EL CACO, THE GREAT ESCAPE
D-Dresden, Star Club - 12. Mai 2005
Dresden, Dynamo, Dunkelheit, Doom: Sie waren vereint, meine vier schicksalhaften „D“. Vor wenigen Tagen war ich den Oberelbe-Marathon gerannt; darauf sah ich mit meinem Mädel im Hexenkessel an der Lennéstraße die geliebte SPORTGEMEINSCHAFT über Erfurt siegen; und heute stieg das erste Ereignis seit vier Monaten, bei dem ich frei abdoomen konnte. Der Abend bot prachtvolles Ambiente, exotischen Schauplatz, aufregende Begegnungen und heiße Musik: The Great Escape verführten mit Stoner Rock. Schon Wochen zuvor hatte ich mit Bassist Matte wegen der Auftrittsmöglichkeit in Dresdens führendem Indieklub gejubelt. Und dann verloren sich - trotz lächelnder Begrüßung durch Klubchef Lachotta persönlich - nur vierzig Besucher im einstigen Ballsaal. Denn die Werbetrommel blieb stumm. Im weiten Raum hatten Peanut und ich die Franken sofort erblickt. Matte stand mitten im Saal. Speziell für mich in Schale geworfen. Mit einem Shirtaufdruck treu der italienischen Klamottenfirma „United Drinkers of Bembeltown“. (Womit er sich tief in die Nesseln setzte. Denn „Bembeltown“ ist ein Spitzname des geächteten Zwangswohnorts Frankfurt.) Frontmann Uwe gesellte sich zu uns. Mit zwei Pullis in der Hand: „St. Vitus“-Boonekamp - extra vom Aldi für mich mitgebracht. Das werde ich nie vergessen! Wir eliminierten die kleinen Destillate, und wenig später standen die Akteure auf dem übergroßen Geviert.
THE GREAT ESCAPE starteten um 21.33 Uhr. Und gleich mit den ersten verwaschenen Bassläufen, verzerrten Riffs und Gänsehaut entfesselnden Vokalen zu „Wherever You Are“ schickten mich die Söhne von Kyuss auf eine weite Reise. Da war er, der heiß ersehnte Stoner Rock, mit dem mich die Eskapisten in Windeseile in einen Veitstanz schickten. Nur leider war da niemand sonst. Dresden verwurzelte am Mischpult oder krallte sich am Tresen fest. Wer weiß, daß zu meinen Allzeitfavoriten ein Album von The Great Escape zählt, ahnt was in mir vorging. Es hätte alles so schön werden können... Auch das mit einer ausschweifenden Psychedlika versehene „Endless Waiting“ riß die Sachsen nicht aus der Schüchternis. Und selbst die Sternstunde des Neuwerks, das Stoner-Ungetüm „Dead Man on the Run“, bewirkte keine Reaktion. Aber Uwe, Matte und Steffen hatten ja wenigstens einen, der zu ihnen hielt. Uwe erkundigte sich: „Vitus, schwitzt du schon?“ (und das nach dem Toten Mann auf der Flucht). Der schwere Headbanger „King of the Race“ ratterte aus den Boxen - und mit ihm ging das wohlige Fuzz-Gefühl. Die dunkel glühenden Klänge transformierten zu vehementem Heavy Rock. Vielleicht lag es am ganzen Frust (Aufklärung später), vielleicht war es ein Schulterschluß mit der augenscheinlich mit Stoner Rock nicht vertrauten Meute? Jedenfalls waren die Eskapisten bei Weitem nicht so intensiv wie vor einem Jahr im „Titty Twister“. Die Männer zockten noch „Someone Knows“ und die fulminante „Red Slip Lady“, und nach 37 Minuten war alles schon vorbei. Ohne einen der besten Stonerrocker überhaupt: ohne „Ride On“! Eine Farce! Oder ein Protest? Ich frug Matte. Der polterte nur: „Reden wir später drüber.“
Halb elf hieß es: „EL CACO is here!“ Die vermeintlich neuen Superstars der Szene. Und prompt drängten und tobten sechzig Leute vorm Geviert. Worin der Hype für die Horde aus Fjellnorwegen liegt, weiß nur der Himmel. El Caco hatten wir 2002 vor Nebula erlebt. Wenngleich nicht überragend, so machten sie damals eine zumindest originelle, mit dunklem Americana durchsetzte Stonermucke. Die Skandinavier haben ihre Stonerwurzeln von 'Viva' und 'Solid Rest' völlig verlassen und suchen mit ihrem Drittling 'The Search' einen Mix aus Alternative und Grunge. Es war alles wie bei den Superstars: Øyvind Osa mimte muskelstrotzend in zerfledderten Jeans den Pitbull hinterm Mikro, Gitarrist Gjesti posierte mit Glatze und Ziegenbart lässig wie Nick Olivieri über die Planken, und Fredriksen gab der Schau ihren dynamischen aber unspektakulären Pulsschlag. Der Ton war fett, die Farben satt. Mitunter schimmerte die an Queens Of The Stone Age erinnernde Vergangenheit durch, wie bei „I´ll Play“, doch im Schwerpunkt jagten sich bei den „Dieben“ heute schnelle Kraftrocker. Und letztlich war auch deren Zeit stark beschnitten. Oder wie es Øyvind gestenreich sagte: „We just can take twentythree - if you miss any from the first album.“ Eine Nummer mit entombedartigem Deathrock-Charme folgte, und final hatten etwa hundert Amigos den Weg in den Star Club gefunden. El Caco durften dann doch noch ein Da Capo servieren. Nach „Let it Burn“ und sechzig Minuten war Feierabend.
 
Im Licht ein Händedruck mit den Franken. Matte haderte mit dem Klub, der ihnen „den Sound total runtergedreht“ hatte. TGE waren sehr kurzfristig (und auf eigene Kosten!) auf die Tour aufgesprungen. Sie bekamen nur die Übernachtung erstattet. Alle Umsätze gingen komplett an die Norweger. Und: TGE machten aus ihrer menschlichen Enttäuschung über die Rotte aus dem Norden keinen Hehl... - Auf dem Rückweg zu unserer Unterkunft im Lockwitzgrund erwischten Peanut und ich die falsche Straßenbahn, und kamen nach einer nächtlichen Fahrt im Taxi erst halb drei vor der Laube am Lockwitzbach an.
 
 

Heiliger Vitus, 8. Juni 2005