MANTAR, HESSAJA
D-Wiesbaden, Schlachthof (Räucherkammer) - 19. Februar 2015
Ich stehe einfach nicht auf Wiesbaden und seinen „Schlachter“. Die Stimmung dort ist schrecklich. Blutleere Schlaumeier, flatterige Hard- und Metalcoreler und besoffenes Cliquentum vergiften jegliches Doomgefühl im Ansatz. Zwei, drei Gesichter kommen einem bekannt vor, der Rest ist beliebig austauschbar. Ferner drückt die Gesinnungspolizei wie eine unsichtbare Faust in den Nacken, das Auge schmerzt beim Blick auf die beschmierten Wände, und heute waren auch noch die Speaker zu weit aufgedreht. Trotzdem nimmt man diese Umgebung und die Reisestrapazen immer wieder hin. Denn seit einer ziemlichen Weile bucht der Schlachter als einziger Klub in Hessen noch Gruppen von Wert. Der Doom macht einen Bogen um Rhein-Main! Rund hundert Gestalten hatten sich an diesem trüben, kalten Donnerstagabend im Februar durch die Baustelle der neuen Konzertstätte im Wasserturm in die verfilzte Räucherkammer hineingewühlt. Das war nun also die Kulisse für die ersehnte Doommusik.
Punkt 21 Uhr war das dem Untergang geweihte Geviert gerichtet für Tom B., Jo S., Christopher B., Thomas Jay sowie Jo D. Das Kommando aus Limburg und dem Westerwald kam mit einem nachtschwarzen Hintergrund. Der Bruder des Sängers hatte sich das Leben genommen. Das sollte ich aber erst später erfahren. Die Band hieß HESSAJA und war bis um neun für mich nur der Stoßtrupp, auf den man nicht allzu viel gibt. Aber dann fesselten Hessaja mich plötzlich und rissen mich in einen Strudel aus Ehrfurcht und Faszination. Hessaja atmeten den Nihilismus des Sludge, Gestik und Mimik waren glaubwürdig doomig. Die Saitenmänner schüttelten die ganze Zeit die Köpfe und agierten eindringlich, der Trommler schlug hart wie ein Berserker, und Tom B. war der finstere, kahlköpfige Recke hinterm Mikro. Toms gemarterte und doch empfindsame Stimme trug abgrundtief schreckliche Inhalte voller Weltqual, Lebensverneinung und Todestrieb vor (auf Kroatisch und Englisch). Dazu dröhnten die Gitarren mit angemessener Tiefe. Andererseits kam ein Stück wie „Storm“ wie ein frostiger, krisseliger Noiserocker zwischen Isolation und Verzweiflung daher. Und manchmal - wie in „Assistent für deinen Selbstmord“ - lärmten Hessaja auch raserisch am Anschlag. Am tiefsten ging indes der Elfminüter „Nista“ unter die Haut. „Nista“ (zu deutsch: Nichts) war eine fiebrig-surreale Flucht nach drüben in die andere Welt. Das waren Hessaja! Ein Auftritt wie eine Erlösung und der Lichtblick der letzten Zeit!
Auch hinter MANTAR lag eine Zeit zum Fürchten. Im Vorjahr hätte der Schlagzeuger mit einer Hirnblutung fast ins Gras gebissen. Doch Mantar (türkisch für „Pilz“) wurden hochgejubelt. Mit dem von Svart herausgebrachten 'Death By Burning' hatte das norddeutsche Schlagzeug- und Gitarre-Duo vermeintlich das „Debüt des Jahres 2014“. Mit „White Nights“, „March of the Crows“ und „Swinging the Eclipse“ gingen Filme mit beeindruckendem Drone Doom im Cyberkosmos um. In echt zeigten sich Mantar mit (O-Ton Frau P.) „sexy freien Oberkörpern“. Aber während Hessaja richtig doomig daherkamen, drückten Hanno Klänhardt und Erinc Sakarya nach einer schier endlosen Einleitung vom Tonband aufs Tempo - und erreichten damit weder die Tiefe noch die Dichte des Quintetts. Wuchtige Trommeln, ein metzelnder Sechssaiter, giftiges Geschrei, Rückkopplungen, Körperflüssigkeiten und Adrenalin verschmolzen zu einer Art Selbstreinigung durch Blackened Sludge Metal. Das Ganze wirkte etwas eigensinnig und gleichförmig. Mantar boten nichts Neues an der Actionfront. Doch der Mob versank im Rempeltanz, und final hangelte einer an der Deckenstange durch den Raum. Nach vierzig Minuten Krach und reißerischen Kommentaren kam es fast am Ende (um 22 Uhr 50) zum einzigen Doomer durch die „White Nights“ - der hinten raus leider immer schneller, und durch ein „Vielen Dank, das waren Mantar aus Bremen“ unterbrochen wurde. Nach einer gehetzten Zugabe hatten sich die Beiden ausgeschwitzt.
 
Im Anschluß unterhielten sich die Musiker mit ihren Gästen und verkauften ihre Klamotten und Platten. Es ist peinlich, aber unter seiner Wollmütze wurde der Frontmann von Hessaja von mir nicht erkannt. Tom enthüllte ganz trocken, daß der Shirt-Aufdruck „Ja znam sto je smrt“ kroatisch ist, und „Ich weiß, was der Tod ist“ bedeutet. Der geisterhafte Bruder... Jetzt wo ich die Geschichte kenne, muß ich schlucken. Für die Vinylplatte, einen Silberling und einen Langärmer wollte Tom übrigens nur dreißig Euro haben. „Wir wollen ja nicht reich werden.“ Hessaja schreien nach so viel mehr!
 
 

((((((Heiliger Vitus)))))), 20. Februar 2015
 
 

Nachbeben
Dies sollte unser letzter Besuch in der „Räucherkammer“ gewesen sein. Sieben Tage später - am 26. Februar 2015 - wurde die Ursprungszelle des Kulturzentrums „Schlachthof“ geschlossen.
.:: ABSPIELLISTEN ::.
 
HESSAJA
(21.00-21.47)
1. Inside These Walls
2. Storm
3. Asistent (za samoubistvo) (Assistent für deinen Selbstmord)
4. Nista (Nichts)
5. Planet Sedam:Ison
 
MANTAR
(22.12-23.05)
Titel unbekannt