SAMARIS
D-Frankfurt am Main, Brotfabrik - 18. September 2014
Das anhaltende Nichts an Doom hatte Frau P. und mich wieder mal zu einem etwas anderen Konzert verschlagen. Samaris beehrten die Bühne der ehemaligen Frankfurter Brotfabrik mit elektronischer Volksmusik aus Island. Für die vier Kilometer vom Bahnhof nach Hausen hatten die neuen Wunderkinder aus der Heimat Odins sage und schreibe eine Stunde gebraucht - und schienen sehr beeindruckt vom Meer der Wolkenkratzer, das sie dabei durchqueren mußten. Angekommen in den alten Mauern, in denen bis 1962 Brot produziert wurde, glichen diese immer noch einem Backofen. Am Großen Saal mahnte ein Schild „TÜR BITTE LEISE SCHLIEßEN!“, und im schwarzen Inneren schwitzten und nippten sechzig Vergeistigte an weißem und rotem Wein. Reden und Blitzen war verboten, der Eintritt kostete 17 Euro.
Punkt 20 Uhr 20 war es Zeit für Jófríður Ákadóttir, Áslaug Rún Magnúsdóttir und Þórður Kári Steinþórsson von der Insel im Norden. Anstelle schwieriger Namen hätten sich die drei auch Frigg, Brynhild und Sigurd nennen können. Mit ihrem sinnlich geflochtenem, blonden Haar, ihren blauen Augen, der makellos weißen Haut und den wallenden Ballkleidern waren die 23jährigen Jünglinge dem Bilderbuch der nordischen Mythologie geradezu entsprungen. Eine Asin, eine Walküre und der Drachentöter zelebrierten in weiten Teilen ihr Zweitwerk 'Silkindrangar' (Seidenklippen), erweitert um die Namensgeber ihrer Minialben. Während Jófríður mit betörend schöner, leicht verhallter Stimme die Stelle der elfenhaften Gottfrau einnahm, sorgten Vollweib Áslaug mit der Klarinette und Blondschopf Þórður hinter den Monitoren für eine ätherisch-düstere Untermalung. Die Texte entlehnten Samaris altnordischen Gedichten. Gesungen wurde in isländischer Sprache. Wer sich auf die Kreuzung von Folklore, Ambient und EBM einließ, bekam eines der anrührendsten Konzerte der letzten Zeit. Richtig begann es allerdings erst mit dem vierten Lied. Bis dahin waren sehr sinnliche zwanzig Minuten vergangen. Danach entwickelte sich durch die spärlich ausgeleuchtete Bühne und die hypnotische Tonspur eine tiefe Faszination. Das von kargen Elektrobeats getragene „Góða tungl“ und „Hrafnar“ als Heldenlied an Odins Raben Hugin und Munin waren die absoluten Höhepunkte. Raben sind heilige Tiere im Nordland! Ab „Hrafnar“ lag die Bühne unter mystischem Nebel. Im regulären Teil spielten Samaris neun Lieder. Das aus dem Sommer 2012 stammende 'Stofnar Falla' stellte die erste Zugabe dar, 'Hljóma Þú' als allererstes Lied überhaupt, die zweite. Ein tieffrequenziger Groover und ein finaler Seufzer machten den Sack nach siebzig Minuten zu.
Mit dem reinsten Gegenentwurf klang der Abend in der Bar „Melo“ im Innenhof der Broti aus. Zwischen Plüsch und rustikalem Holz fand sich ein spontanes Plenum aus Sozialarbeitern zusammen. Für Samaris interessierte sich dort niemand. Man debattierte über den Untergang des Abendlandes genauso wie über Sitte, Moral und Anstand, wie wir sie kennen. Einer der Anwesenden wurde dabei als verdeckter Ermittler des Verfassungsschutzes beäugt... Bis zu unserer Heimkehr in die Wetterau vergingen drei Stunden!
 
 
Heiliger Vitus, 22. September 2014 (Tagundnachtgleiche)