OFFICIUM TRISTE, URZA, FVNERAL FVKK, KALMEN
D-Leipzig, Bandhaus - 1. Februar 2020
Zwei Monate nach der Tragödie und dem Tod meiner Mutter, und nur zwei Tage nachdem ich sie mit meinem Mädel Peanut nach einem weiten Weg durch die Dresdner Heide unter einer Buche begraben hatte, kehrten wir an die Konzertfront zurück. Welch eine Überwindung! Doch die schwere Zeit hatte etwas mit mir gemacht. Ein Schmerz, der nicht enden will. Peanut war mir nie von der Seite gewichen. Auch an jenem eisgrauen, verregneten Sonnabend im Februar nicht. Eine Reise nach Leipzig zu einem gemeinsamen Doom-Erlebnis mit unseren Freunden Micha, Andrea und Fine, sollte andere Gedanken bringen. Leipzig empfing uns mit grau in grau getönter Paranoia-Atmosphäre. Der Schauplatz „Bandhaus“ stand in einer ehemaligen Industriezusammenrottung im Leipziger Studentenviertel Plagwitz. Hier stieg das Konzert in einem niedrigen, engen Keller eines Büroblocks an der Saarländer Straße. Nach anfangs zwei Dutzend (fast nur Musiker), drängten sich später hundert Leute im klaustrophobischen Konzertraum. Mangels Belüftungsanlage wurde dieser schon nach kurzer Zeit unbehaglich. Für frische Luft sorgte nur der Weg durchs Freie zu den Toiletten. Die Gruppen hatten einiges an Tonträgern und Kleidung mitgebracht. Dazwischen stand eine entrückte Nonne, deren Bestimmung bis zuletzt kryptisch blieb. Jedenfalls rührte sie sich fünf Stunden lang nicht von der Stelle.
Halb neun begann das Ritual vor anfangs lockerer Kulisse mit KALMEN. Kalmen hatten Peanut und ich 2012 in Nürnberg erstmalig erlebt. Von der damaligen Besetzung waren mit Schmidt, Jana und Unas immerhin noch drei Mitglieder an Bord. Den Wackelposten am Schlagzeug hatte Drumster inne, der die vierteljährige Konzertpause von Gorilla Monsoon zur Unterstützung seiner Landsleute nutzte. Mit 'Course Hex' und 'Funeral Seas' hatten die Dresdner in der Zwischenzeit zwei Langeisen veröffentlicht. Den eingeschlagenen Weg aus spirituellem Post Black Doom hatten sie weitgehend beibehalten - nur ein wenig von Doom zu Black Metal gewichtet. Kalmen zelebrierten Stoff von 'Funeral Seas'. Der Auftritt begann mit einem dröhnenden Riff und dann brach der Sturm los. Heisere Schreie prallten auf halluzinierend schnelle Gitarren und Trommeln. Manchmal gesellten sich verlorene Rufe und Wolfsgeheul dazu. Die Lieder erzählten einsame und mystische Geschichten. Manches entstammte der altvorderen Edda. Die hypnotisch treibende Rhythmik erinnerte an Burzums 'Filosofem'. Und an diesem Klanggewand sollte sich im Verlauf wenig ändern. Nicht zuletzt durch geworfene Mähnen und manische Bewegungen fesselten Kalmen ungleich mehr als vor sieben Jahren, als sie ihrem „Windstillen“ Gruppennamen noch alle Ehre machten. Das erste richtige Schlaglicht der Nacht setzte der Monolith „Arcane Heresies“, welcher den Auftritt mit einer Kasakade aus markant polternden Trommeln besiegelte. Dies war ein heftiger Einstieg!
Weiter ging´s nach einer langen Unterbrechnung mit den Hamburgern FVNERAL FVKK. Zumindest drei der Akteure dürften einem bekannt vorgekommen sein: Phil Kruppa und Olly Kröplin sind der Frontmann und Bassist der Death Doomer Ophis, Simon Schornek wiederum war Fronter von Crimson Swan und Gitarrist bei Ophis. Zusammen mit einem Mitglied der Black-Metaller Fäulnis und einem Live-Gitarristen spielen sie als Cantor Cinaedicus, Decanus Obscaenus, Vicarius Vespillo und Frater Flagellum nostalgischen Doom Metal im Dunst von Candlemass. Phil war vom Mikro hinters Schlagzeug gewechselt, Schornek der Chefpriester, dazu schufen gescratchte Trossen unheilvolle Effekte. Vier Extrem-Metaller, denen der Zufall (oder doch eine Eingebung?) einen Weg in den feierlichen Epic Doom wies... Das erinnerte an Penance, Krux und Ghost. Aber nach höheren Weihen strebten die zur Verblüffung unvermummten, in schwarzem Priestergewand mit umgedrehtem Kreuz aufmarschierten Norddeutschen, nicht. Ebensowenig sind Fvneral Fvkk ein blasphemisches Persiflage-Projekt. „Funeral Fukk sind eine eigenständige Gruppe mit eigenem Konzept“, verkündete Olly später. Der Papst stand am Pranger, Perversionen in der Kirche, Mißbrauch. Fvneral Fvkk hinterließen gespaltene Gefühle. Einerseits brachten sie eine Überdosis Klischee. Auf der anderen Seite zogen sie das größte Publikum. In meinen Augen sollten sich die Jungs auf ihre Vergangenheit mit Ophis besinnen.
Da ich seit einiger Zeit fast nur noch auf Funeral war (respektive Funeral Doom das Höchste für mich ist), waren URZA folgerichtig meine Favoriten. Urza hatten wir zudem vor zwei Jahren schon mal auf den Dutch Doom Days in Rotterdam durchlebt, und zwar mit bleibenden Erinnerungen. Das fünfköpfige Kommando aus Ostberlin mitsamt eines belgischen Bassisten hatte sich 2015 formiert und besteht seither unverändert aus Thom, Olli, Marcus, Marc Le und Hannes. Olli hatte mir im Vorfeld das neue Album 'The Omnipresence Of Loss“ nachhause geliefert - und dann stand meine Welt derart kopf, daß wir das Erscheinen in Leipzig schon abgesagt hatten. Aber das Leben muß weitergehen. Und wir hätten unser Fehlen bereut. Urza waren ähnlich faszinierend wie Kalmen. Nur anders. Was die stiltypischen Merkmale, die radikale Langsamkeit und orchestrale Wucht des Funeral Doom angeht, wurden diese bei Urza oft von urgewaltigem Geröchel und deathigen Tempoattacken gesprengt. Und weil diese Mixtur einfach stimmte, war es schon sehr verwerflich, wenn - untermalt vom malmenden Doom - ein Kunde neben mir befand: „Ich schlaf´ gleich ein, ich muß raus was kiffen.“ Düster-beklemmende Aura, verzweifelte Inhalte, durchdringende Schreie, zerquetschende Apparillos, die buchstäbliche „Allgegenwart des Verlustes“, nur drei Lieder binnen fünfzig Minuten (davon das letzte - das bislang unveröffentlichte „In the Aftermath of Dystopia“ - ein Koloss von zwanzig Minuten): Urza waren für mich heute das Äußerste!
Was sind schon siebeneinhalb Stunden Anreise für einen Aficionado? Vor dem Morgengrauen hatte sich Pim Blankenstein in Rotterdam aufgemacht, in Amersfoort Gefährten aufgesammelt, und war fünf Stunden über die Autobahn nach Sachsen getuckert - um sich gut geerdet und voller Gefühle seinen deutschen Anhängern zu zeigen. Schlag Mitternacht nahmen die 1994 gegründeten OFFICIUM TRISTE die Fackel von Urza auf und ließen eine einstündige Demonstration in Sachen Death Doom folgen. Oder wie es Pim mit verrotteter Stimme in fast akzentfreier Bescheidenheit sagte: „Guten Abend, wir sind Officium Triste aus den Niederlanden. Wir haben schon drei gute Bands gesehen und wollen noch etwas dazu tun.“ Die von Blankenstein, de Jong, van Dijk, Plaisier und Jordaan verkörperte Doomlegende inszenierte ein rasantes, in Nebel und kaltes Blau getauchtes Spektakel mit Streicher und süßlicher Pianomusik aus dem Off, vertretbarem Hang zum Pomp, sowie Pims liebenswerten, verdammt menschlichen Erläuterungen. Mit „The End is Nigh“ und „World in Flames“ machten zwei Lieder vom Neuwerk 'The Death Of Gaia' den Auftakt, welches Officium auch in einer auf 150 Exemplare limitierten Box mitführten. Nach dem schwer an Paradise Lost erinnernden ersten Drittel, folgten im Mittelteil düstere Altigkeiten, allen voran die Dauerbrenner „This Inner Twist“ und „My Charcoal Heart“ - bevor der Ohrwurm „Like Atlas“ das reguläre Programm beschloß. Mit dem strahlenden Ruhm der Großen hatten Officium Triste allerdings nicht viel zu tun. Selbst wenn auf der Bühne wild geheadbangt wurde, lag immer ein düsterer Schleier über deren Lieder, die eine kalte Trostlosigkeit und Depression durchzieht. In Beiheften wird jung gestorbenen Freunden gedacht. Der todtraurige Schwanengesang „Like a Flower in the Desert“ entließ uns aus einem bittersüßen Ritual in die Nacht.
 
Aus Ermangelung einer Rückfahrt nach Dresden waren Peanut und ich zu einer Übernachtung in Leipzig gezwungen. Micha, Andrea und Fine brachten uns in die Herberge - um sich anschließend auf ihre dreihundert Kilometer lange Heimfahrt ins Bördeland zu machen. Damit endete die von Trauer überschattete Reise.
 
Mutti, du fehlst hier auf Erden!
 
 

((((((Heiliger Vitus)))))), 7. Februar 2020, Bilder: Peanut
.:: ABSPIELLISTEN ::.
 
KALMEN
(20.30-21.10 / Reihenfolge ohne Gewähr)
Spectral
Thieving Sky
Portal
Uninfinite Black
Searenade
Arcane Heresies
 
FVNERAL FVKK
(21.42-22.22 / Reihenfolge ohne Gewähr)
Chapel of Abuse
A Shadow In the Dormitory
Erection in the House of God
To Those in the Grave
Underneath the Phelonion
When God Is Not Watching
Alone With the Cross
The Hallowed Leech
Fvkking at Fvnerals
 
URZA
(22.43-23.33)
1. Lost in Decline
2. Path of Tombs
3. In the Aftermath of Dystopia
 
OFFICIUM TRISTE
(0.00-1.00)
1. The End is Nigh
2. World in Flames
3. On the Crossroads of Souls
4. This Inner Twist
5. My Charcoal Heart
6. Like Atlas
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7. Like a Flower in the Desert
Gewidmet
Annelies Tichý (1940-2019)