SLAYER, ANTHRAX, KVELERTAK
D-Frankfurt am Main, Jahrhunderthalle - 16. November 2015
Ohne den Teufel an die Wand zu malen, aber drei Tage nachdem bewaffnete Dschihadisten während eines Konzerts der Eagles of Death Metal den Club „Bataclan“ in Paris stürmten, wild um sich schossen, und 89 Menschen töteten, war mir vorm Besuch bei Slayer schon etwas mulmig zumute. Die Konzerthallen, die Musik, die dichtgedrängte Menge, Frankfurt als Geldkapitale und Hochburg eines radikalisierten Milieus: Es gab viele Parallelen und gefährliche Personen. Mit ihrer Abgeschiedenheit auf der Pfaffenwiese ganz im Frankfurter Westen hätte die einer gigantischen Flugscheibe ähnelnde Jahrhunderthalle durchaus zur tödlichen Falle werden können. Sämtliche Sicherheitsvorkehrungen, Leibesvisitaionen, Taschenkontrollen und alle zehn Meter ein Saalschutz wären nur ein Pfeifen im Walde gewesen. Die Eintrittskarten hatten Frau Peanut und ich aber schon im Sommer erstanden. Wollten ein Vierteljahrhundert nach dem „ersten Mal“ noch mal direkt dran an den Titanen sein. SLAAAYYYER!... Und nun mußten wir da durch... Dunkle Wolke hingen über allem... Nach den 47 Euro für die Karte im Vorverkauf folgten drin weitere Mondpreise. Kapuzenjacken waren mit 70 Euro aufgerufen, für ein Shirt nahm der Händler 35 Euro, Kappen kosteten 30, Schweißbänder stolze 20 Euro; das Becherlein Bier lag bei 4,20. Vom Schlangestehen redet man gar nicht. Es herrschte Ohnmacht und Lähmung an jenem Montagabend unter der von Glas eingefaßten, futurististischen Kuppel mit ihrem frei schwebenden Auditorium. Amtlich 4200 Personen hatten sich eingefunden: rund 2000 auf den Sitzen, das gleiche noch mal auf den Stehplätzen darunter. Auch Gerre von Tankard war mit seiner Flamme gekommen. Die beiden hielten sich weit hinten im Publikum auf. Ich selber kam mir wie in einer Falle vor...
Das Kanonenfutter hieß KVELERTAK (zu deutsch Würgegriff), kam aus Stavanger und war so was wie der letzte Schrei in Norwegen. Sechs ölige, verschwitzte Figuren - davon die Hälfte mit Elektrogitarre, und im fliegenden Wechsel auch fast jeder mal hinterm Mikro - trieben es mit dem Mainstream und entsprachen damit allen Klischees von Wacken und Roskilde in Perfektion. Doch Frankfurt bekam weder Thrash Metal noch Speed oder Death. Nein, vielmehr schlingerte das mit viel Spaß in den Backen beladene Sextett durch eine Art mittelschnellen Black and Roll (sofern dieser Stil existiert). In jedem Fall galt: Kennste einen Kvelertak, kennste alle. Kurzum: Kvelertak waren quälerisch langweilig und nichtig. Nach 45 Minuten war der Kampf des David gegen die Goliaths zu Ende, und das Rudel aus Norge Geschichte.
1981 formiert, gelten ANTRHAX zusammen mit Overkill, Exodus, Slayer, Metallica und Megadeth als Erfinder des Thrash Metal. Wegen ihres amoklaufenden Körpereinsatzes, den grellen Klamotten, dem Quartier in New York, vielen Umgruppierungen und der Offenheit gegenüber Rap und Alternativrock, tanzten die nach der Milzbrand-Krankheit Benannten immer aus der Reihe. Man suhlte sich im Exoten-Image, doch die Gedanken waren die gleichen: Es ging gegen alles und jeden! Und das mit Vehemenz und raserischen Waffen. Neben Gruppengründer und Rhythmusgitarrist Scott Ian tummelten sich heute mit Vokalist Joey Belladonna, Bassist Frank Bello sowie Trommler Charlie Benante drei weitere aus der Stunde null des Thrash Metal auf der Bühne. Die jahrelang von Dan Spitz traktierte Leitgitarre bediente Jon Donais. Obwohl Anthrax auch schon fünfzig werden oder drüber hinaus sind, wirkten sie ungemein frisch, sprühten vor Lust, und sollten deutlich mehr Energie auf die Planken bringen als Slayer! Gleich der Auftakt „Caught in a Mosh“ schien mit seinem rasanten und fesselnden Charme wie aus der Zeit gefallen. Anthrax kompilierten das Beste aus drei Dekaden in zehn Lieder. Wovon das meiste aus den Endachtzigern stammte, kein einziges indes aus den Tagen mit Armored Saints John Bush, sprich: der alternativen 'Sound Of White Noise'-Phase. Andererseits wurden mit „Got the Time“, „Antisocial“ und „March of the S.O.D.“ gleich drei fremde Teile kredenzt, was dem Auftritt insgesamt guttat. Denn niemand verkörpert Anthrax besser als Frontsirene Joey Belladonna! Die einzige Neuigkeit „Fight ´Em ´Til You Can´t“ brauchte die Welt nicht unbedingt. Vor einem Vierteljahrhundert hätte ich bei Anthrax gebangt.
SLAYER ´88 in Offenbach wird für immer mein bestes Konzert bleiben. Slayer war das kompromissloseste, umstrittenste und infernalischste Kommando der Welt. Aber von der Urbesetzung rückten heute mit Sechssaiter Kerry King sowie Propagandist und Bassapparillo Tom Araya nur noch zwei an. Dafür saß mit Paul Bostaph einer hinter den Trommeln, der schon früher den schwierigen Dave Lombardo ersetzte. Hinzu gesellte sich Gary Holt, der das eigene Unternehmen Exodus verriet und sich als Lakai an der zweiten Gitarre versuchte (die Aura von Jeff Hanneman [R.I.P.] aber nicht mal im Ansatz erreichte). Immerhin entstammten wir alle der gleichen Generation... SLAAAYYYER!... Während des Umbaus lag das Geviert hinter einem riesigen Tuch, das aus Verbundenheit mit der Grande Nation in den Farben der Trikolore leuchtete. Schlag zehn standen die Schlächter aus Los Angeles endlich auf dem Gefechtsstand. Hail Slayer! Vor umgedrehten Kreuzen im Hintergrund versammelten sie zwanzig Lieder von 13 Alben seit dem Jahre 1981. Im Unterschied zu Anthrax ging es die Staffel von der Westküste jedoch verhalten an, und brachte - abgesehen von „Postmortem“ - zu Beginn neuen Stoff. 'Repentless' hieß das letzte Langeisen. Doch rasch war auch klar, daß die Jahrhunderthalle ein verlorener Ort für Slayer war. Die Spielfläche zu weit und zu grell ausgeleuchtet, der Raum zu voluminös, das Ambiente zu steril. Araya, King, Holt und Bostaph hatten sich in empirischer Entfernung voneiander postiert, und näherten sich in den nächsten einhundert Minuten auch keinen Meter an. Doch die Zweckgemeinschaft aus Amerika lieferte den Eisenfressern das, was sie wollten. Mit dem Titeltrack „Repentless“, den geradezu stoischen „When The Stillness Comes“ und „Vices“, sowie dem Nackenbrecher „Implode“, hatten Slayer gleich vier Teile vom Neuling kredenzt. Mit böser Zunge könnte man auch sagen: Bis dahin verrichteten sie düster und kaltschnäuzig Dienst nach Vorschrift. Denn erst mit dem an neunter Stelle stehenden „Mandatory Suicide“ kam die Geschichte richtig ins Rollen. Von jetzt ab folgte Bombe auf Bombe - bis zum ultimativen Finale mit den größten Metalsongs aller Zeiten. Der posthume Totenkult „South of Heaven“, der Blutrausch „Raining Blood“ und das Mengele-Trauma „Angel of Death“ machten alles kurz und klein. Es war keine Nacht wie jede andere - es war der Fall Blau-Weiß-Rot!
 
Gleich im Anschluß sind wir heimwärts gefahren. Im überfüllten Linienbus redete niemand ein Sterbenswort. Die Fahrt in der S-Bahn von Frankfurt-Höchst in die Innenstadt glich einer unheimlichen Trip durch eine Geisterstadt. Nur eine plärrige Ziege freute sich auf ihre Einladung ins Hotelzinmmer von „Tom Araya“...
.:: ABSPIELLISTEN ::.
 
KVELERTAK
(19.30-20.15)
1. Åpenbaring
2. Nekroskop
3. Mjød
4. Ulvetid
5. Offernatt
6. Ny Sang
7. Fossegrim
8. Evig Vandrar
9. Blodtørst
10. Undertro
11. Nekrokosmos
12. Bruane Brenn
13. Kvelertak
 
ANTHRAX
(20.30-21.30)
1. Caught in a Mosh
2. Got the Time [Joe Jackson]
3. Madhouse
4. Antisocial [Trust]
5. Evil Twin
6. Fight 'Em 'Til You Can't
7. Indians
8. March of the S.O.D. [Stormtroopers of Death]
9. In the End
10. Among the Living
 
SLAYER
(22.00-23.40)
Intro: Delusions of Savior
1. Repentless
2. Postmortem
3. Hate Worldwide
4. Disciple
5. God Send Death
6. War Ensemble
7. When the Stillness Comes
8. Vices
9. Mandatory Suicide
10. Chemical Warfare
11. Die by the Sword
12. Black Magic
13. Implode
14. Seasons in the Abyss
15. Hell Awaits
16. Dead Skin Mask
17. World Painted Blood
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18. South of Heaven
19. Raining Blood
20. Angel of Death
Daß unsere Bedenken nicht weit hergeholt waren, zeigte sich in den nächsten beiden Tagen. Keine 24 Stunden später wurden die Länderspiele Belgien gegen Spanien in Brüssel und Deutschland gegen Niederlande in Hannover wegen „konkreten Anschlagswarnungen und Gefahrenlagen“ kurz vorm Anpfiff abgesagt. Slayer und Anthrax setzten ihren Feldzug unterdessen fort, und traten am selben Abend im „Ancienne Belgique“ in Brüssel, dem Wohnort der Attentäter von Paris, auf. Am Morgen des 18. November stürmte ein Rollkommando eine Terrorzelle in Saint Denis. Dabei wurde der mutmaßliche Rädelsführer von Kugeln durchsiebt. Zwei Gotteskrieger sprengten sich in die Luft.
 
 

Heiliger Vitus, 19. November 2015; Bilder: Regioactive, Peanut und Vitus