TRIP FONTAINE, THE ORDINARY ME, AYEFORE, VETOE
D-Frankfurt am Main, Sinkkasten - 22. Dezember 2006
Der Krach zur Stillen Nacht. In Frankfurt traditionell in der ältesten, antiquiertesten und schönsten Rockstube der Stadt, im „Sinkkasten“, zu genießen. Anno 2006 mit der Jubiläumsfolge No. 80 von „Support Your Scene“, dem Klassiker im Nachwuchsbereich. Wenige Stunden vor Heiligabend - Freitagabend kurz vor Ladenschluß - hatte ich mit meiner Konzertkumpeline die vorgelagerte Einkaufsmeile Zeil samt ihren im Schenkstreß steckenden Hominiden durchstanden, wir hatten uns zum Austragungsort durchgewühlt, und waren nach Entrichtung von 7,50 Euro um kurz vor zehn die Treppe zum Obergeschoß in der Brönnerstraße 9 hochgestiegen.
 
Die Odinwälder Ska-Punk-Blasbrigade VETOE hatte das Etablissement leider schon lange verlassen. Dem Lichtonkel nach waren sie „Ganz okay. Ja, ganz okay.“ gewesen. Aber die Trompeten hatten uns eh nicht interessiert.
... Eher schon die deutsch-türkisch-englische Prog-Rock-Crüe AYEFORE aus Frankfurt. Und die war seit 21.35 Uhr zugange. Ayefore lieferten einen berauschenden Klangteppich aus warmen Santana-Gitarren, sphärischen Melodien aus dem Synthesizer und sparsamen dunklen Vokalen. Ayefore mischten klassischen Rock mit instrumentalen Experimenten, ein Hauch Orient schimmerte durch, und manchmal setzte es wilde Metal-Eruptionen. Den größten Augenblick hatten sich Boersch, Yomolcay, Klein und Gwyo Zepix bis zum Ende aufgehoben: ein ans Herz gehendes, solitäres Outro des Langhaarigen mit einem sensiblen Lied in dessen türkischer Muttersprache. Tunc beendete es gebetsgleich mit einer händefaltenden Verneigung vorm Publikum. Aber es war nichts religiöses, nichts islamistisches, nichts blasphemisches gewesen. Denn auf dem Ayefore-Sticker stand geschrieben: „We are all teapot atheists.“ (Wir sind alle Teekannen-Atheisten.)
 
Für wohlige Gefühle der leiblichen Art sorgte heute Andechser Bergbock mit 6,9 Umdrehungen. Zum Publikum: Von fünfzehn bis fünfzig - vom Alternativling bis zum Wohlstandsspießer, dazwischen unbefleckte Puppen, Sleazerocker und eintrittsbefreite Punker von der Straße - hatte sich ein kunterbuntes Völkchen unter einem Dach versammelt. Die zwischendurch am Einlaß erfragte Besucherzahl belief sich auf dreihundert, am Ende sollten es vierhundert gewesen sein. Der Sinkkasten war ausverkauft!
„Wollt ihr die noch hören? Oder wollt ihr abzischen?“ THE ORDINARY ME hatten noch gar nicht angefangen (sie wollten es gerade), als einer der musikinteressierten Grauen Panther einem seiner Artgenossen mit dieser den Abend entscheidenden Frage konfrontierte. Die Antwort kenne ich nicht. Aber die Ordinarys dürften in den Ohren der Spießer ohnehin unerträglich geklungen haben. Denn vierzig Minuten lang setzte es abstrakt-ausgeflippten Psychocore, Emopunk, Posthardcore, Wasauchimmercore. Jedenfalls eine abgefahren krachige, abgefahren düstere, abgefahren chaotische Chose. Mit einem zwischen Melancholie, Klaustrophobie und Hysterie hin und her wogenden Gesang, der immer wieder von abgrundtiefem Gebrüll durchdrungen wurde. Und einem wilden Umhergespringe auf der Bühne, einem schönen Chaos für die Augen aller Musikliebhaber. Only the strongest survive! Wer ging war ein Seichter!
TRIP FONTAINE waren der eigentliche Grund für diesen Sinkkastenbesuch. 364 Tage zuvor hatten sie an selber Stelle eine ziemlich obskure Schau aus wahnsinnigem Geschrei, Lärm, Krach, Geballer, Aggressionen, Fluß, Panik, Psychedelik und Chaos in die Bude gezaubert. Das Rudel aus dem Rudgau war damals eine totale Überraschung für mich. Im positiven Sinne! Der Frontmann war es, der Trip Fontaine aus der Masse der Postcoreler hob. Jener Typ, der Jimi Hendrix nicht nur optisch täuschend ähnelt, sondern der wegen seinen Improvisationen auf der Sechssaitigen und seiner ekstatischen Posen auch dessen Auferstehung in Sachen Gestik sein könnte. Ich war gespannt, wohin die fünf juvenilen Herzensbrecher im letzten Jahr getrippt waren... Es gab Wildes. Ein wildes Traktat der Instrumente, einen steil gehenden Bastard aus Indie, Hardcore, Screamo, Jazz und Noise - der etwas das Angestaubte, Anrüchige, Psychedelische verloren hat und schriller, moderner und seelenärmer geworden ist. Mit ihrem 'Lilith'-Material waren Trip F noch immer das Kommen wert, aber sie waren diesmal lange nicht so eindrucksvoll wie auf den Tag genau vor einem Jahr am selben Ort. Fontaine trippten ihr dreiviertelstündiges Programm, und die Schau endete um 0.23 Uhr - ohne Bonus und Déjà-vu-Erlebnis. Nummer fünf lebt (noch)!
 
Im Abspann lief eine New & Classic Alternative-Disco, die wir uns zugunsten der letzten Bahn schenkten. Der Andenkenstand allerdings mußte noch beehrt werden. Auf der Jagd nach Raritäten wurde ich fündig: Trip F hatten welche ihrer auf 300 Stück limitierten 10-Inches, die sie mit den Dresdnern Julith Krishun teilen, mitgebracht. Ich ergatterte eine der babyblauen Plastescheiben und stolperte mit meinem Mädel in die längste Nacht des Jahres.
 
 

Heiliger Vitus, 29. Dezember 2006
.:: ABSPILLISTEN ::.
 
AYEFORE
Intro
1. Spontizmir
2. Fox Devils Wild
3. Krishnamuti
4. Sow Bay
5. Porno Deluxe
6. 7er
Outro
 
THE ODRINARY ME
Intro
1. The Swarm
2. XELB
3. Monuments
4. Evacuate
5. Eleve...
6. Henne
7. Ambulophobia
 
TRIP FONTAINE
1. Selling the Summer
2. Lilith
3. Brecher
4. Panpipes
5. Tahipi
6. Nummer 5 lebt
7. Klopper
8. Pancakes
9. Freunde
Sinkkastenvolk