RISING ANGER, SINNING SKIES, DIE NILP-FERDS, SIDEEFFECT
D-Bad Vilbel, Efzet Forum - 8. März 2013
Dortelweil war mein erster Konzertbesuch in der Wetterau. Ein Hinweis im „Wetterauer Wochen-Bote“ unter dem Titel „Rocken mit Sideeffect“ war der Auslöser. Das Marathon-Training für Rom erlaubte einen Ausflug in die Nacht. Sieben Bahnminuten, fünfzehn per pedes, vier Piepen Eintritt: einfacher ging´s nicht. Kurzfristig hatte auch der Frankfurter Awo-Kampfgenosse Jochen sein Kommen angesagt. Einer von uns würde aus der ehemals gemeinsamen Stadt im Süden anrücken, der andere aus der neuen Heimat im Norden. In Dortelweil wollten wir uns treffen. Es hätte eine emotionale Sache werden können - aber wir verfehlten uns. Ein Funkloch hatte alles vereitelt. Als ich 22 Uhr 15 im Klub einschlug, war Jochen schon verschwunden. Er hatte im Keller Kopfschmerzen gekriegt und nicht mehr mit mir gerechnet... Das „Efzet“ fand sich in einem Betonquader mit der Aufschrift „Kultur und Sportforum Dortelweil“. Nachdem man draußen von einem Sicherheitsdienst geprüft war und an der Kasse sein Alter bestätigt hatte - Jochen ging als 16jähriger durch, ich mit 14 (damit waren wir die Altvorderen der Nacht) - war man samt Kontrollarmband drin. Durch ein blitzblankes Café führte eine Treppe runter ins Glück. Im Keller hatten sich zwischen noch unbefleckten Dämmplatten und Belüftungsrohren die üblichen fünfzig eingefunden: Mittzwanziger, Pennäler, junge Kommunarden der Generation Y. Einer, der mit Mähne und Lederjacke wie Tankards Gerre vor dreißig Jahren aussah, traute seinen Augen nicht, als er mich erblickte. Ich wurde den ganzen Abend gesiezt... Zwar durch Generationen getrennt, einte uns jedoch der Geist des „Straight Edge“. Das Efzet war nüchtern - und ich war es seit Ewigkeiten auch.
 
SIDEEFFECT hatte ich sausen lassen, doch Jochen hatte sie erlebt und mir folgende Auskunft geschickt: „´Ne ganz gute Band, Frontfrau in Blond mit ´ner guten Stimme, wenn Sie dann noch 15 Kilo weniger drauf gehabt hätte, wäre Sie richtig attraktiv gewesen.“ Lob erfuhren die vier Florstädter auch durch die nachfolgenden Nilp-Ferds, die sie voller Begeisterung als „richtig geil“ einstuften. Einen der an der Wand lehnenden Akteure nach dem Auftritt befragt, reagierte der leider bah und abweisend. Sideeffect lieferten einen Mischling aus Funk, Blues und Rock.
Um zehn rum waren Leon, Daniel, Nora und Leo Ferd, kurz DIE NILP-FERDS, in ihre Darbietung gestartet. Die drei jungen Männer aus Vilbel samt Fräulein mit Hut am Bass, hatten sich bei meinem Eintreffen soeben eingegroovt. Auf Moll getrimmte Schrammelgitarren verschmolzen zusammen mit emocorigem Gesang und hin und wieder einem Elektropiano zu einem stillen und trotzdem atemlosen Ding zwischen Joy Division, Britpop und Hamburger Schule. Dabei tänzelten die Nilp-Ferds nicht nur unermüdlich zwischen Deutsch und Englisch, sondern änderten auch alle naselang die Gangart. Wobei sie näher an den langsamen, tiefgründelnden Sachen waren... was mit einem Schwund im Publikum auf mitunter acht Gesichter bestraft wurde. Gewiß waren die Ferds ihren Altersgenossen einige Jahre voraus. Am Ende standen „I Hate The World“ und ein Dutzend weiterer kleiner Perlen zwischen Indie, Pop und Punk. Wo genau die wachsen, da taten sich die Ferds selber etwas schwer. Jeder der vier hatte einen anderen Hintergrund - und „Poprock“ schien der gemeinsame Nenner.
Ungleicher konnten die Nächsten nicht sein. Ab 23 Uhr 15 wurde die Körperlichkeit stringenter, alle Regler wurden nach rechts gedreht, die Schlagzahl mindestens verdoppelt, und dann brach die Hölle los. SINNING SKIES erinnerten mich vom ersten Moment an US-Trupps wie Every Time I Die, Chimaira oder Converge. Fünf Burschen aus Frankfurt mit knöchelengen Hosen, Tunnel im Ohr, in die Augen hängenden Strähnen, und den Namen Speck, Hendel, Scheller, Palmer und Künnemeyer, droschen einen heißen Scheiß aus Hardcore, Metal und Nervenkitzel, auch Metalcore genannt, in die Meute. Drei hyperventlierende E-Gitarren krachten auf bizarre Schreie, fiebriges Kreischen und animalisches Grunzen, und im Hintergrund donnerten dazu die Knüppel. Die Meute dankte es mit Sprüngen, fliegenden Extremitäten und Pogo im Modus „Jeder gegen jeden“, zur Abwechslung auch gerne im Kreis gegen die Zeiger der Uhr. Ferner waren auf Händen getragene Menschen zu verorten. Sinning Skies zogen die meisten Leute. An die sechzig machten unermüdlich Betrieb. Ganz besonders bei den Herausstechern. Zum einen beim ehemals als Einleitung herhaltenden und jetzt auf EBM gestromten „Dramatic“ (Feindflug grüßten). Andererseits bei einem Brecher vorm Herrn mit dem Titel „Chasing Curses“. Was am Schluß kam, war schon klar... Nach 25 Minuten war das stählerne Gewitter schon wieder vorbei. Auch unter der Gefahr sich als rostiges Eisen zum Gespött zu machen: Sinning Skies hatten was! Das war kurz, knapp und bombe!!!
Mit RISING ANGER sollte ein weiterer Metalcore-Rodeo folgen. Der Internetclip „Swallowed by The Sun“ war der Grund meines Kommens - und dann ging eine halbe Stunde gar nichts mehr. Nach den Sinning Skies zog das Publikum in Scharen ab und als der Rest mit dem Beginn rechnete - Schlag Mitternacht standen Rising Anger mit den Apparaten im Anschlag vor uns - mußte ein wichtiger Herr noch eine quarzen gehen. (Der Auftritt wurde gefilmt und ohne Filmonkel kein Dokument.) Damit blieben nur quälerisch lange Beobachtungen am Rande - nach denen mir der Kopf der Gruppe als etwas schwierige Autorität in Erinnerung ist. Derweil der Vokalist mit seiner Gitarristin (einem blonden Brecher) übers Kinderkriegen schwadronierte, ließen zumindest die Saitenmänner und der Trommler einige bemerkenswerte Aufwärmübungen von der Leine. Ferner trug die Horde aus Wiesbaden kurze Hosen und viel Tinte unter der Haut zur Schau, der Fronter dazu einen Fetzen mit dem Schriftzug BILLY THE KID - OUR HATE WILL BE THE DEATH OF US. Gegen so viel Hardcore fühlte man sich als Marathonläufer wie ein Gerippe, und als Rising Anger endlich losgelassen wurden, mußte ich weg. (Die S6 fuhr nur alle Stunde, die letzte 1.26 Uhr.) Der Auftakt „Like Vultures“ schlug nicht die Haken der Skies, sondern wirkte eher flächig und pulsierend. Dazu fiel der Leithammel durch seine körperliche Dominanz im ebenderdigen Geviert auf.
.:: ABSPIELLISTEN ::.
 
DIE NILP-FERDS
(22.00-22.45)
1. Lonely Estray
2. Downtown Pogo
3. Got to Rough it
4. Beautiful Eyes
5. Charlie Sheen
6. Sonnencreme
7. Kein Weg zurück
8. Welcome You
9. Still Alright
10. Control
11. No Idea
12. I Hate The World
13. Die Ferds, dieLT
 
SINNING SKIES
(23.15-23.40)
1. Resident Evil Intro
2. Repent
3. Only Ourselves To Trust
4. Dramatic (Elektro)
5. Chasing Curses
6. These Are The Days
 
RISING ANGER
(0.14-?.??)
Intro
1. Like Vultures
2. Save Me
3. Momentariness
4. A Grave of Dignity
5. Killerfarm Sells Life Insurance
6. Be The Bitch You Are!
Interlude
7. Swallowed By The Sun
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8. Deepthroat in Paradise
Abschließend sei gesagt,...
 
... daß mein erstes Mal im Underground der Wetterau runterging wie Öl. Ringsum völlig entschleunigte Menschen, kein Bemustern, keine dummen Fragen, kein schlaues Gezeck, klasse Lokation und klasse Gruppen... Neun Stunden nach R. Anger kam´s fast zum Wiedersehen mit dem Efzet: Der Ortsrand von Dortelweil war der Wendepunkt meines letzten 30-Kilometer-Dauerlaufs vorm Rom-Marathon.
 
 
Heiliger Vitus, 11. März 2013