MOTÖRHEAD, DORO, GRAND MAGUS
D-Wiesbaden, Rhein-Main-Hallen (Halle Nord) - 8. Dezember 2010
Am Morgen des sechsten Dezember brachten sie „Ace of Spades“ von Motörhead im Radio. Im Anschluß verloste „BOBs Harte Saite“ Karten für deren Konzert in Wiesbaden. Wer kein Fortune hatte und trotzdem hin wollte, konnte es über eine Lotterie im Netz versuchen. Gesagt, getan. Tags darauf bekam meine Freundin einen Anruf von BOB!-Redakteur Patrick, daß ihr Name als einer von fünf auf der Gästeliste von Motörhead steht. Da sie eine Begleitung mitbringen durfte, hatten wir nicht nur 84 Euro abgestaubt (der Eintritt betrug 42 Euro), sondern auch noch Glück, daß Motörhead zu Lande und nicht in der Luft nach Hessen kamen. Dichte Schneefälle hatten hundert Landungen auf dem Frankfurter Flughafen verhindert. (Ein bekanntes Opfer war Popsängerin Shakira, die ihren Auftritt in der seit Monaten ausverkauften Festhalle abblasen mußte, und damit 11 000 Anhängern die Freude vermasselte.) Aber mit weißen Linien hatte Lemmy ohnehin nie Probleme... Und heute parkte neben einem Nightliner auch noch ein verdunkelter Straßenkreuzer vor den Rhein-Main-Hallen. Die Halle Nord war Ersatz für die Große Halle des Schlachthofs, die der Bauaufsicht zum Opfer fiel. Laut dem Mädel an der Abendkasse faßte sie beim heutigen Aufbau 2500 Besucher. Zweitausend waren es ungefähr in diesem schwarzen Gemenge aus Metalheads, Hardrockern, Bürohengsten in Metalausgehuniform und Huren auf Zeit. Kult oder zum Totlachen: Ansichtssache. Nur soviel war sicher: Jeder Zweite trug die Rückenschrift Everything Louder Than Everything Else.
Punkt 19 Uhr eröffneten GRAND MAGUS das Konzert. Grand Magus hatten wir sechs Jahre zuvor gesehen. Damals begeisterte die Gruppe aus Stockholm mit ihren Alben 'Grand Magus' und 'Monument' und astreinem Doom Rock, den sie „Black Magic Rock“ nannten. Einleuchtend, daß man im Vorprogramm von Motörhead keinen Doom zelebrieren kann. Aber was JB, Fox und der neue Schlagzeuger SEB heute boten, war flacher Viking-Metal. Strippenzieher JB hatte sich nicht nur den Kopf geschoren, sondern glich mit Glatze, Sonnenbrille und grellem Gekreisch einem Rob-Halford-Klon. 'Hammer Of The North' ist das vierte Langwerk getauft. Jenes bot nordische Hymnen (oder Schnulzen), die von Kraft und Stolz erzählten. An der Wand war die Landesfahne Schwedens gehisst. Davor rappelten drei Verhurte, die sich bis zur totalen Aushöhlung dem Kommerz unterworfen haben. Kein „Großer Zauber“ mehr. Dafür tobte heute eine halbe Stunde lang stampfender Schlachtenlärm. Der abschließende „Iron Will“ war Motörhead gewidmet, er war Doro gewidmet, er war deren Crews gewidmet, und ein „Thank you very much Wiesbaden. You rule. Hope to see you again!“ - das, was sie jeden Abend sagen - bedeutete den Abgang der Schweden. Immerhin tanzten die Samariter vom Roten Kreuz.
Blondchen in Black, feuchter Traum in Lack und Leder, im Seilgeviert jedoch Gina Wild unterlegen: Das alles ist DORO. Die 46jährige Profimusikerin und Ex-Sängerin von Warlock nebst ihren Begleitkünstlern Maas, Princiotta, Douglas und Dee möchte ich nicht groß kommentieren. Schließlich fand ich die 1,54 Meter kleine Amazone aus Düsseldorf auch mal ganz angenehm. Frau Pesch durfte auf ihrer 'Winter-Tour' einige Auftritte für Motörhead einleiten. Sie lieferte bösen alten Heavy Metal, wobei das meiste von ihren verflossenen Männern stammte. Doro waren Kitsch, Posen und entfesseltes Wasserstoffblond, ein bißchen peinlich, aber immer mit Karacho und Maximabelastung fürs Ohr. Schon die Klangprobe blies mir fast den Kopf weg. Jedes Instrument klang wie eine Trompete von Jericho. Der Höllenlärm konnte eine Torwächterin aber genauso wenig am Lesen eines Buches hindern, wie Peanut, die mir ihre Achtung vor ihrer Geschlechtsgenossin gestand. Doro selber fand den Abend mehrmals „fantastisch“ und „supergeil“, daß es sich „so gut da oben auf der Bühne anfühle“, und daß Doro „so viel Spaß haben und dies die beste Tour überhaupt ist.“ Mit der Ankündigung des Meisters und der Bitte „Bleibt sauber!“, hatte die „Queen of Metal“ ihr Geflecht aus Liebe und Treue bis in den Tod nach 45 Minuten perfekt gemacht. Der finale Schlachtruf - von Berufsboxerin Halmich auch zur Einlaufmusik auserwählt - war „All We Are“.
Hawkwind als erste ernstzunehmende Gruppe mitgerechnet, ist der langhaarige Mann mit Rickenbackerbass, Bourbonröhre, weit aufgeknöpftem Hemd, Eisernem Kreuz, Riesenohren und häßlichen Warzen im Gesicht, seit vierzig Jahren im Geschäft. Lemmy ist der Kopf im Rock, Punk und Metal überhaupt. Heute trafen wir den Heiligabend 1945 geborenen Engländer, der seit Ewigkeiten aber neben der „Rainbow“-Bar in Los Angeles lebt, in Wiesbaden. Daß Lemmy eine Faszination zu Deutschland und seinen Reichsrelikten hegt, ist kein Geheimnis. Also eröffnete er den Auftritt von MOTÖRHEAD nicht nur mit dem obligaten „We are Motörhead. And we play Rock´n´Roll!“, sondern stellte dem noch ein wunderbares „Guten Abend!“ voran. Mit „We Are Motörhead“ wurde ab 21 Uhr zurückgeschossen. Außer Flakscheinwerfern verzichteten Motörhead auf jegliche optische Untermalung. Nur die drei Männer in Schwarz vorm Maskottchen Snaggletooth, sonst nichts! Den vornstehenden Dampfhämmern „Stay Clean“ und „Metropolis“ folgte ein ruhiger Mittelteil, in dem Motörhead auch ihr 21. Werk 'The Wörld Is Yours' ins Mikro krauchten. Neben einem nostalgischen Gitarrensolo durfte dabei auch der Trommler zeigen, was er so drauf hat. Die Einzelaktionen wirkten eher schwach. Schließlich wendete sich aber alles zum Guten. „The Chase Is Better Than The Catch“ leitete eine Endphase ein, die sich gewaschen hatte. Das seltsam nekrophil dahingegrummelte „Killed By Death“ ausgenommen, peitschten, hämmerten und heulten Motörhead final alles in Trümmer. Der Überflieger „Ace of Spades“ wurde dabei schlicht als „Last song“ vermeldet - mit dem ironischen Zusatz, daß zwei weitere letzte Lieder folgen. Beim ersten - „Born To Raise Hell“ - durfte die blonde Amazone aus Germanien mitwirken. Und beim rasenden „Overkill“ war auch mein letzter Widerstand gebrochen. (Zuvor hatte mir schon eine abgefüllte Dame ein „Fuck!“ und die Behauptung ins Gesicht gespuckt, Motörhead und die zweitausend Gäste seien alle nur für sie gekommen, da sie heute Geburtstag habe.) Ganz zum Schluß stellten sich Motörhead auch noch vor: Seit 26 Jahren an der Gitarre: Philip „Wizzo“ Campbell; ferner der beste Schlagzeuger der Welt: Mikkey Dee; und seit 1975 für Rickenbastard und Propaganda zuständig: Mister Ian „Lemmy“ Kilmister. Durch den streng geregelten Ablauf waren Motörhead nach 88 Minuten durch. Der „Bomber“ blieb im Hangar!
 
Alles in allem währte der Blitzkrieg im Westen nur 3 ½ Stunden. Motörhead und die Rahmenhandlungen hatten den Abend gerettet. Betrüblich blieben die Preise für Devotionalien: Für einen Kurzärmler waren 30, für einen Kapuzenpulli sogar 60 Euro hinzublättern! - Als wir 22 Uhr 40 unter den Wiesbadener Nachthimmel traten, war alles weiß. Wie auf der Hinfahrt, war auch die Schnellbahn zurück nach Frankfurt voll mit bierdosenhaltenden Motörheadbangern. Zusammen sind wir völlig erschöpft aber glücklich durch ein winterweißes, unbeflecktes Hessen gezuckelt.
 
 
Heiliger Vitus, 14. Dezember 2010; Bilder: M. Hammer (Regiactive)
 
 

Zensur
Am 14.12.2010 habe ich den Bericht dem lokalen Unterstützer „Wiesbadener Kurier“ (Wiesbadener-Tagblatt.de) als Leserkommentar zur Verfügung gestellt. Die Redaktion entschied, den Kommentar nicht freizuschalten.
.:: ABSPIELLISTEN ::.
 
GRAND MAGUS
(19.00-19.30)
1. Kingslayer
2. Like the Oar Strikes the Water
3. Ravens Guide Our Way
4. Hammer of the North
5. I, the Jury
6. Iron Will
 
DORO
(19.45-20.30)
1. Earthshaker Rock [Warlock]
2. I Rule The Ruins [Warlock]
3. Running From The Devil
4. Burning The Witches [Warlock]
5. Wacken-Hymne (We are the Metalheads)
6. Für immer [Warlock]
7. Metal Racer
8. All We Are
 
MOTÖRHEAD
(21.00-22.28)
1. We Are Motörhead
2. Stay Clean
3. Get Back In Line
4. Metropolis
5. Over the Top
6. One Night Stand
7. Rock Out
8. Guitar-Solo
9. The Thousand Names Of God
10. I Got Mine
11. I Know How To Die
12. The Chase Is Better Than the Catch
13. In the Name of Tragedy (mit Schlagzeugsolo)
14. Just 'Cos You Got the Power
15. Going To Brazil
16. Killed By Death
17. Ace Of Spades
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18. Born To Raise Hell
19. Overkill