LOW FREQUENCY ASSAULT XI
 
BELLROPE, PETRIFIED, CARRION MOTHER, SMILING BUDDHA
D-Nürnberg, Z-Bau (Kunstverein) - 9. Dezember 2017
Vorwort
 
Freitag, 8. Dezember

 
Das Schlechte gleich vorneweg: Der elfte LOW FREQUENCY ASSAULT wird für Goddess of Doom Peanut und mich wahrscheinlich der letzte gewesen sein. Bei einer weiteren Austragung wäre unsere Kette seit der Premiere 2004 gerissen. Der „LFA“ war das einzige Festival, das wir von Anfang an mit durchlebten. Mit unserem Ausstieg würden wir den Organisatoren zuvorkommen, die das Fest nach seiner achten Austragung 2011 mangels Interesse schon einmal begraben hatten. Danach ruhte die Serie wegen notwendigen Sanierungen am Z-Bau. Daß es mit der Wiedereröffnung 2015 auch zu einer Auferstehung des LFA kam, grenzte bereits an ein Wunder. Doch die Dinge haben sich nicht nur im Z-Bau, sondern im gesamten Umfeld weiterentwickelt. Wie so oft: zum Negativen! Im Viertel Hasenbuck, in dem sich alles abspielt, war nach und nach die Versorgung zusammengebrochen. Außer in zwei Lokalen - die für Weihnachtsfeiern heillos ausgebucht sind - findet der Mensch rings um die Südkaserne keine Verpflegung. Dazu kommen aufgrund des gleichzeitigen Christkindlesmarkts Mondpreise für Reise plus Unterkunft. Zugausfälle und Verspätungen können bei Schnee nie vermieden werden. So war eine Reise im Winter nach Nürnberg immer russisches Roulette. Und diesmal waren wir nach acht Stunden (!) im Zug von Dresden über Frankfurt in Nürnberg noch nicht mal willkommen. Als wir mit Reisetaschen erst vor verschlossener Tür standen, und dann unser Zimmer wiedermal (!) doppelt gebucht war und wir ohne Unterkunft dastanden, wußte ich endgültig, daß der LFA nicht mehr der LFA war. Am Freitagabend dachte ich über eine sofortige Abreise nach... später über einen Besuch des Blackmetal/Sludge-Konzerts mit Enisum, Nibiru und Skjaldar im „Roten Salon“... und final saßen P. und ich allein bei einem Vietnamesen rum.
Der Z-Bau 2017
 
Sonnabend, 9. Dezember
 
Nach einem Tag in der Horizontalen und einem Marsch durch Sturm und Frost, waren wir pünktlich zum geplanten Beginn um 20 Uhr zum womöglich letzten Bunkerrauschen im Z-Bau erschienen. Zusammen mit Peanut und mir trafen Blackblood und der Mourner aus Leipzig ein. Während die Akteure noch lässig im Kanapee hingen, verlor sich im Konzertraum eine lächerlich kleine Zuschauermenge von anfangs dreißig Personen, auf dem Höhepunkt (bei Carrion Mother) waren es um die achtzig. Ihre spärlichen Devotionalien in Form von Shirts und Lichtscheiben verkauften die Gruppen selbst. Für Unmut sorgten neben den in Nürnberg immer wieder aufkreuzenden Rüpeln und Besoffenen das Licht und die Luft im Raum. Während die Bühne von einfältigem Rot ausgeleuchtet war, blies ein Strahler vom Mischpult unermüdlich Nebelschwaden in die Rücken des Publikums. So lag im „Kunstverein“ vom Abend bis in die Nacht ein milchig-rötlicher Dunst. Die Uhr über der Bühne war fünf vor zwölf stehen geblieben.
Nach der üblichen Verzögerung zeichnte sich gleich zu Beginn eine Katastrophe ab. „Hallo! Wir sind SMILING BUDDHA aus Berlin und würden jetzt mal anfangen“, lautete die Begrüßung im Proberaumstil. Vor uns standen vier, die gerade von der Straße gekommen schienen. Einer trug Wollpulli und Fellstiefel, der Gitarrist einen Gurt mit dem Schriftzug „Police Line Do Not Cross“. Der Sänger wiederum konnte nicht singen, dafür lächelte er in ein Fläschlein Bier. Und dann brauste ein überwiegend instrumentales Chaos aus Stoner, Noise und Avantgarde über uns hinweg. Doom oder „LFA“ war das keineswegs. Ein Instrumentenwechsel nach vier Stücken führte zu einem harten Schnitt; der Geist am Mikro verschwand von der Bildfläche. Fortan zu dritt mit Orge, Liam und Candie sollte es besser und äußerst lebendig werden. Die Vocals übernahm der Bassist, es waren sludgige. Orge erklärte, daß der Sänger (Locke) fehle; es sei eine längere Geschichte, die er jetzt nicht erzählen könne... Smiling Buddha waren in Teilen ganz passabel, jedoch ebenso zerfahren und voller Macken. Mit ihrem sechsten und letzten Stück entfachten sie allerdings eine geradezu alles überrumpelnde Doom-Spannung.
Holprig begann auch der Auftritt der Nächsten. Und zwar erst nachdem zwei Akteure nacheinander ihre bereits bezogene Stellung wieder verlassen und sich an der Bar mit Flüssigkeiten eingedeckt hatten. Ein seltsamer Rumpelstilz kannte die Leute, hatte mit einem früher sämtliche Kneipen in Regensburg auseinandergenommen. Die Gruppe klänge nach Dool, ich solle mal drauf achten... CARRION MOTHER machten Rauhe-Kerle-Sludge respektive Aasmutter-Doom mit Härte und Emotionen, und wandelten damit auf dem verwunschenen Pfad, den einst die verblichenen Hessaja gingen. Ewigliche Gitarren und eine leidende helle Singstimme schwebten über einem räudigen Grundton, der manchmal in postmetallische Gefilde abtrieb. Leidenschaftlich dominiert wurde das Quintett vom hochgradig selbstsicheren Vokalist Aris, der trotz des Winters blank zog und so ein hautenges Gefühl zur Meute genoß. Es war alles unveröffentlichtes, ungemein fesselndes Material, das Aris, Raffi, Julius, Fabi und Jo kredenzten. Darunter der Zehnminüter „Schwarzschild“. Obwohl die Enge Headbanging verdarb, waren Carrion Mother für mich heute nicht mehr zu übertrumpfen. Die einzigen gesprochenen Worte in einer Stunde Sludge-Doom galore tätigten sie zum Schluß - ein schlichtes „Vielen Dank! Wir waren Carrion Mother!“
Kommt man als Doomsüchtiger unter Doomsüchtige, trifft man unwillkürlich auf die Sachsen Schulz und Buttler, zuletzt im November beim „Hammer Of Doom“. Heute war Herr Schaarschmidt dabei, mit dem sie ebenfalls schon ewig zusammenhängen. PETRIFIED hatten sich unter abenteuerlichen Umständen aus dem isolierten, finsteren Erzgebirge nach Franken durchgeschlagen, waren bei Dunkelheit über festen Schnee und im Schneckentempo über die Autobahn gerollt - nur um Nürnberg als Hüter des traditionellen Dooms eine warmherzig-kauzige Zeit zu schenken. Neben purer Nostalgie wie „Under Saturn“, dem mystischen „Raven´s Claw“ oder „Golem“, standen Neuigkeiten wie der schwere „Mountain March“ oder „Farewell“. „Farewell“ widmete Maik seinem Papa drüben im Himmelreich. Dazu präsentierten Petrified ihr erstes Lied mit deutschem respektive sächsischem Text, den „Bergmann“. Überhaupt Sächsisch! Die Wortgefechte und Grimassen zwischen den beiden Frontmännern sprühten vor Ironie. Wahrscheinlich wußten sie selber nicht, was eine „Würzeldroge“ ist. Nach verhaltenem Beginn zogen Petrified hinten raus umso stärker an. Es war alles ziemlich entrückt, aber umso charmanter und entwaffnent echt gespielt. Final huldigten Petrified erst dem „leeren Nischl“, und dann läuteten sie auch noch das „Glockenseil“. Für Peanut waren Petrified die Helden der Nacht!
Den Abgesang bestritten BELLROPE aus Mannheim. Man kann auch sagen: Petrified waren die letzten Friedvollen, ehe die Apokalypse über den Z-Bau und den LFA hereinbrach. Das Bellrope-Projekt wurde ersonnen, um die alten Anhänger in die Nähe der legendären Black Shape Of Nexus (2006-2016) zu bringen. Deren brutale, kalte Aura sollte heute auch Bellrope prägen. Klar, mit Gebbo Barome, Malte Seidel, Stefan Kuhn und Marco Hauser stand das letzte Grundgerüst von B.SON auf der Bühne. Nur Keyboarder und Mitentwickler Jan sowie Rhythmusgitarrero Bernhardt waren ausgestiegen. Vieles war mit der Ideologie der Vorgängergruppe durchtränkt - die schwierig zu fassen war. Es galt also Altes neu zu entdecken. Nach dem „Black Forest Fest“ in Villingen und dem „Wir sind die Toten“ in Mannheim war der „Low Frequency Assault“ erst Bellropes dritte Schau (Originalton Malte: „So was wie eine erweiterte Probe“). Bellrope hatten auch nur drei Lieder. Weit nach Mitternacht fiel der Peng. Und tatsächlich erhob sich die Vergangenheit mit ihrem abgrundtiefen Sludgedronedoomnoise in neue Höhen auf maximaler Lautstärke (Gebbo persönlich korrigierte einen der Verstärker vorm zweiten Lied auf ganz nach rechts). Es war das alte Krachgeflecht, laut und hintergründig wie immer, nur reduziert auf vier Personen und befreit von „Schnörkeln“ (die es natürlich nie gab). Zuweilen ratterte Panzerkettenrhythmik in der Art von Bolt Thrower. Erstmals steuerte Gebbo Geschrei dazu. Wie immer drehten er und Malte Zöpfe und Schädel wahnwitzig schnell von links nach rechts, und Augen ins Kopfinnere. Verwunderlich blieb nur die kurze Spieldauer von zweiundvierzig Minuten.
 
Mit Bellrope nahmen Peanut und ich auch sofort Abschied. Am Ausgang stießen wir auf Blackblood & Mourner, Thomas & Maik sowie Boris. Die hatten sich zu einem Spalier aufgereiht. Nur der zweite Organisator fehlte heute: Sebastian. Im Hintergrund sagte jemand: „Das war´s.“
Die Gitarre von Petrified
signiert von Wino
.:: ABSPIELLISTEN ::.
 
SMILING BUDDHA
(20.20-20.58)
Sechs unbekannte Titel
 
CARRION MOTHER
(21.35-22.31)
Vier unbekannte Titel
 
PETRIFIED
(22.58-23.58)
1. Under Saturn
2. Giants Return
3. Toner Thoth
4. Raven´s Claw
5. Mountain March
6. Farewell
7. Golem
8. Bergmann, Bergmann (Gottgetreu Eisenschlägel)
9. A Skull Full of Emptiness
 
BELLROPE
(0.29-1.11)
Zwei unbekannte Titel
Nachwort
 
Sonntag, 10. Dezember
 
Unser Abschied verlief friedlos. Wir sind ohne Blick aus der seit 2004 angestammten Herberge davongeschlichen. Auch der Sonntagsfrühschoppen beim Griechen treppab entfiel. Bellrope, die mutmaßlich das Quartier mit uns teilten, haben wir nie zu Gesicht bekommen. Dafür standen auf dem Bahnsteig des Nürnberger Hauptbahnhofs die Profis des 1. FC Nürnberg! Die Mannschaft wollte mit uns zu deren Montagsspiel bei Fortuna Düsseldorf fahren. Doch unterwegs setzte dichter Schneefall ein. Im Rhein-Main-Gebiet waren Weichen und Stellwerke gestört. Unser Zug schaffte es mit leichter Verspätung gegen halb vier als letzter bis nach Frankfurt. Ab 17 Uhr standen auf dem Frankfurter Hauptbahnhof alle Räder still. Die Profis sollten in Busse umsteigen. Aber an Weiterfahrt war nicht zu denken. Nach einer Nacht in Frankfurt gewann der Club am Montag das Spitzenspiel der Zweiten Liga gegen die Fortuna überraschend mit 2:0. - Der LFA wiederum blieb seinem Modell weitgehend treu. Von den 150 imaginären Karten zum Doomkostenbeitrag von zehn Euro wurde knapp die Hälfte Besuchern als Stempel auf den Arm gedrückt. Zwanzig Akteure und Personal huldigten ebenfalls den vier angetretenen Gruppen. Die Startzeit (für Smiling Buddha) verschob sich um zwanzig, das Ende (von Bellrope) um siebzig Minuten. Die geplanten Umbauten von je zwanzig Minuten blieben ebenso ein Wunsch wie der Geistige Abbau zwischen 0 und 2 Uhr. Letzter begann um 1.15 Uhr. „Alles beim Alten“ galt auch fürs Elixier: Hetzelsdorfer und ploppendes Kanone waren für eins fuffzich zu haben. LOHNT SICH EIN LEBEN OHNE LFA?
 
 

Doom, Fascination und Gewalt: ((((((Heiliger Vitus)))))), 13. Dezember 2017