LAIBACH
D-Frankfurt am Main, Batschkapp - 11. September 2012
Laibach kannte ich aus den frühen Neunzigern durch einen Kollegen, der damals auf den Avantgardekrach von Earache, John Peel und Laibach abfuhr. Von Letzten hatte er mir das 88er Werk 'Sympathy For The Devil' auf einen CD-Rohling gebrannt - damals noch eine unerhörte Aktion! - welches bei mir aber stets im Schatten von Ministry und Type O Negative stand - - bis nach mehr als zwei Jahrzehnten Frankfurts „Batschkapp“ den Aufbruch Laibachs zu einer ihrer seltenen Reisen durch Europa vermeldete. Aus unbekanntem Grund vom 14. Juli in den September vertagt (ausgerechnet auf den 11.), war es heute soweit: Das Unternehmen „We Come in Peace“ machte Halt in Hessen. Zum erstenmal erlebten wir Laibach in Aktion... Im Vorfeld hatte ich mir noch mal die streitbare Vergangenheit der Slowenen wachgerufen. Von der Entstehung 1980, dem Selbstmord des Gruppenleiters Hostnik nach der „Tournee der drei Hauptstädte“ 1982, dem Anschluß von Milan Fras, dem Verbot Laibachs 1983 aus ideologischer Bedenklichkeit noch zu Titos Zeiten, der Fortführung unter dem bis heute relevanten Schwarzen Kreuz, dem von Aktionskünstlern und Untergruppen wie Dreihunderttausend Verschiedende Krawalle, Strom und Klang, Germania und Kraftbach gegründeten Künstlerstaat NSK (Neue Slowenische Kunst), und dem Weg vom Industrial (und Leitbild für Rammstein) über das ironische Degenerieren von Popmusik zu Elektro und Martial Industrial, bis hin zur Mitwirkung in Orchestern. Mit Laibach verbanden sich immer auch nationalsozialistische, faschistoide und totalitäre Anfeindungen. Die Batschkapp hatte extra von Plakaten abgesehen, und Laibach sagten es schon vor Langem: „Unser Name mag beschmutzt sein, aber wir sind rein.“ Trotzdem stellte sich die Frage: Bekommen wir es mit den Roten zu tun? Doch dann war alles verblüffend leicht... 26 Euro, ein knappes Abtasten, und ein Stempel mit der Minuskel weiß auf die Hand, ebneten den Weg. Zirka 350 Leute waren eingerückt, darunter Ex-Rock-Hard-Kolumnist Müller, Till von Elvenpath, und auch jemand von „Old School EBM Rhein-Main“. Laibach hatten ein ganzes Arsenal an Uniformstücken aufgefahren:
 
- original jugoslawische Feldhemden JNA mit handgemaltem Kriegerkopf (150 Euro)
- Kurzarmhemden aus ethischem und gerechtem Handel, u.a. „Laibach über Deutschland“ (20 Euro)
- Arbeitsmützen, Stirnbinden, Armbinden, Krawatten- und Nadeln, Gürtel und Koppel
- an Hygiene die Seife „Schwitz aus!“ (15 Euro) und das Kondom „Achtung, Antisemitism!“ (3 St. 6 Euro), und natürlich
- Tonträger

 
Die Ware wurde eingetütet und der Käufer erhielt einen Kassenzettel! Wagnerklänge unterlegten die Szenerie.
 
Punkt 20.20 Uhr war die große Stunde gekommen. Unter stürmischem Beifall starteten LAIBACH ihren Blitzkrieg über Frankfurt. Fünf Männer und eine Frau füllten die Bühne über die gesamte Breite auf: Fras, Spiler, Eber, Saliger, Dachauer und Keller. Bildlich: sechs in Kampfstiefel und schwarze Uniformen gekleidete Menschen - Fras als Siegfried, Propagandist und Rottenleiter unter einer Legionärsmütze mit Volk-Abzeichen; eine züchtige wie hocherotische Frau mit Gretchenfrisur hinterm Klavier und zweiten Mikro; sowie ein im Hintergrund operierender Kahlkopf an den Trommeln. Dazu verstärkten drei klug und still arbeitende Künstler mit einer zweiten Elektropiano und zwei Klapprechnern die Reihen. Alle sechs waren von durch und durch angenehmer schlichter Ausstrahlung! Die kommende Aufführung gliederte sich in zwei Blöcke, die weder von Ansagen noch Pausen unterbrochen waren:
Im ertsen Block stellten Laibach fünf auserlesene Lieder zum jüngst in Finnland abgedrehten Film „Iron Sky“ vor. Darin geht es um Nazis, die am Ende des Krieges mit Reichsflugscheiben von der Polarstation „Neuschwabenland“ auf den Mond fliehen konnten. Auf dessen dunkler Seite errichten sie die Militärbasis „Schwarze Sonne“, wo sie ihre Kräfte sammeln und mit der ungeheuren Raumkampfwaffe „Götterdämmerung“ die Zerstörung der verkommenen Erde und die Übernahme der Weltherrschaft im Jahr 2018 planen (die wichtigsten Mondnazis: Julia Dietze, Götz Otto und Udo Kier).
Im zweiten Block hatten die Avantgardisten aus Slowenien neben einem Ausblick auf ihr neues Klangwerk wichtige Eigenkompositionen und Fremdübernahmen aus den Achtzigern bis zur Gegenwart zu verantworten.
Werksgetreu zum Film, wurde der erste Block von den wuchtigen Trommeln, gigantischen Orgeln, Chorälen und dem hohen Schrillen der „B-Mashina“ eingeleitet. Fras sprach die Geschichte dazu. Eine düstere Zeitlupenversion vom „Final Countdown“ und eine verfremdete Abwandlung der amerikanischen Nationalhymne folgten. Lichtprojektionen untermalten den Auftritt bühnenfüllend: Ausschnitte von „Iron Sky“, mal ein versteckter Liebesdienst, später Lichtspiele in Schwarz-Weiß, Weltenbrände, surreale Farbschablonen, Raketen und Visionen aus dem All, Botschaften durchs Wort. Dazu thronten Laibach im imperialen Schick hauteng vor unseren Augen, Walküre Spiler zuweilen mit armverschränktem, stummem Stolz. Spiler brachte auch die erste ganz tiefe Faszination, als sie mit kristallklarer, kraftvoller Stimme, rotem Mund und wie von rheingoldenen Lichtern erstrahlt „Take Me to the Heaven“ sang - und damit wohl nicht nur den Verfasser dieser Zeilen bezirzte. Mit den von Fras´ rauhem Organ und und lodernder Leidenschaft zelebrierten „Smrt za smrt“ und „Brat moj“ begann der zweite Block als Hommage ans eigene Gestern. Das Leben, die Liebe und der Tod spielten hier für eine Weile eine Rolle. Besiegelt wurde dieses fast schon philosophische Unterkapitel durch das von Spiler mit sublimer Schönheit hingehauchte „Across the Universe“. Nie durfte die Batschkapp derart überhöht durchs Jenseits fliegen. Danach ließen es Laibach richtig krachen. Götterdämmerung! Es wurde ab sofort Deutsch gesungen! Drei Stücke stachen nun besonders heraus: Erst brauste der radikale Marsch „Tanz mit Laibach“ los. Dann der DAF-Tanzsaalfeger „Alle gegen Alle“. Und schließlich das von einem Turner in Riefenstahlästhetik untermalte „Du bist unser“. Um 21.50 Uhr folgte in der ersten Verlängerung mit „Leben heißt Leben“ die elitär ausgeschwitzte Version eines Schlagers von Opus. Während „Ein Volk, ein Reich, ein starker Wille“ nichts anderes bedeutete, als die Liedzeile von Queens „One Vision“, welches deutsch auf den Titel „Geburt einer Nation“ hört. Von Beifall befohlen stellten sich Laibach noch ein letztesmal auf. „God is God“ und „Das Spiel ist aus!“ beendeten nach 111 Minuten diesen einmaligen Auftritt. Es war einer von denen, die man nicht so schnell vergißt.
 
Salutionen
Die drei netten Männer von der Tür, die unsere „Online-Tickets“ beim Abmarsch gegen echte Karten eintauschten.
Wir gingen in Frieden!
 
 

Heiliger Vitus, 14. September 2012, Bilder: Laibach und Vitus
.:: ABSPIELLISTE LAIBACH ::.
(20.20-22.11)
1. B-Machina
2. The Final Countdown [Europe]
3. America [Nationalhymne USA]
4. Under the Iron Sky
5. Take Me to Heaven
6. Smrt za smrt
7. Brat Moj
8. Ti, ki izzivaš
9. Die Liebe
10. Leben-Tod
11. See That My Grave is Kept Clean [Bob Dylan]
12. Ballad of a Thin Man [Bob Dylan]
13. Across the Universe [The Beatles]
14. Tanz mit Laibach
15. Alle gegen Alle [DAF]
16. Du bist unser
17. Warme Lederhaut [The Normal]
18. Love on the Beat [Serge Gainsbourg]
[77:53]
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19. Leben heißt Leben [Opus]
20. Geburt einer Nation [Queen]
[08:39]
++++++
21. God is God
22. Das Spiel ist aus!
[09:40]