AMEN 81, HANNS MARTIN SLAYER, AKTIVNA PROPAGANDA D-Frankfurt am Main, AU - 5. November 2004

Der November ist ein Monat für den Psychiater. Fünf Tage zuvor war ich in etwas über drei Stunden 42,195 Kilometer durch Frankfurt gehechelt - heute tummelte ich mich zwischen Punkern. Vom Endorphin ins Adrenalin, von Konstruktion zu Destruktion, vom Licht ins Dunkel. Der Untergrund hatte mich wieder! - Laut dem Untergrund-Navigator von „Copy Riot“ sollten heute zwei Gruppen in der etwas härter veranlagten AU Rödelheim auftreten. Später waren es dann aber vier - und am Ende drei. (Die Chaos-Punker HEILBRONX NUCLEAR mußten passen, weil einer der Ihren im Krankenhaus lag.) Frl. P und ich kamen zu spät. Es rappelte schon im Keller. Achtzig Personen sorgten für hautenge Körperlichkeit.

Die unerwarteten AKTIVNA PROPAGANDA aus Laibach lagen schon in den letzten Zügen. Als wir einschlugen, stand der feuerrot gekleidete Sänger mitten im Pogo, um den Punk hauteng ins Chaos zu flammen. Aktivna Propaganda sind Mitglieder der slowenischen Antifa und lieferten „Punk against neonacism, against fascism, against racism!“ Ihre Pflastersteine trugen Titel wie „Antifasisticna Akcija (antifascist action)“, „Ekipa (crew)“ und „Drzavno nasilje (state violence)“. Schnell nach vorn gedroschener, emotionsgeladener Hardcore Punk zementierte die Geschosse. Dann ein zapatistischer Rebellengruß in der Muttersprache - an die um Unabhängigkeit kämpfenden Indianer in den Chiapas von Mexiko: „Osvobodimo si okove! (free the chains!)“. Ja, und ganz am Rande kämpften die Enkel Josip Broz Titos auch leidenschaftlich gegen den Kapitalismus, für eine antiautoritäre, klassenlose Gesellschaft und soziale Gleichheit. Einige ihrer Gedanken sind im aufrüttelnden „Pravica in mir (justice and peace)“ verfaßt. Mit „Senza frontiere (against all borders)“ gab´s einen brisanten Salud für das anarchistische Manifest von Parma 2003, und nach einem letzten „Thanx for the house and for the organizing!“ und dem „very simple song 'Reci NE NATO! (Say no NATO!)' „ schlossen die Neopartisanen aus Ex-Jugoslawien. Es war alles nur Propaganda, aber mit viel Herzblut gemacht.

In der Pause waren alle naselang „Hanns Martin“-Rufe zu vernehmen. Um elf war es dann Zeit für HANNS MARTIN SLAYER. Bumsmusik? Makabrer Nachruf für den von der RAF eliminierten Politiker? Oder ketzerisches Wortspiel aus Letzterem und der brutalsten Metalband aller Zeiten? Auf Politpunk folgte ein Novum in der AU: schwarze Magie und Okkultismus durch eine Gruppe, die Slayer spielte! Abwarten, dachte ich. Denn auf der Rampe standen fünf Gestalten, die überhaupt nicht nach Metal aussahen. Weil Tom Araya, Kerry King, Jeff Hannemann und Dave Lombardo heute als Tom Ariah Carey, Else King, Carlos Satanas und Lombardo auftraten. Und da sich Tom Araya nicht von einem allein klonen läßt, zupfte Antonio Bandera als Fünfter im Bunde den Bass separat. Mit der 'Reign-In-Blood'-Granate „Altar of Sacrifice“, dem Düsterwerk „Mandatory Suicide“, und Toms Vorstellung „Wir sind Aldi-Slayer!“ ging das los. Von wegen Slayer-Coverband. Es war irre: Die Allianz aus Berlin, Hamburg, Hannover und Düsseldorf gab die Magie des Originals in Perfektion wieder! HMS klangen als würden Slayer leibhaftig in der AU sein. Fortan hieß es Headbanging und Fäuste in die Luft. „Reborn“... „Aggressive Perfector“... „South of Heaven“: HMS brachten nur die geilen Nummern aus den Achtzigern! Ich war verloren und klitschnaß nach kurzer Zeit. „Hallowed Point“... „Jesus Saves“... „Chemical Warfare“: ein quietschendes Mörderriff jagte das andere. Die Leute schrien alles mit, Arme in Killernieten reckten sich, Köpfe kreisten (auch welche mit Irokesenschnitt!). Das alles vernichtende Lärminferno über den Naziarzt Mengele folgte. Einer aus der Meute machte den langen, schaurigen Schrei zu Beginn des Lieds - den Urschrei für „Angel of Death“. Und immer wieder hatte die Meute „Postmortem“ gefordert - jetzt bekam sie „Postmortem“. Wie das bedrohlichste Metalwerk aller Zeiten endete auch das reguläre Programm mit dem Blutschauer „Raining Blood“. Die Zeiger waren an Mitternacht herangetickt, doch H.M.Slayer mußten noch mal ran! Die „Dead Skin Mask“ öffnete die Höllentore ein letztes Mal... und die blasphemischen Ausgeburten „Necrophobic“ und „The Anti-Christ“ knallten sie nach siebzig wahnsinnigen Minuten endgültig zu!

Politik, innere Sicherheit und ein bißchen Polizei: Nürnbergs Hardcore-Crusties AMEN 81 rackerten sich danach wieder an brisanten Themen ab - und brachten zugleich eine geradezu rührende Wärme rein. Hinter Amen 81 standen mit Haxe Hardcore (Soundkanone und Fatzke), Herr Geiger (4-Saitenkamikaze und Schlafwandler) sowie Thorsten Disruptor (Ex-Disruptor, Eieruhrschießbude und Gosche) drei alte Haudegen der Szene. Man sagt, „sie spielen bis der Schlagzeuger vor Erschöpfung ohnmächtig wird“. Wie auch immer: Die vormaligen Corpus Christi strotzten vor Energie und Sympathie. Mit „Max Schreck“ und „Fernglas“ ging es kurz vor ein Uhr nachts ab. „Bis vor wenigen Jahren galt Nürnberg als sichere Stadt. Das ist nicht mehr so!“: A81 redeten gleich zum Auftakt Klartext und spielten die rauhe, ungeschönte „Revolverstadt“. Das hämische „Schieß Doch“ war wiederum dem Polizeistaat gewidmet. Meist sangen der Sechssaiter und der Trommler zweistimmig, wobei Letzter wohl der Strippenzieher ist. Dem „netten AU-Publikum“ schenkten die Franken mit breitem Grinsen den „Stadtfeind“. Und weil sie schon seit elf Jahren inmmer mal in der AU spielen wollten, schenkten sie dem Laden die Krachhymne „Amen 81“. Die Aggro-Punker „Hool“ und „Filzlaus“ folgten - bevor etliche gingen. Vermutlich waren manche auch nur für HMS da. Der Disruptor sorgenvoll und mit breitem Dialekt: „Wollt ihr geh´n? Letzte S-Bahn?“ Die Prügelpolonaise „Tatütata“ stürzte noch mal etliche in den Rempeltanz. Mit „Nein“ fackelten Amen 81 noch eine raserische Altigkeit ab, und getreu dem Motto „Bush is not my president“ setzte es eine Abfuhr an Herrn Stoiber. Vor den Zugaben bat der Disruptor sinngemäß, jede(r) möge öfter mal seine Freundin/seinen Freund in die Arme nehmen, weil man sich viel zu selten sieht. Darauf explodierte die wahsinnsschnelle Youth-Of-Today-Granate „Potential Friends“. Zugabe zwei war ein „Dank an Gott“ durch „God“ - verbunden mit der Frage: „Was wollt ihr hören: Slayer, Atomkrieg oder Schweinegalopp?“... nur um kurz und schmerzlos auf den Punkt zu kommen: „Bayern statt Hartz um Berlin zu stoppen!“ Der Rausschmeißer war allen über Vierzigjährigen gewidmet: der „Mordhorst“.   Es folgten Befragungen mit dem nun rotzevollen kroatiendeutschen HMS-Sänger Dennis und Viersaiter Martin. Speziell Letzter hatte - als ich ihm von meiner Liebe zu Saint Vitus erzählte - einen Narren an mir gefressen. Martin hatte angeblich Ende der Achtziger mit Wino im Proberaum gestanden, und meinte, ich sähe aus wie Wino. Fortan hieß ich „Vitus“. Auch A81s sympathischer Trommler Disruptor gab mir zittrig die Hand. Andenken wurden verteilt und Bier getrunken. Es war eine geile Nacht in der AU. Sie endete gegen drei Uhr nachts.     Heiliger Vitus, 8. November 2004

.:: ABSPIELLISTEN ::.   AKTIVNA PROPAGANDA (??.??-??.??) unbekannt   HANNS MARTIN SLAYER (23.00-0.10) 1. Altar of Sacrifice 2. Mandatory Suicide 3. Reborn 4. Aggressive Perfector 5. South of Heaven 6. Hallowed Point 7. Jesus Saves 8. Criminally Insane 9. Chemical Warfare 10. Epidemic 11. Angel of Death 12. Postmortem 13. Raining Blood ****** 14. Dead Skin Mask 15. Necrophobic 16. The Anti-Christ   AMEN 81 (0.45-1.45) 1. Max Schleck 2. Fernglas 3. Club 4. Schieß Doch 5. ... Mit 3 PS 6. Amen 81 7. Hool 8. Die Filzlaus 9. Tatütata 10. Radio 11. Zyklop 12. Nein 13. Chupa Cabra 14. Körperfresser 15. Mordhorst