich ebenfalls frei war. Und zwar auf den letzten Drücker - vorm Streik des Nahverkehrs ab Freitag. Riesenschwein hatte auch der Tross, der am Mittwoch noch in England gastierte - während der Frankfurter Flughafen wegen eines durchtrennten Kabels komplett schließen mußte. Doch am heutigen Donnerstag konnten wieder Flieger landen, und auf die Sekunde genau um 19 Uhr ging es im Stadtteil Seckbach los...
Das Vorspiel bestritten SOM, ein Quartett aus ehemaligen Mitgliedern der Bostoner Spacerocker Constants und Livemusikern von Junius und Caspian. SOM spielten sieben Lieder, die sich extrem ähnelten, gleichförmig klangen und am ehesten als Postrock bezeichnen ließen. Doch die Amis legten die beste Körperlichkeit unter den Gruppen hin. Anders gesagt: SOM fühlten sich als die Echtesten der Nacht an. Nach zwanzig Minuten kam Frontmann Will Benoit allerdings zu einer simplen Erkenntnis mit den Worten: „You waiting for Solstafir-time? You waiting for Katatonia-time? Good news: Both bands playing! We have two more“ Nach einem halben Stündlein waren die USAler durch. Am Ende standen sieben von sensibler Stimme, weichen Gitarren und einer poetischen Atmosphäre getragene Lieder für die Masse. Neben seinem Dienst für SOM verdingte sich Trommler Justin auf der Tour durch Europa auch als Lichtmischer für Katatonia...
Mit ihren geschmackvollen Klamotten hatten SÓLSTAFIR in puncto Fanartikel die Nase klar vorn. Wäre ich Anhänger von Sólstafir, hätte ich 55 Euro für eine Kapuzenjacke springen lassen. Aber die Isländer waren mir von ihrem Auftritt 2017 in Dresden in keiner guten Erinnerung. Im Grunde hatte sich nichts geändert. Vor uns thronten vier bärtige Männer in Schwarz: zentral der Gruppengründer Aðalbjörn Tryggvason als einziges Urmitglied. Flankiert wurde er von Sæþór Sæþórsson und Svavar Austman, die mit ihren Hüten, Sonnenbrillen und langen Bärten wie Ebenbilder von ZZ Top wirkten. An den Trommeln saß immer noch Hallgrímur Hallgrímsson. Mit eintausendfünfhundert Menschen war die Batschkapp ausverkauft und bei Sólstafir herrschte das größte Gedränge. Vor der Bühne quetschten sich die Leute wie Sardinen, sodaß der Saalschutz den Bereich absperrrte. Man möchte sich nicht ausmalen, hätten wie im „Bataclan“ Bewaffnete die Halle gestürmt... Zur unchristlich frühen Stunde von 20 Uhr starteten die „Antichristian Icelandic Heathen Bastards“ in ihre Schau. Derweil die Bühne wie in einem Spiel zwischer Feuer und Eis fortlaufend ihre Farbe von tiefem Blau über episches Weiß und flammendes Rot zu geheimnisvollem Lila wechselte, rieselte in den nachfolgenden achtzig Minuten ascheweicher Pop durch den Äther, der noch milder war als der Postrock vor sechs Jahren. Nur das semiaggressive „Melrakkablús“ und das noch ältere „Bloodsoaked Velvet“ weckten Erinnerungen an Zeiten als Sólstafir Black- und Viking Metal huldigten. Die unsagbar seichten Pseudozugaben wurden durch die Vorstellung der Musikanten in groteskem Englisch auf eine Viertelstunde gestreckt. Good night, ladys and gentlemen!
Zwanzig Jahre nach ihrem Auftritt im Frankfurter Kellerklub „Nachtleben“ gab es für uns eine Wiederbegegnung mit KATATONIA. Mit den Gruppengründern Anders Nyström und Jonas Renske waren nur noch zwei von damals dabei. Dafür trug ihr Merchandiser eine Kappe des 1. FC Union Berlin... Ab 21 Uhr 45 lag die Bühne in nebulösem Dämmerlicht, wurde die Batschkapp von kommerziellem Alternative Metal beschallt. Einer Musik, die kein Fünkchen mit dem prophezeiten Melancholic Metal, geschweige dem Death Doom der Gründerzeit gemein hatte. Die Schweden brachten weitgehend ihr Neuwerk 'Sky Void of Stars' und changierten dabei zwischen Schmus und Bombast, Opeth und Rammstein. Fünf (nun wieder) langhaarige Posterboys aus Bullerbü headbangten, groovten und suhlten sich in polierter Traurigkeit - und das für die Dauer von fünfundsiebzig Minuten. Nach zwei Liedern und ebensovielen einstudierten, naiven Ansagen hatte ich abgeschaltet, der Rest geriet zur Folter. Doch meine Assistentin befand Katatonia als „wenigstens rockig“ und wollte bleiben. Die Mehrheit feierte die Helden ohnehin wie gewohnt ab. Mit „Evidence“ kam das älteste Lied an letzter Stelle. Es findet sich auf dem vor zwanzig Jahren im Nachtleben vorgestellten Album 'Viva Emptiness', welches schon damals nicht meine Welt war. Aber es hatte immerhin schwere Gedanken wie der im heutigen Schwanengesang „Evidence“: „If you die I will die too“...
.:: ABSPIELLISTEN ::.
 
SOM
(19.00-19.30)
1. Prayers
2. Animals
3. Awake // Sedate
4. Moment
5. Clocks
6. Black Out The Sky
7. Youth // Decay
 
SOLSTAFIR
(19.56-21.16)
Intro Náttfari
1. Náttmál
2. Köld
3. Rismál
4. Melrakkablús
5. Bloodsoaked Velvet
6. Rökkur
7. Fjara
8. Ótta
9. Goddess of the Ages
 
KATATONIA
(21.45-23.00)
1. Austerity
2. Colossal Shade
3. Lethean
4. Deliberation
5. Forsaker
6. Birds
7. Behind the Blood
8. Buildings
9. Atrium
10. My Twin
11. Opaline
12. Old Heart Falls
13. Untrodden
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14. July
15. Evidence
Nach vier Stunden Hoch-die-Tassen, Beine-in-den-Bauch-stehen und Löcher-in-die Luft-gucken war´s geschafft. Punkt 23 Uhr begann im Publikum der abrupte Exodus, der Tresen in der Vorhalle schloß und auch die Gastrobuden im Außengelände machten dicht. Also wollten wir auf dem Heimweg noch ein Bierchen im Innenstadtklub „Nachtleben“ kippen. Doch der Plan wurde jäh durchkreuzt, als der Fahrer der U-Bahn 7 nach zwei Haltestellen den ursprünglich für Freitagmorgen angesetzten Streik auf Donnerstagnacht vorzog, und die Fahrgäste bei Regen und Kalte am östlichen Arsch von Frankfurt auf die Straße setzte. Kämpfe um ein Taxi entbrannten. Nach einer Viertelstunde saß ich mit meinem Mädel in einer warmen Karre. Die Fahrt vom Riederwald durchs nächtliche Frankfurt nachhause schlug mit 38 Euro zu Buche. Damit hatten wir heute 160 Euro gelöhnt. Für mich war das wohl die letzte Nacht in der Batschkapp!
 
 
Heiliger Vitus, 19. Februar 2023