21. FRANKFURTER HALBMARATHON
19. März 2023
Déjà-vu
 
Mitte März war es wieder so weit: Nachdem der 18. Frankfurter Halbmarathon eines der letzten Großereignisse vorm Ausbruch von Corona war, und die 19. und 20. Edition nie geschahen, fand er anno 2023 als Nummer 21 plötzlich wieder statt. Die 18. Austragung hatte ich nach einem Comeback-Jahr im Radsport bestritten - bei der 21. war es ähnlich: Nach zwei neuerlichen Jahren im Rennsattel mußte ich Entscheidungen treffen. Anstatt die Vorbereitung auf eine weitere Saison als Radsportler in Dresden voranzutreiben, hatte ich nach einem Sächsischen Landesmeistertitel und der Rückkehr in die zweite Heimat im Westen wieder die Laufschuhe rausgekramt. Das letzte Radrennen war Anfang Oktober, Ende November lief ich nach zwei komplett lauflosen Jahren zwanzig Kilometer am Stück - wie mit abgeschnittenen Flügeln. Es war eine lange, schrittweise Eintwicklung, eins führte zum anderen: Abschied des alten Sportchefs, Wegfall des Bahntrainings, Zerfall der Trainingsgruppe, Konkurrenz durch Jüngere, das Thema Doping, das Sterben der Radrennen, ständige Ortswechsel, ein naßkalter Winter, die dauernden Unfallgefahren auf der Straße, veraltetes Material, und letztlich wollte ich auch mehr Zeit mit meinem Mädel verbringen: Es war viel zu viel, was gegen ein weiteres Jahr im Sattel sprach. Die ganze Maschinerie wegen einer Handvoll Radrennen - für nichts und wieder nichts! - wieder in Gang zu setzen, lohnte sich nicht. Doch Körper, Geist und Seele blieben und bleiben Radsportler!
.:: DIE STRECKE ::.
Mit Start vorm und Ziel im Waldstadion bot der Frankfurter Halbmarathon allen Läufern eine faszinierende Kulisse. Vom großen Stadion führte der Weg vorbei an den Sportverbänden und über eine Brücke nach Süden zur Isenburger Schneise. Hier war in Richtung Neu-Isenburg eine Wendemarke eingerichtet. Danach ging es über die Mörfelder Landstraße durch Sachsenhausen bis ans südliche Mainufer. Vom Eisernen Steg führte die Strecke nun auf einer Länge von vier Kilometern mainabwärts bis zur Niederräder Brücke. Im Anschluß wurden die Läufer durch die Bürostadt Niederrad, den Stadtwald und unter Bahntrassen hindurch zurück ins Sportfeld geführt. Zum Abschluß liefen sie in die Fußballarena ein und passierten das Ziel vor der Haupttribüne. Die Rennstrecke war mit drei Getränkeverpflegungen bestückt. Durch einen Peilsender von Mika Timing war die Position der Läufer in Echtzeit zu verfolgen.
.:: DAS RENNEN ::.
Da Eintracht Frankfurt am heutigen Sonntag beim 1. FC Union Berlin antrat, war das Waldstadion, das nun nicht mehr „Commerzbank-Arena“ sondern „Deutsche Bank Park“ hieß, frei für die Läuferdivision. Halb neun kam ich mit meiner Begleiterin Peanut im Sportfeld an, und traf im dortigen Gewimmel - treu des Bandenspruchs TOTGESAGTE LEBEN LÄNGER - nach elf Jahren Ex-Weggefährten von Spiridon Frankfurt wieder: den damaligen Statistikminister Loris K., die magersüchtige deutsche Marathonvizemeisterin Birgit B., sowie den gertenschlanken zwölfmaligen deutschen Meister Kurt Stenzel, der heute als Tempomacher für eine Endzeit von 1:40 Stunde fungierte. Als Umkleideraum hielt erneut der in edlem Schwarz gehaltene VIP-Bereich im Obergeschoß der Haupttribüne her. Nach einem Foto auf der Außenterrasse mit Blick auf die Jürgen-Grabowski-Gegentribüne und einem Aufwärmtrab im Sportfeld war es soweit: Nachdem Frankfurts Sportdezernent und Bürgermeisterkandidat Josef die Veranstaltung mit einer Ansprache als Wahlkampf genutzt hatte, feuerte er Punkt zehn auch die Pistole zum START der kleinen Eliteschar ab. Der Start des Hauptlaufs verschob sich wegen verspäteter Züge und hohem Meldeaufkommen um eine Viertelstunde auf 10.20 Uhr. Überdies ging plötzlich die Sonne auf. Viele waren zu dick gekleidet. Die gesamte Startprozedur glich der eines Stadtmarathons und zog sich in mehreren Wellen über eine halbe Stunde. Ich selbst hatte mich im zweiten Block neben dem Pacer-Fähnlein von Kurt Stenzel aufgestellt. Die Sex Pistols und alter Punk lagen in der Luft. Nach einem hakeligen Aufgalopp in den Wegen am Stadion mußte Kurt das Tempo anziehen und zog davon... Zum Wiedereinsteig hatte ich wöchentlich zwischen sechzig und achtzig Kilometer zurückgelegt, darunter in den letzten Wochen je einen langen Lauf über dreißig Kilometer. „Schnell“ war ich indes letztmals beim Halbmarathon an gleicher Stelle vor drei Jahren unterwegs. Die heute angeschlagenen Geschwindigkeiten zwischen 4:35 und 5:00 Minuten pro Kilometer - früher Dauerlauftempo für mich - bedeuteten Schmerzen vom ersten bis zum letzten Meter... Der Weg führte über endlosen Asphalt, durch den kahlen Stadtwald, Sachsenhausens dichte Zuschauerspaliere und vorbei an den glitzernden Wolkenkratzern von „Mainhattan“. Vor genau zwölf Monaten war ich Dritter im Kriterium vor der Red-Bull-Arena in Leipzig geworden. Heute lief ich mit der Geschmeidigkeit eines Hundertjährigen, der Leichtigkeit einer Feder und kaputtem Lebenswandel Halbmarathon. Was man dabei so denkt... als Überläufer in einem absurden, fremden Film... Auf den finalen vier Kilometern über rauhe, einsame und nicht enden wollende Waldschneisen, hatte sich die Route verändert. Ein fieser Stich kurz vor Ultimo verlangte noch einmal das Äußerste ab. Doch dann rückte die große Arena wieder in den Blick. Schlag zwölf Uhr lief ich am Schwanz des ersten Sechstels durch den Tunnel 1 ins Waldstadion ein. Die ZIEL-Zeit von 1 Stunde und 42 Minuten lag zwanzig Minuten über meiner Bestzeit vor vierzehn Jahren. Doch damit wurde ich Dreizehnter unter den Steinzeitmännern. Platz eins und zwei gingen an Äthiopien. Bei den Frauen siegte Deutschlands Marathonmeisterin von 2018.
Finale
 
Als ich mit meinem Mädel zur Mittagsstunde aufbrach, näherten sich noch ganze Heerscharen über die Flughafenstraße dem Frankfurter Stadion an. Vom heimischen Sofa aus konnten wir die letzten Wintersportübertragungen aus Oslo verfolgen. Dort endeten die Karrieren der Biathletinnen Eckhoff, Herrmann, Roiseland, Chevalier, Eder und die des Trainers Kirchner. Eigentlich sollte der Halbmarathon nur Vorbereitung auf einen Frühjahrsmarathon sein. Er blieb eine kurze Auferstehung als Läufer. Peanut gestand später: „JEDESMAL WENN ICH RADSPORTLER SEHE, DENKE ICH, IM NÄCHSTEN MOMENT FÄHRST DU UM DIE ECKE.“
 
 
Vitus, 21. März 2023 (Tagundnachtgleiche), Bilder: Peanut, Sport Online, Vitus
.:: ZAHLEN UND ZEITEN ::.
Wetter: anfangs sonnig, später bewölkt, 13ºC, schwache Brise
Zuschauer: ca. 20
 000 (eigene Schätzung)
 
Meldungen:
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Im Ziel: 5391 (M: 3695 / W: 1696)
 
Männer
1. Dejen Atanaw Ayele (Eintracht Frankfurt) 1:09:00
2. Kidus Gebremeskel Abay (Äthiopien) 1:09:43
3. Mark Scheuring (TSG Kleinostheim) 1:09:58
4. Robert Unger (Spiridon Frankfurt) 1:11:08
4. Michael Wiegerling (Spiridon Frankfurt) 1:11:25
6. Moritz Weiß (LGV Marathon Gießen) 1:11:44
...
898. Vitus (Dresdner SC) 1:42:01 (AK: 13.)
 
Frauen
1. Fabienne Königstein (MTG Mannheim) 1:13:24 (Streckenrekord)
2. Katharina Grohmann (SV Fun-Ball Dortelweil) 1:21:52
3. Anna Starostzik (Spiridon Frankfurt) 1:21:57
4. Lisa Schmitt (Lahnau) 1:23:07
5. Verena Repp (TV Bad Orb) 1:23:33
6. Simone Boursier Niutta (ECB Running Section, Italien) 1:25:05
 
Ergebnisse

Mika Timing