THE OCEAN, BUBONIX, VERSUS THE STILLBORN-MINDED
D-Wiesbaden, Kulturpalast - 3. Dezember 2004
(((o))) Doom ist Hoffnung! Versus The Stillborn-Minded und der Novembers Doomsday waren die Lichtbringer im düsteren Winter ´04. Sechs Tage nach dem Szenefest im fränkischen Langenzenn folgte ich der Gruppe mit dem extravaganten Namen nach Wiesbaden. Bei 21 Kilometer Luftlinie zum Konzertort sollte die Fahrt im Nahverkehr kein Problem sein. Eigentlich... Es war schon dunkel, als ich in den Zug nach Wiesbaden stieg. Zunächst war alles ruhig. Doch dann kamen zwei vor sich hin stinkende, rülpsende und furzende Baggyhosenträger ins Eisenbahnabteil, um die Wände zu beschmieren. Ich schwankte hin und her: Mit aller Macht den Stiefel vors Schienbein stoßen? Oder Rückzug?... Um acht rollte der Zug in Wiesbaden ein. Mangels Zeit mußte ein Taxikutscher her. Der erste in der Reihe - ein Turbanträger - faselte was von „zum Kulti sind´s nur fünf Minuten zu Fuß“ - zeigte dabei aber wild in die verkehrte Richtung... Kurzum: Nach zwei Stunden war der „Kulti“ mit einer Droschke erreicht. Er fand sich im verschachtelten Kranzplatz, Saalgasse 36, Hinterhaus. Nach Blechen von neun Euro hatten mich die wichtigen Herren vom Einlaß durchgewunken. Die Seelenbrüder Boris und Torsten stürmten mir entgegen. Mit Bier aus Frankfurt in der Hand. Boris fand jedoch die Verpflegung gut. Und da ich Gast von Versus war, wurde mir sogar der Eintritt erstattet. - Nach dem Feldzug mit Negative Reaction und Stereochrist waren Langenzenn und Wiesbaden für Versus The Stillborn-Minded zwei Blitzkriege im Nachhinein. Nur durch Mundpropaganda wußte die Welt davon. Selbst die Klubseite lieferte keinen Hinweis auf diese Nacht. Betreiber Jürgen mußte erst seine „Eventgruppe“ befragen, um mir die Veranstaltung zu bestätigen. Zudem war Boris angeschlagen. Der Auftritt wackelte erheblich, aber von etwas Grippe und einer verlorenen Stimme läßt man sich so schnell nicht einschüchtern! Von 21 Uhr zunächst um eine halbe Stunde verschoben, sollte das Konzi letztlich 21.45 Uhr beginnen. Eine letzte Zwiesprache mit Boris - und dann hing ich sinnlos an der Bar rum. Zermürbendes Warten auf Doom, Zeittotschlagen mit Bier... Fünfzig auf „Underground“ getrimmte Szeneäffchen mit Piercings, unter die Haut gespritzten Sternen, trendigen Tribals und ihren Pussys im Arm um mich herum. Auch eine Verschleierte und ein Mitarbeiter mit Kampfhund... Aus einer Anlage nudelte Punk... Dann... die ersten Doomriffs aus dem Nebenraum: Versus bei der Probe! Sludge im Kulti (für den sich keine Sau interessierte!). Halb zehn öffnete der Saal. Endlich!!!
Silencium. Fiepen. Dröhnen: VERSUS THE STILLBORN-MINDED starteten ihre Mission! Achtzig Zuhörer offenbarten zumindest Neugier am Doom. Die Reise ging nun ins Innere. Fallenlassen und Versinken mit Boris, Satti, Sturmkind, Torsten und Robin in den Sludge Doom. Mit einer Reibeisenstimme, suchtschuldigen Doomriffs, einem spirituellem Baß und puristisch bollernden Trommeln. Mehr brauchte es nicht. Mit „Spirits Under Tutelage“, „Monument of Failures“, „Stormborne I“, „Across the River“ und „Vivamus Ergo Delebimur“ (lateinisch: Wir leben, also werden wir zerstört), zelebrierten die Nürnberger ein ähnlich fesselndes Programm wie in Langenzenn. Eigentlich sind das keine einzelnen Stücke, es ist ein Gebilde, ein gigantischer Koloss aus Instrumenten, die sich wechselnd wie ein Meeresriese im Todeskampf winden, sich dann wieder am Nullpunkt bewegen, mal weinen und zuweilen auch ganz schweigen - um plötzlich manisch nach vorn zu peitschen. Und darüber hängt immer dieses kräftige Organ, mal morbide beschwörend, mal wie aus der Hölle grunzend. Von einem zwergigen Typ, dem man das nie zutraut. Für mich bedeuteten VTS-M wieder mal Niederknien im Staub und Abdoomen bis zum Gehtnichtmehr. Ein weiteres Dutzend gab sich ebenso bedingungslos hin. Ich spürte Schläge im Gesicht, doch der Rausch machte sie nichtig. Irgendwann in diesem wahnsinnigen Sludgen und Doomen dankte Boris den Machern im tiefsten Frängisch für das Wahrwerden dieses Gigs, „Vitus [sic!] fürs extra Herkommen“, und verlangte Torsten „Valium for free!“ Der Wirbelsprenger „Vivamus“ machte mich reif für die Klapse (aber die Reise ist noch lange nicht am Ende). Beim finalen Malmer „Across“ warfen sich Torsten und Sturmkind die Riffs zu, und alles endete, wie es begann: im Brummen, Dröhnen und Fiepen der Apparillos. Versus mußten den Doomladen nach sechzig Minuten - noch vor der „Bösen Spinne of Doom“ - schließen. Es war ein stilles, durchgebranntes Erlebnis der großen Herzen!
Voller Endorphin purzelte ich vom Konzert- in den überfüllten Kneipenraum. Oh, diese Unlust am Doom... Beim Austreten stieß ich auf ein stinkendes, über und über mit Fäkalien besudeltes Klo als Sinnbild für den Menschendreck. Die antigesellschaftlichen Hardcoreler BUBONIX waren geschenkt...
 
... dito Deutschlands Antwort auf Neurosis und Isis: das schwer gehypte, achtköpfige Post-Noise-Core-Kollektiv THE OCEAN aus Berlin. Die smarten und betont lässig bemienten Klangkünstler aus der Hauptstadt waren mir schon vorm Konzert nicht sonderlich sympathisch gewesen.
 
Stattdessen letzte Worte mit den Doomboys jenseits vom Trubel im Parkhaus. Sturmkind und Torsten mußten den Kramtisch hüten. Doch Boris, Satti und Robin... allesamt Partytiere vorm lieben Gott. Und nein: Wir haben weder gekifft noch Valium geschluckt! Die Zeit hatte alles eingeholt und ich bedauerte zum zigsten Male meinen Umzug von Nürnberg nach Frankfurt. - Um 23.45 Uhr fuhr der Bus zum Lumpensammler in die Revolvercity. Im Dunkeln fand ich die Haltestelle nicht und war froh, zumindest ein Taxi abzufangen. Es folgte eine einstündige Fahrt unterm grellen Neonlicht der Bahn ...... die Ankunft im Frankfurter Hauptbahnhof - und dem letzten Zug hinterhersehen. Noch mal mußte ich für eine Droschke bluten. Damit schwollen allein die Fahrtkosten auf 51 Euro an. 51 Piepen für 60 Minuten versus den Totgeborenen!
 
 
((((((Heiliger Vitus)))))), 5. Dezember 2004