MORGANA LEFAY, SOLITUDE AETURNUS
D-Offenbach am Main, Hafenbahn - 15. März 1997
Es war im Winter 1991/92, als Lario Teklic mich „Was hältst du von klarem, hellem Gesang?“ frug. Der Gitarrist der Frankfurter Thrasher Grinder war ein Nachbar von mir und als Verkäufer im Plattenladen „Virgin“ an vorderster Front in Sachen Metal. Wenn wir morgens wie Brüder mit langen Haaren, schwarzem Bandshirt, enger Jeans und dickem Kater in der Straßenbahn zum Dienst an der „Konsti“ gondelten, gehörte die Welt uns. Eines Tages erzählte Lario mir von brandneuen Gruppen, die meine Welt aus den Angeln hoben...: Eyehategod, Cathedral und Solitude Aeturnus - ebenjenen mit dem klarem, hellen Gesang. Nachdem ich 1991 bereits Paradise Losts 'Gothic' und Type O Negatives 'Slow, Deep And Hard' entdeckt hatte, war dies das Tor zum Doom (nachdem Pentagram, Candlemass und Trouble mich nicht berührten, Saint Vitus sich nach dem Album 'V' und der Trennung von Wino neu finden mußten, und Count Raven unterm Radar flogen). Im anschließenden Sommer 1992 machte Lario Selbstmord. [R.I.P., Fast Teklic] Ohne Lario hätte ich wohl nie den echten Doom Metal entdeckt. Saint Vitus 1990 im Popperloch „Cooky´s“ hatte ich für einen der zig Death-Metal-Gigs im „Negativ“ verpaßt; Cathedral 1992 zwar zusammen mit Entombed, Carcass und Confessor in Frankfurts „Batschkapp“ erlebt, doch die Erinnerungen sind fragmentarisch, wie es Erinnerungen nun einmal oft sind. Und echten Doom hatten sie im Sog der Deather wohl auch nicht zelebriert. Es sollten weitere fünf Jahre ins Land ziehen, bis sich der Doom in Hessen blicken ließ.....
Die auf den Eintrittskarten als „Solitude Eternus“ vorgestellten SOLITUDE AETURNUS aus Texas waren die Erlauchten, die im Sommer 1991 das Überwerk 'Into the Depth of Sorrow' veröffentlichten, und sich nach dem epischen 'Beyond the Crimson Horizon' und dem gottbegnadeten 'Through the Darkest Hour' im Frühling 1997 mit ihrem vierten Album 'Downfall' der Alten Welt zeigten. Zum Glück kamen sie nicht in Frankfurts dem Mammon verfallende „Batschkapp“, sondern in die „Hafenbahn“, einen von „Metzger“ und dem Tschechen Jiri geführten, alten Lokschuppen am Mainhafen. Kein Wunder, daß man in der achtundert Menschen fassenden Doppelhalle im Nirgendwo von Offenbach seine Glieder frei bewegen konnte. Mit Vokalist Robert Lowe, den Sechssaitern John Perez und Edgar Rivera, Viersaiter Count Lyle und Trommler Wolf rückten die Amis in der Besetzung des Vorgängerwerks 'Through the Darkest Hour' an. Über uns thronten fünf Männer, denen man mit ihren langen, schwarzen Haaren, ihrer Ruhe und Leidenschaft, und ihren stoisch schlagenden Häuptern sofort abnahm, daß sie Echte waren. Sie waren schön wie junge Götter. Stilistisch regierte die Zeitlupe; „Opaque Divinity“ gab gleich zu Anfang den Takt vor. Getragen von Lowes kathedralenhoher, engelsgleicher Stimme und Perez´ und Riveras durchdringenden, heavy Trossen, zelebrierte das Quintett aus USA seine Doom-Musik - puren, epischen und traditionellen Doom Metal mit jeder Menge Spirit von den alten Göttern des Genres. Lieder voller Dunkelheit, Niedergeschlagenheit und Einsamkeit, den reinsten Untergang - ohne jeden Anflug von Klischee. Die schummrige Umgebung und der verwaschene Klang der Speaker ließen alles nur noch natürlicher und untergründiger wirken. Solitude Aeturnus zelebrierten je ein Lied vom ersten und zweiten Langeisen, sowie drei vom Neuwerk 'Downfall'. Das größte Pfund hatten sie unterdes mit „The 9th Day“, „Eternal“ und „Falling“ vom Drittling 'Through The Darkest Hour'. Ein kleines Rätsel blieb die Verneigung vor Candlemass in Form von „The Well of Souls“. Ließen doch die eigenen Lieder selbst die Ahnen totenblass aussehen. Dies war mein persönlicher Urknall des Doom in natura!
MORGANA LEFAY legten danach auf andere Art los - vom langsamen, tiefen Doom zum wuchtigen, dunklen Power Metal. „Bang That Head That Doesn´t Bang!“ war eine treffliche Umschreibung. Den Fünfer aus Schwedens Metalhochburg Bollnäs hatte ich 1992 im legendären Undergroundclub „Negativ“ [R.I.P.] erlebt. Es war wie damals: Rytkönen, Eriksson, Persson, Heder und Söderlind trugen die längsten Blondschöpfe auf Erden, und sie wirbelten wie auf gedrosseltem Speed und mit toxischer Hingabe ihr Set aus Liedern vom Neuwerk 'Maleficium' in die Meute. Jedes Lied ein Ohrwurm, Hymne folgte Hymne Schlag auf Schlag. Nach dreißig (!) Jahren wehte gestern Morganas Zweitwerk 'The Secret Doctrine' durch meinen heimischen Doomraum - und ich erinnerte mich jeder Einzelheit. An Rytkönens schwarzumränderte Augen, dessen heisere, flammende Stimme, die Bathorys Quorthon glich. Womit sich der Ring schloß. Standen Morgana Lefay doch unter der Ägide von Quorthons Vater „Boss“ und dessem Label „Black Mark“. Die nach der tückischen Hexe aus der Artussage Benannten waren ganz klar was für Anhänger des nordischen Metals. Hier regierten Mythologie und Okkult. Aber Solitude Aeturnus waren das wahre Leben. In der Zugabe kredenzten Morgana das unsterbliche „Rooms of Sleep“. Diese Nacht war eine Zeitenwende für mich. Und es war auch das letzte Zeichen der Horde aus dem Nordland. Wenig später trennten sich die Wege: Drei Gefährten zogen von der Provinz nach Stockholm; nur „Chulle“ Rytkönen und „Bira“ Eriksson ließen die Gruppe unter dem Namen „Lefay“ weiterleben.
 
Wenn ich mich recht entsinne, verdingte sich im Anschluß Tausendsassa „Buffo“ (Tankard, Rock Hard) in der Vorhalle wieder einmal als DJ. Mein Begehren nach „Saint Vitus“ konnte er indes nicht erfüllen. Denn für Chandler und Konsorten interessierte sich damals hierzulande kein Mensch.
.:: ABSPIELLISTEN ::.
 
SOLITUDE AETURNUS
1. Opaque Divinity
2. These Are the Nameless
3. Seeds of the Desolate
4. Together and Wither
5. The 9th Day: Awakening
6. Phantoms
7. Eternal (Dreams Part II)
8. Falling
9. The Well of Souls [Candlemass]
 
MORGANA LEFAY
Intro: The Chamber of Confession
1. The Source of Pain
2. Victim of the Inquisition
3. Madness
4. Time Is God
5. Maleficium
6. In the Court of the Crimson King
7. Sculptures of Pain
Interlude: It
8. Master Of The Masquerade
9. To Isengard
10. Creatures of the Hierarchy
Outro: Nemesis
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11. Rasta Song
12. Rooms of Sleep
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13. Razamanaz [Nazareth]
Die Meute, Peanut und Vitus
Nachwelt
 
Es war alles anders damals, fanatisch, authentisch, die durchgedrehten Headbanger mit einigen Bier intus, wie wilde Tiere... Wo sich früher Langhaarige über den holprigen, spärlich ausgeleuchteten Nordring der Konzerthalle annäherten, wurde im Rausch der Gentrifizierung der Stadtteil „Hafencity“ in den Boden betoniert. Aus der bis 2005 vom Hard & Heavy e.V. betriebenen „Hafenbahn“ wurde nach acht Jahren Leerstand 2013 das „Unabhängige Kulturzentrum Hafen 2“ mit einem bunten Bullshit aus Café, Programmkino, Lesungen, Theater, Techno, Erholungswiese, Schafen, Hühnern, Gänsen... Ein Wiedersehen mit John Perez und Solitude Aeturnus gab es beim „Doom Shall Rise“-Festival 2006 im schwäbischen Göppingen. Und zwar nur mit Perez. Die übrigen Mitglieder waren neu - derweil Robert Lowe auf dem Flughafen in USA mit Ausreiseverbot festgesetzt wurde. Es ging offenbar um Unterhaltszahlungen. Damit waren Solitude Aeturnus die Flügel abgeschnitten, der Auftritt in Göppingen ein laues Lüftchen. 2011 lösten sie sich auf. Eine weitere Begegnung mit John Perez hatte ich 2014 bei den „Dutch Doom Days“ in Rotterdam, als er als ergrauter Reiseleiter von Saint Vitus fungierte. Diese Begegnung war eine sehr spezielle. Hatte Frontmann Wino mich doch vorm Auftritt von Saint Vitus in eine Rumpelkammer des Klubs „Baroeg“ entführt und dort zu einer Gallone Jack Daniels eingeladen. Während wir zusammen Whiskey aus einer Flasche tranken, stürmte plötzlich John zur Tür herein, musterte mich mit einem Blick, mit dem man töten konnte, und trieb Wino zur Eile für seinen Auftritt an. Those were the days!
 
 

Heiliger Vitus, 1. April 2023, Bilder: Promomaterial, Peanut & Vitus