TELEPATHY, VAYL
D-Dresden, Bärenzwinger - 13. September 2017
Die heutige Vergnügung hatte mindestens drei Stars. Neben den Gruppen aus der Abteilung Sludge- und Post-Metal war dies vor allem der Ort des Geschehens. Der zwischen Elbe und Altstadt gelegene „Bärenzwinger“ wurde als Teil des mittelalterlichen Ringwalls der Festung Dresden bereits anno 1520 als Schutz zwischen der inneren und äußeren Grabenmauer angelegt - bis dreihundert Jahre später Napoleon kam... Es waren Dresdner Studenten, die den Schutt aus den beschliffenen Mauern räumten und 1968 den „Bärenzwinger“ als Kulturort neu eröffneten. Aus den Löchern für die Kanonen waren die Eingänge zum heutigen Klub geworden. Als junger Mann in Dresden kannte ich die Lokation nur von außen. Vier Jahrzehnte später kam es zum Jungferngang in Begleitung von Goddess of Doom Peanut. Um acht betraten wir den von einem gläsernen Schallschutz überdachten Innenhof. Mit demselben Glas war auch der Konzertraum vom Hof abgetrennt. Der heiligen Halle vorgeschaltet war eine äußerst stilvolle Bar aus Holz und Sandstein. Dreißig Besucher fanden sich in diesem schmucken Ambiente ein, darunter Arvid, Frontmann der Dresdner Stonerdoomer Space Pilgrim (R.I.P.) und From Yuggoth. Nach acht Jahren sofort wiedererkannt, hingen wir letztlich den ganzen Abend zusammen, und wir fuhren auch zusammen mit der letzten Linie 9 zurück nach Pieschen, wo wir nun eine Haltestelle voneinander wohnen. Arvid verriet uns, daß der Bärenzwinger der einzige Klub sei, der bei Konzerten immer leer ist.
Nach der Bedeutung des Gruppennamens befragt, erzählte mir der Bassgitarrist, daß es sich bei VAYL um ein Wort handelt, dem die Mitglieder zum einen selber eine Bedeutung geben können. Zum anderen steht Vayl (englisch auch Vail, Eigenschreibweise: VAyL) für ein kleines, schutzbedürftiges Wesen, etwa ein Schäfchen. Von Schutzbefohlenen in einer apokalyptischen Welt handeln auch die Lieder von Vayl. Stilistisch bedienten sich die drei Berliner bei den US-Post/Hardcore-Bands wie Neurosis oder Converge. Aber ihr Auftritt hatte auch eine deutsche Note, sie war nämlich bodenständig, äußerst detailvernarrt und gänzlich unglamourös. Statt mit ihrer Performanz dem Gast sofort den Knock-out zu versetzen, zelebrierten die Brüder Ohmstede sowie Schlagzeuger Müller unsere eiskalt auf die Endzeit zusteuernde Welt mit grimmiger Besessenheit. Doch in einem Punkt unterschied sich die Vorgehensweise kaum: Dem Zuschauer wurde durch die maschinengewehrartige Vehemenz der Klänge förmlich die Luft genommen. Womöglich lag das auch an den neuen Lautsprechern, in die der Klub investiert hatte: Vayl durften sie deflorieren. Vayl gelang ein toller Auftritt, der mit minimalen Mitteln ein Maximum herausholte. Verstörendes, galliges Geschrei traf auf knallharte Instrumente mit ohrenbetäubendem Donnergetös. Die übliche Schüchternis der Dresdner verschmerzten die Akteure mit trockenem Humor. Und sie ließen sich auch nicht von einem von der Bühne geplumpsten Mikroständer beirren. Mit einem Pappkameraden unter Gasmaske und verchromtem Stahlhelm als Viertem im Bunde, mit einem Atommüllbehälter, aus dem grünes Licht und Rauch drang, und nicht zuletzt mit ihrer in Vinyloptik gepressten CD 'The Circles End', die in ein selbstgemachtes Comic-Heft über die fiktive Kernkraftstadt Tripston City eingebettet ist, setzten die Berliner ein starkes Zeichen in dem schwierigen Genre Stoner Metal.
Es war die unverschämte Anmache mit Teufelsgesten schon lange vorm Auftritt (aber die Akteure waren nicht betrunken sondern stocknüchtern!), dann der fulminante Groove in echt und Aktion, die hypnotische, fast doomige Tiefe, die manische Körperlichkeit, die atmosphärischen Nebel... TELEPATHY bliesen aus dem Stand alles an die Wand. Das fand auch die Schar im Gewölbe unterm Brühlschen Garten, die vom ersten Ton hochgradig gefesselt wie im Rausch mitschwang oder bedingungslos headbangte. Mit ihrer fein ausgeloteten Mixtur aus Post-Rock, Post-Metal und Sludge wandelten das Brüderpaar Turek, Gitarrist Powley und Trommler Driscoll in den Spuren von Pelican, Downfall of Gaia und Omega Massif (R.I.P.). Dabei faszinierte die englisch-polnische Allianz als perfekt ineinandergreifendes Geschwader. Allerdings haben Telepathy bislang nicht den Sprung in die Elite des Genres geschafft. Vielleicht weil sie ihr Hauptquartier zwar mit „UK“ vermittelten, aber aus unterschiedlichen Ländern sind. Heute präsentierten Telepathy ihr Neuwerk 'Tempest' in voller Länge (um die Spannung zu halten jedoch in wechselnder Liedfolge), erweitert um die Zugabe „Cystine Knot“ vom Langdebüt '12 Areas'. Mit Ausnahme eines verhuschten Geschreis im Mittelteil bei „Celebration of Decay“ war alles rein instrumental, voller bebender Apparillos auf gedrosselter Geschwindigkeit und mit epischer Länge. Nach einer Stunde war dann aber auch Schluß. Im Nachgang bestätigten die Jungs ihren Eindruck als Fans wie du und ich und verkauften ihre beiden Schallplatten ('Tempest' als Doppeldecker) samt einer geschmackvollen Kapuzenjacke für fünfzig Euro. Dieser Spätsommerabend war purer Wahnsinn im innersten Kreis! Und das alles auf der bösen Seite der Elbe...
 
 
Heiliger Vitus, 19. September 2017
.:: ABSPIELLISTEN ::.
 
VAYL
(21.03-21.54)
1. Intro
2. Zombie Industry
3. Follow the Goat
4. Welcome to the Badlands
5. Amnesia
6. Face to Face
7. Insomnia
8. Left Undone
9. Tranquilized
10. King Emptiness
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11. Bad Ass Blues
12. Inhale
13. Holy Motor
14. Warchiefs
15. Stillborn
 
TELEPATHY
(22.30-23.25)
1. Smoke From Distant Fires
2. Echo of Souls
3. Apparition
4. Celebration of Decay
5. Hiraeth
6. Water Divides the Tide
7. Metanoia
8. First Light
9. Cystine Knot