STAFRÆNN HÁKON, ALT TRACK
D-Offenbach, Hafen 2 - 22. April 2011
Den Wutschaum hatte das diesjährige Ostara den hiesigen Klubbetreibern ins Gesicht getrieben. Frankfurts Ordnungsdezernent hatte ein altes Hessisches Feiertagsgesetzes durchgesetzt, und unter Androhung von 1000 Euro Bußgeld von Gründonnerstag bis Karsamstag und von Ostersonntag bis Ostermontag jeder Spaß in der Stadt verboten. Findige entdeckten aber eine Gesetzeslücke, wonach zwar Tanzen untersagt war, nicht jedoch laute Musik. Auf die Spitze trieben es die „Smartmobber“, die Karfreitag auf dem Rathausplatz Römer einen „Flashmob“ von 15 Minuten abgezogen. In Offenbach hingegen wartete das interdisziplinäre Kulturzentrum „Hafen 2“ mit einer fröhlichen Doppel-Vergnügnung auf: ab 20 Uhr im Programmkino der Woody-Allen-Streifen „Vicky Cristina Barcelona“, und im Anschluß ein Konzert mit Staffræn Hákon und Alt Track. Dazwischen konnte man sich auf der Wiese oder im Café seine bevorzugten Getränke in die Birne gießen... Den „Hafen 2“ kannten wir noch aus dem vorigen Jahrhundert, als der Lokschuppen des Offenbacher Hafens „Hafenbahn“ hieß, und ab den frühen Neunzigern als die Heavy-Metal-Basion in Hessen schlechthin galt. Tote graue Zellen in unvorstellbarer Zahl blieben als Erinnerung... Im Januar 2002 durfte ich noch Destruction, Kreator und Sodom erleben - im Juni 2002 war der damalige Betreiber „Hard ´n´ Heavy e.V.“ vertrieben. - - Den heutigen Besuch hatten Peanut und ich unserem Freund Jochen zu danken, der Karfreitag allein war, und uns kurzerhand zu einer Gruppenbesichtigung im Sozialarbeiterbus nach Offenbach einlud. Die Reise über den Main wurde auch eine in die Vergangenheit: Neben unseren früheren Behausungen im Frankfurter Norden haben wir auch die wilden Zeiten der Hausbesetzungen und der Jahre mit viel Alkohol, Pillen, Heavy Metal und Onkelzmusik gestreift. Wir waren lange nicht in der Gegend... Vierzig Häschen, Rammler und Partysanen hatten sich zum Preis eines Zehners in der Konzertstätte zusammengefunden, um der Kreuznagelung des Nazareners auf ihre Weise zu gedenken.
Kurz nach zehn wurden alle durch ein donnerndes „Fuck you all! This is our last show! We are ALT TRACK from Bradford, UK!“ begrüßt. Das war nett - und heillos mitreißend! Denn Micky und Pete, zwei unter Kappen und Kapuzen vermummte Youngster aus Südengland, servierten eine wilde Achterbahn aus dunklen Elektrobeats, einer zeitweilig eingesetzten Schrammelgitarre und zwei desillusionierten, schon leicht heiseren Stimmen, die sich zwischen britischem Indierock und Hip-Hop bewegten. Es ging um die Abgründe der neuen Zeit, Konsum, Gier und Entmenschlichung. Und dies in eindrucksvoller Art. Durch pfiffige Texte zum einen. Andererseits aber auch durch eine unerhörte Energie, wie man sie vom Punk kennt. Besonders der mit geschulterter Gitarre wie ein Irrwicht umhertobende Micky tat sich hier hervor. Aber auch eine dralle Dame, die einen heißen Rave aufs Parkett legte. Es krachte an allen Ecken und Enden, und das Ganze nannte sich Trip-Hop. Dieser Stil wurde in England erfunden. Alt Track ließen zwischendurch etwas nach - der Frontmann gestand, daß er nach der Heimkehr auf die Insel erst mal eine Woche ratzen wollte: „That´s the plan!“ -, aber das Ende hatte es wieder in sich. Da war diese Gänsehautnummer „I Don´t Think We´ve Thought This Through“, dann das unter der Menge herausgewütete „A Nation is On Fire“, und schließlich die als „Warnung“ angesagte, mit einer Tirade eingeleitete - und von einem Peace-Zeichen besiegelte Zugabe. Hart, rebellisch, geradeaus: Wie Alt Track sollte Elektromusik klingen! Nach 52 Minuten waren die Tommys durch. Damit endete der Feldzug übers Festlandeuropa für die einen...
... für die anderen begann er. Mit einem „Rock´n´Roll!“ zum Gruß, und mit „Minning um deig“ und einer grundverschiedenen Spielanlage starteten Islands STAFRÆNN HÁKON ihre Tour durch Deutschland. Etliche Besucher gingen jetzt. Staffræn Hákon waren als opulenter Postrock-Schwarm angerückt. Im Gefolge der Gitarristen und Kindheitsfreunde Ólafur Josephsson und Samuel White waren neben dem Produzenten und Trommler Lovegrove auch noch die Umgebungsgitarristen Gislason und Sigurðsson, ein Mann am Baß, sowie Sänger und Perkussionist Eggersman auf die Planken gestiegen. Aber es war kein Ausbruch eines Geysirs, erst recht keine Eruption eines Feuerbergs, sondern eher so was wie die leise Asche des Eyjafjallajökull, was die sieben von der Insel im Norden kredenzten. Obgleich gestandene Männer, wirkten Hákon lange wie ein kümmerlicher Abklatsch von Sigur Rós, gehemmt, unterkühlt und viel zu verhalten. (Jochen verglich sie mit Wishbone Ash.) Sympathie bezog der Auftritt durch die ergreifende Unbeholfenheit Josephssons, dem Kopf hinter Staffræn Hákon. Das hörte sich zum Beispiel so an: „If you want dance, dance. If you want listen, listen.“ Damit war das Eis gebrochen. Alles ließ sich nun ein, auf die wehmütige Stimme und teils ungewöhnlichen Instrumente, wie ein mit Steinen gefülltes Holzrohr. Nach drei seditativen Balladen, hatten sich durch „Emmer Green“ endlich auch die ersehnten, distortenden Gitarren erhoben. Und zum guten Schluß verwandelte sich die Deprimusik sogar fast noch in Doom. Erst durch den düsteren Postrocker „Val Kilmer“, der von einem Doors-Verehrer handelte, der sich fatalerweise den Schauspieler auf den Arm tätowieren ließ. Und nachdem sich der Sänger verdrückt hatte, konnten Hákon sogar noch ihr wahres Gesicht zeigen: Ein Brandneues, ein fulminanter Ambientrocker, ein alles zerstörendes Stahlgewitter namens „Snákur“ (Schlange) setzte den finalen Kreuznagel. (Vor „Snákur“ hatte der Sänger die Bühne verlasssen, um seinen Gefährten vom Publikum aus ein hämisches „It´s a very cool tuning, man!“ zu stiften.) Nach 66 Minuten waren Staffræn Hákon durch.
.:: ABSPIELLISTEN ::.
 
ALT TRACK
(22.07-22.59)
1. Castle
2. No More
3. Can´t Sleep
4. Slave Song
5. I Don´t Think We´ve Thought This Through
6. A Nation is on Fire
******
7. One
8. Speakers
 
STAFRÆNN HÁKON
(23.11-0.17)
1. Minning um deig
2. Provisional Meat
3. Second to None
4. Emmer Green
5. Ratio 8:3 (at least)
6. Bright
7. Sanitas
8. Vetur
9. Val Kilmer
******
10. Snákur
Zum Ende hin überschlugen sich die Ereignisse regelrecht. Erst wollte Ólafur uns gar nicht gehen lassen. Und dann ging kein anderer als Marathonläufer Lipecki direkt vor mir aus der Halle. Tim war nach einem 36-Kilometer-Lauf am Mittag extra aus dem Rheingau nach Offenbach gegondelt. Wir redeten kurz über die geplanten Kämpfe. Nach seinem 130. Platz bei der Deutschen Halbmarathonmeisterschaft wollte Tim in zwei Wochen beim Mainz-Marathon antreten. Damit hatte er mich angefixt...
 
Lob

an beide Gruppen, die ihre Silberlinge wie auch Hemden für faire zehn Euro verkauften, Minialben sogar für nur fünf.
 
Salutionen und Gute Besserung
an Jochen, der zwei Tage später - am Morgen des Ostersonntag - durch Insekten fast auf dem linken Auge e-r-b-l-i-n-d-e-t wäre (nur ein Noteingriff konnte das verhindern)! Ohne Jochen wäre der Abend in Offenbach nie so unvergeßlich geworden, wie er es war!
 
Kein Gruß
an den falschen Hasen vom Mischpult, der erst mir und dann einem unbekannten Glatzkopf die Verwendung des Blitzlichts verbot (der Unbekannte zählte peinlicherweise zu Staffræn Hákon!).
 
 

Heiliger Vitus, 28. April 2011, Bilder: Vitus & Peanut
Zwei Gäste