SOLEÏLNOÏR, GROUND INCH
D-Hofheim am Taunus, Jazzkeller - 16. Januar 2004
Neuigkeiten von der Schwarzen Sonne. Traurige! Der geplante Auftritt in Hofheim mit den Freunden von Broken war zerplatzt. Weil deren Frontmann erneut einen Gang ins Krankenhaus antreten mußte. Alles Gute, Flow, auf diesem Wege!... Broken raus, Ground Inch rein. Dazu natürlich Soleïlnoïr, die Peanut und mich vier Wochen zuvor derart überwältigt hatten, daß wir jeden Weg in Kauf nahmen: an jenem eisgrauen, regnerischen Januartag bis nach Hofheim am Taunus, wo im „Jazzkeller“ das CELEBRATE ROCKEN III stieg. Nach einigem Verwirrungen im unteren Parkdeck am Bahnhof war der Klub geortet. Zwischen bekritzelten Wänden logierten in Loungesofas und an Stehtischen zwei Dutzend unmetallische Landpomeranzen und deren Macker. Sowie die sich mit Coffein und Jazz aus der Konserve aufputschende Soleïlnoïr-Gesellschaft um Earth, Jörg und Promotusse Evi (Evi stammt aus meiner Heimat, dem osterzgebirgischen Altenberg). Wir quatschten über Soleïlnoïrs kommenden Feldzug durch den Osten und deren Interesse an einem Auftritt beim „Doom Shall Rise“. Soleïlnoïr haderten, daß sie für Metal zu langsam, und für Doom zu schnell seien; Earth fachsimpelte mit dem Barmann über Gitarrensaiten; und für mich gab´s einen Ritterschlag der speziellen Art: Im Programmheft vom Jazzkeller war als Bandinfo zu Broken ein von mir verfaßter Konzertbericht abgedruckt!
Um 22 Uhr 05 starteten GROUND INCH. Von denen hatte ich Demoaufnahmen gehört, die ich trotz tiefer Abneigung gegen Metalcore passabel fand. In echt verkam der Fünfer mit orientalischem Hintergrund indes zum Rohrkrepierer. Ali Saadats hämische Vorstellung auf Kanak: „Also erssma: wir sind nischd Broken! Wir sind Graund Indsch aus Frankfuuurd!“, war der erste Schritt auf dem Weg in die Unbeliebheit. Zum nachfolgend hysterischen Hardcore trug das Alphamännchen schändlicherweise auch noch ein Hemd von Saint Vitus zur Schau. Und es nervte mit Flachwitzen wie „Viel Spaß!“, „Alles fit?“ und „Fuck!“ und „Bitch!“ als Dank. Die originellen Melodien vom Demo wurden stumpf zugebrüllt. „Top 5 Target“, das Grindcore-Brett „Shallow Goddamn Existence“, „The Truth“, „Roam High“, der Groover „Kill Me“, der Alternativrocker „Rumble Pack“, das stonerige „Black Universe“ oder „The Crow“: es war halb Metal, halb Hardcore, aber nichts richtig. Im Gegensatz zum Fronter erstarb der Rest in Starre. Und weil auch die Hofheimjugend weder Titten noch Ärsche wackeln ließ, frotzelte man: „Broken ham echt was verpaßt.“ Die Superpanne indes lieferte der Schwarte am Baß mit seinem Gesuch nach einer Pinkelpause im Mittelteil. Immerhin: einer warf seine Dreads: Maggot von Soleïlnoïr. Jörg wiederum wußte um unsren letzten Zug - weshalb er nach „Metal Icon“ den Saadat bat, Schluß zu machen. Der akzeptierte mit „Oh, oh“, und nach „Break on Delivery“ war der Spuk vorbei.
Herzschläge pochten aus den Speakern... diffuse Unruhe erfüllte den Raum... ein verzerrter Donnerhall... und dann... nur noch bebende Erde... und Nebel... ganz viel Nebel: Mit einer sinnekillenden Ragnarök begann um 23 Uhr unsere zweite Seance mit SOLEÏLNOÏR. Wiederum hatten sich die Klänge extrem schwer, düster und dunkel geöffnet. Nicht so mystisch wie bei der ersten Begegnung, dafür roher, härter, geschlossener. Die spärlich illuminierten und tintenschwarz geklufteten Maggot, Earth, Beck und Jo spielten das gleiche Set wie vor einem Monat. „Intruder“... „Twentythree“... „Resistance“: diese Spritze aus Metal und Doom - ich kannte sie, war gewarnt und ließ mir diesen Sucht erzeugenden Cocktail aus Krach und Seele, Melancholie und Emotionen, Brachialität und Zerbrechlichkeit doch wieder in meine Venen pumpen. Wieder hing ich am Rauschgift Soleïlnoïr. Den Hexenschuß vom „Low Frequency Assault“ war gerade ausgeheilt - nun der Rückschlag. Maggot schrie gegen die Wand aus blitzenden Saiten und zerquetschenden Bässen an, und die Sonne riß mich in ihr Reich und demontierte mein ramponiertes Kreuz: Headbanging Maggot kontra Vitus... Halluzinierend tanzte ich über den schwarzen Teppich von „Remote Control“, „Borderline“ und „Nucleus“ dem Abgrund entgegen. Und dann der zweite Ritterschlag der Nacht: Maggot »dedicated Vitus« den Überkiller „Interlude“! Es war unter die Haut gehend und hätte stundenlang so weitergehen können! Doch was war das? „Nurutrus“ und ein noch namenloser Schädelspalter... Samt Maggot´s Ruf: „Habt ihr Lust zu moshen?“ Damit weckte er Tote. Denn nun stürmten die Mitglieder der „Special Guests“ nach vorn, um mich grob wegzurempeln. Doch nicht für lang. Der schwere Noisebatzen „Dust“ zermalmte die Wilden und rückte die Welt wieder ins rechte Licht. Am Ende stand ein diffuses Rauschen... Die Sonne verlosch nach einer Stunde.
 
Beim letzten Schluck an der Bar erschien ein „Notfall“, der den Barkeeper um ein Pflaster bat. Jener rückte mit einem ganzen Erste-Hilfe-Kasten an. Auf die Frage, was er denn habe, antwortete der Notfall: „Ach, Magen- oder Blinddarmdurchbruch.“... Ich erstand den nun regulären Soleïlnoïr-Silberling, umarmte den Schwaben Jörg, drückte die Sächsin Evi, und machten mich mit Frau Peanut auf den Rückweg nach Frankfurt. Unterwegs füllte sich die S-Bahn mit potenziellen Gotteskriegern. Mir wurde mulmig und ich frug mich: Warum tut Gott uns das an?
 
 
Heiliger Vitus, 18. Januar 2004