PRIMITIVE MAN, ORTEGA
D-Dresden, Scheune - 23. Juni 2017
Mal zu viel, mal zu wenig... Während der Stoner/Sludge/Doom/Psych/Postrock-Junkie in Frankfurt für ein Ritual oft wochenlang darben muß, jagte in der vorletzten Juniwoche in Dresden eins das andere. An manchen Abenden hätten Peanut und ich sogar auf zwei gehen können. Letztlich entschieden wir uns für drei Ereignisse binnen sechs Tagen. Das letzte gehörte den US-Blackened-Doomern Primitive Man und ihren niederländischen Buddys Ortega. Daß deren „European Decimation“-Tross im Austragungsort „Scheune“ und dem Booker Dicktator Soundz kein gütiges Geschick finden sollte, ließ schon das drei Tage zuvor abgeblasene Konzert von Voivod und Beissert an gleicher Stelle befürchten. Beissert kommentierte die dubiose Erklärung - „aus produktionstechnischen Gründen“ - mit lakonischem Humor. Zum anderen zeigte sich einmal mehr der Stellenwert des Doom in der Äußeren Neustadt respektive Antonstadt, wie das Gebiet zwischen Bischofsweg, Priesnitz, Bautzner und Königsberger Straße eigentlich heißt: Nachdem der Szene- und Widerstandskiez letztes Wochenende von hunderttausend Linksalternativen zur Bunten Republik Neustadt (BRN) erklärt, vermüllt und bepinkelt worden war, und auch am heutigen Freitagabend Horden mit Bier in der Hand und im Kopp am alten Bau in der Alaunstraße vorüberzogen, sich Dutzende an Tischtennisplatten austobten oder in Spinnereien auf dem Scheunevorplatz ergingen, verloren sich in der Konzerthalle selbst nur dreißig Leute. Ein ganz schlechter Witz!
Die ahnungslosen ORTEGA aus Groningen begannen ihren Auftritt vor zehn (!) Langhaarigen mit einem Dank fürs Rauskommen und den glockenartigen Trommeln zu „Maelstrom“. Postma, Loots, de Boer und Jurgens hatten wir 2015 bei den Dutch Doom Days erlebt. Sie waren seit zehn Jahren zusammengeblieben, und zelebrierten heute - umgeben von den dunklen Hölzern und dem kristallklaren Klang im Raum - drei Stücke ihres Albums 'Sacred States'. Ortegas isoliert wirkender Blick auf die Suche des Menschen nach Erleuchtung - inspiriert von Gruppen wie Conan oder Downfall of Gaia - war ganz großes Kino, berührend und aufwühlend, traurig und schön zugleich. Die fiebrigen, an Schreie verlorener Seelen erinnernden Vokale von Frontmann Richard, verliehen der Darbietung zudem etwas zeitlos Ewigliches. Über allem schwebte allerdings der Zwanzigminüter „Crows“, der einen mit seiner unfassbaren Wehmut, transzendentalem Hall und einem katharsisch schönen Riff nicht mehr losließ. Dieses Teil ging ganz tief runter. Der Plattmacher „Strong Eye“ kam hingegen anfangs etwas flockiger daher, mündete dann jedoch in eine alles vernichtende Apokalypse aus sirrenden Instrumenten. Wie bei dem Erlebnis vor zwei Jahren in Rotterdam, stand final eine Dreiviertelstunde irgendwo zwischen Sludge und Post Metal, die an Kraft und Energie noch einmal zugenommen hatte. Wie sich der Bassist in eine Trance hinein headbangte, war nicht normal.
Mit einem Mann weniger, aber körperlich noch beeindruckender, hatten sich kurz nach zehn Uhr PRIMITIVE MAN aus Denver, Colorado in Stellung gebracht. Im Gegensatz zu den visionären Niederländern kam die Schau der Amis steinzeitlich im Stil eines Mammuts daher. Primitive Man lieferten eine Kreuzung aus Sludge-, Death- und Funeral Doom ab, die von überfallartigen Grind-Attacken gespickt war. Buzzoven oder Weedeater schossen einem da unweigerlich durch den Kopf. Aber Primitive Man zogen natürlich ihr eigenes Ding durch. Die Bühne lag in tiefem Schwarz vor uns, weiße und blutrote Strahler warfen etwas Licht. Zuweilen wehte Nebel über die Planken. Und dann diese Klänge: Frontmann Eathon Lee McCarthys gutturales Gekeife ähnelte urweltlichen Schreien aus einer Höhle, während Viersaiter Jonathan Campos und Trommler Isidro Soto den alles zerdrückenden Zeitlupentakt dazu vorgaben. Mehr brauchte es nicht! Blickfang war unterdes der x-beinige, bullige McCarthy, der entweder misanthropisch an die Decke starrte oder völlig irre seine langen Dreads warf - während der noch massigere und nicht minder tätowierte Kahlkopf am Bass den Charme eines Serienmörders verströmte, und Soto gegenüber den sinistren Kolossen im ersten Sturm geradezu wie ein Gnom wirkte. Wie Ortega mündeten Primitive Man in ein höllisches Inferno aus wahnsinnig geschrubbten, über die Köpfe gereckten und an den Lautsprechern gekratzten Apparillos, und sie blieben mit ebenfalls 44 Minuten ein ebenso kurzer Rausch. Flehen nach Verlängerung enttäuschte der Fronter völlig ausgepumpt mit „Sorry, we are on tour since ten days.“ Es war eine Performanz wie ein Donnerschlag.
 
Während der Frontmann von Ortega und der Bassist von Primitive Man im Anschluß nicht nur Shirts, CDs und Platten verhökerten, sondern auch offenherzig Auskunft gaben, leistete ich mir mit Frl. P. seitlich daneben an der Bar einen kultivierten Bourbon. Der Heimweg führte uns am Heavy-Metal-Schuppen in der Louise vorbei. Dort lief heute auf Wunsch einer Dame Karaoke-Mucke von AC/DC, Purple und Priest. Wirklich unerträglich waren allerdings die Vermischungen und Verschandelungen in der Neustadt an sich. Das aus allen Himmelsrichtungen ungehindert Hineindrängende hatte die Straßen, Häuser und Plätze unserer Vorväter mit Hetzparolen beschmiert, neue Regeln aufgestellt und Einheimische vertrieben. Nie zuvor wurde mein Gefühl für Dresden so zertreten, nie wurde mir das Leben in der Heimat so schwer gemacht. Ein Freund sagte mir später, die „Transformation“ zu einem „Loch“ sei „ratzifatzi“ passiert. Aber da gibt's ja auch die Zeit, die allen Dreck und Abfall wegwischen wird. Mit der Scheuklappen-Methode und rein selektiver Wahrnehmung, verbleibt ein phantastisches Doom-Ritual in der Scheune. Es war das beste überhaupt im Sommer 2017.
 
 
((((((Heiliger Vitus)))))), 26. Juni 2017
.:: ABSPIELLISTEN ::.
 
ORTEGA
(21.11-21.55)
1. Maelstrom
2. Crows
3. Strong Eye
 
PRIMITIVE MAN
(22.14-22.58)
1. Downfall
2. Bag Man
3. Scorn