TANKARD
D-Frankfurt am Main, Elfer - 4. August 1998
Funkelnde blaue Augen, schwarzer Pferdeschwanz, Shirt der Konzerthalle „Batschkapp“, sechs Pfund zuviel: Gestern bin ich Gerre begegnet. Der Kultfigur des Thrash Metal. Einer meiner Helden Mitte der Achtziger in der guten alten BRD (als Metal schnell, die Nächte lang und das Gedächtnis morgens frisch gelöscht war - bis der Doom kam). Nachdem wir zwei Dekaden nur durch den Brentanopark getrennt Tür an Tür im Frankfurter Viertel Rödelheim wohnten, hatten wir uns in den letzten Jahren durch die Wege des Schicksals aus den Augen verloren. Mein letztes Live-Erlebnis mit Tankard lag drei Jahre zurück. Und dann dieses Wiedersehen durch Zufall am Fluß Nidda. Gerre herzte mich coronakonform per Faust und er haderte mit dem langsamen Tod der Klubs durch die Pandemie. „Man weiß nicht, ob alles nur ein Fake ist.“ Alle Auftritte seiner Band nach März hatte die Seuche in die Knie gezwungen. Der letzte war im September 2019. Nun stand das „Brutal Assault“-Festival in der Tschechei unklar vor der Tür. Der Tag unseres Wiedersehens endete für mich in einer Séance in den eigenen Wänden. Als Folge einer sentimentalen Anwandlung entstand dieser Bericht von einem Abend mit Tankard vor genau zweiundzwanzig Jahren.
Am ersten Dienstag im August 1998 herrschte Headbanging-Alarm in Frankfurt. Bevor die lauteste Band der Stadt mit dem Album 'Disco Destroyer' - dem achten inzwischen - auf Tour ging, gab sie ein intimes Konzert an einem exotischen Schauplatz: im Schankraum vom Eschersheimer „Elfer“. Es war ein Wunder, daß Tankard dort überhaupt auftraten. Längst hatten sie die Beletage des Metal erstürmt und zig Mal vor tausenden Maniacs gespielt. Viel Platz gab es in dem rustikalen Kneipchen mit einer provisorischen Bühne im hinteren Bereich neben dem Tresen wirklich nicht. Aber plötzlich ging es mit „Zombie Attack“ los und der raserische Thrash explodierte geradezu im via Mundpropaganda mit achtzig Leuten dichtgefüllten Raum. An Mikro und Bass standen die Gruppengründer Andreas Geremia und Frank Thorwarth, hinterm Schlagzeug saß Olaf Zissel (der nach fünf Jahren nun zum alten Arsenal gehörte), für die Riffs in Exodus-Manier sorgte Andy Bulgaropulos (der die Gruppe bald darauf nach sechzehn Jahren verlassen sollte). Gerre sprühte vor Tatendrang und präsentierte mit seiner räudigen Sirenenstimme in der nächsten anderthalben Stunde Meilensteine des Thrash. So hauteng konnten die Fans Tankard in den letzten Jahren nie erleben und einige Lieder waren auch erstmal schwer zu kapiern. Neben den noch jungen „Hope?“, „Minds on the Moon“ und „Atomic Twilight“ war mit der Prinzessin-Ode „Queen of Hearts“ und dem Speedster „Serial Killer“ brandneuer Stoff vertreten (kein Geheimnis: keine Überflieger). Dazu gesellte sich der exhumierte Demokult „Death by Whips“ von 1984. Der Umstand, daß zwei Akteure kurzes Haar trugen, sorgte für zusätzliche Konfusion. Aber irgendwie hatte man sich daran genau so gewöhnt wie an die Abgänge von Axel Katzmann und Arnulf Tunn, und erquickte sich an der Frische und Lust der Frankfurter. Man merkte, daß jedes Mitglied echt war und hier keine Schau abgezogen wurde, um möglichst verrückt und abgefuckt zu wirken. Schließlich stand eine Tour an und die vier wollten wohl selber sehen, wie natürlich und glaubwürdig sie ohne Licht, Nebel und sonstige Effekte rüberkommen. „The Morning After“, „Space Beer“ und „Maniac Forces“ peitschten sie in die Nacht - ehe „(Empty) Tankard“ den Fangschuß setzte. Ich habe Tankard oft live erlebt - so genau weiß ich es nicht mehr, wer sich am Morgen danach erinnern konnte, ist nicht auf dem Konzert gewesen - und heute war eine der Sternstunden mit Tankard: das intimste und beste Konzi, was ich je von Tankard sah.
 
Ein Jahr später stürmten die Frankfurter die Hauptbühne des weltgrößten Metalfestivals „Wacken“. 2006 sangen sie in der Kurve des Berliner Olympiastadions zusammen mit 25
 000 Eintracht-Anhängern vorm Pokalfinale gegen Bayern München die Hymne „Schwarz-weiß wie Schnee“.
 
 

Heiliger Vitus, 31. Juli 2020, Bilder: Buffo Schnädelbach
.:: ABSPIELLISTE ::.
 
1. Zombie Attack
2. Poison
3. The Morning After
4. Hope?
5. Don´t Panic
6. Queen of Hearts
7. Space Beer
8. Two-Faced
9. Maniac Forces
10. Alien
11. Minds on the Moon
12. Atomic Twilight
13. Death by Whips
14. Alcohol [Gang Green]
15. Try Again [Spermbirds]
16. Chemical Invasion
17. Freibier
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18. Serial Killer
19. Pogo in Togo [United Balls]
20. (Empty) Tankard
v.o.n.u.:
1987 getauft mit Bier
1988 in Urbesetzung
1990 in Aue