HAMMER OF DOOM XIV
 
ATLANTEAN KODEX, SCALD, SWALLOW THE SUN, KHEMMIS, LORD VICAR, MIRROR OF DECEPTION, MESSA, TANITH, IRON WALRUS, THRONEHAMMER
D-Würzburg, Posthalle - 16. November 2019
Sonnabend, 16. November (2. Tag)
 
Es war der sechzehnte November in Würzbürg, die Sonne lachte und ich kam mit einem schweren Kopf wieder zu mir. Also insistierte ich auf meinen Frühschoppen und das Wiedersehen mit unseren ostdeutschen Freunden Fine, Andrea und Micha. Nur für diesen einen Tag beim Hammer Of Doom hatten sie an die fünfhundert Euro geopfert!
THRONEHAMMER beim HAMMER OF DOOM: Martialischer konnte der Tag überhaupt nicht beginnen. Thronehammer trugen nicht nur einen heldnischen Namen, sie doomten auch wie eine Donnermacht. Zwei der fünf kannte ich von früheren Gruppen: Die in Nordbritannien lebende Kat Shevil Gillham war vor vier Jahren an den Trommeln von Uncoffined bei „Doom Over Edinburgh“ aufgetreten; Stuart Bootsy West stand an den Trossen von Versus The Stillborn-Minded, The Walruz und Obelyskkh. Die übrigen Mitstreiter entstammten dem Fränkischen und Berliner Irgendwo (wobei die heutige Vorstellung „We are Thronehammer from England“ lautete). West verriet mir das Ziel von Thronehammer, nämlich das auf Dauer einfältige Geschrei des Sludge mit der Größe des Epic Doom zu einen. Zur Unzeit mittags um eins bedeutete der viertelstündige Malmer „Behind The Wall of Frost“ zugleich das doomigste, zeitlupenhafteste Lied des vierzehnten „Hammer“. Ein Knüppel, der als einer von wenigen dem Veranstaltungstitel gerecht wurde, und dem drei von gleicher Machart nachfolgten. Allen voran die verkappte Filmusik zu „300“ namens „Conquered and Erased“. Mal abgesehen von „Svarte Skyer“ nahm die Geschwindigkeit in der Folge auch nicht mehr zu, und bezog durch den heroischen, zuweilen gutturalen „Gesang“ eine ganz einzigartige, massive, geradezu bedrohliche Aura. Symbolisch durchgeschnittene Kehlen und nach unten gerichtete Daumen taten ihr Übriges. Einzig der zum Mitgrölen gemachte Plattmacher „Thronehammer“ strahlte für mich etwas von Kraftdoom aus. Trotzdem: Hail! und Daumen hoch für die neuen Thorr´s Hammer!
Bedrohlich fingen auch die Zweiten an. Deren Vorstellung lautete: „Wir sind IRON WALRUS aus Osnabrück. Es ist ein Fest, hier zu sein!“ Grüße gingen an den Doom-Dealer. Drei der vier Akteure waren unter Sturmhauben mit Walroßzähnen vermummt. Sie trugen uniform schwarze Kleidung, klopften zynistische Sprüche, zelebrierten verbotene Kampfsporttritte und spielten von grimmigem Geschrei getragenen Sludge - der immer schneller, lauter, moderner und verstörender wurde. So betrachtet konnte Judas Priests „Breaking the Law“ nur zum mißratenen Versuch eines Anachronismus geraten. Iron Walrus waren nicht der traditionelle Doom, den man von einer Gruppe mit so einem Namen erwartet. Sie waren rauh, körperlich, reichlich überspannt - und auf Dauer purer Terror. „Vielen Dank! Sauft schön die Bude leer!“: Der Abschiedssatz klang ehrlich und befremdlich zugleich.
Harter Schnitt: Die nach der weiblichen Hauptfigur eines alten Horrorfilms benannte Kommune TANITH aus Brooklyn servierte das genaue Gegenteil zu den Vorgängern - poetischen, niedlichen und zutiefst zerbrechlichen Psychedelic-Rock im Stile der Seventies. Zwei ihrer Mitglieder waren anderen Koryphäen wie aus dem Gesicht geschnitten: Frontfrau Cindy Maynard schien die Schwester von Dead Moons Toody zu sein, während Charles Newton mit seiner Lockenmähne nicht nur wie Brian May von Queen aussah, sondern auch den Sechssaiter in ähnlicher Manier bediente. Mit ihrem höflichen Umgangston, der Anrede mit „Mister“, den virtuosen Gitarren und der glockenhellen Frauenstimme, wirkten Tanith wie fehl am Platze - viel zu gut für den Hammer Of Doom. Nach einer Dreiviertelstunde umarmten sich die vier und gingen ohne ein Wort des Abschieds von der Bühne.
Nach ihrem Auftritt mit Saint Vitus beim „Dudefest“ im Mai in Karlsruhe hatten sich Italiens MESSA in eine ganz unerwartete Richtung entwickelt. Statt obskur im Dunst von Prog, Psych und Drone zu experimentieren (damals standen sie ganz am Anfang ihrer Tour), zelebrierte die Squadra aus Cittadella in Venezien reinblütigen Doom-Rock. Signora Sara, die vor einem halben Jahr noch fürchterlich neben sich stand, hatte ihre Linie gefunden und sang mit einer ähnlich bezirzend dunklen Sehnsuchtsstimme wie Alunah oder Jex Thoth. Dazu hielten Alberto, Mark Sade und Mistyr die Geschwindigkeit konsueqent niedrig. Messa waren schlicht und schön entschleunigt - wie eine andere Gruppe! „Nicht schlecht“, staunte meine Adjutantin begeistert.
Die emotionalste Dreiviertelstunde brachten die unverwüstlichen MIRROR OF DECEPTION. Für die 1990 formierten Epic-Doomer aus der Gegend um Stuttgart, die sich zuletzt allerdings sehr rar gemacht hatten, war es das fünfte und letzte Ritual in diesem Jahr. Dementsprechend motiviert traten sie beim renommierten Szenefest an. Gitarrist Fopp gestand sogar etwas Lampenfieber. Doch gleich das Anfangslied „The Ship of Fools“ brachte alle Schüchternis und auch die eigene Zurückhaltung zum Kentern. Mirror of Deception waren die Einzigen, bei denen ich im ersten Sturm headgebangt habe. Es war allerdings ein Wechselbad der Gefühle. Philosophischen Altigkeiten im nachdenklichen, depressiven Stil wie „Vanished“, „Mirthless“ und „Sojourner“ stand neues Material im breiten Epic-Metal-Format gegenüber, ebenso eine düstere Mär auf Altschwäbisch wie „Der Student von Ulm“. Im Grunde waren die Lieder von Mirror of Deception aber immer traurige Angelegenheiten voller Verzweiflung, jedoch keine funeralig langsamen Nummern. Die sieben von heute waren verhältnismäßig mittelschnell, sie erinnerten an die Blüte des epischen Doom Metal und eine Gruppe wie Solstice. Für mein Empfinden war bei der Liedauswahl mehr drin. Es war nicht Mirrors bester Auftritt. Aber er war trotzdem verboten anrührend, nah dran am Leben und forciert von einer Überdosis Sentiment.
Ihre Sternenstunde erlebten auch LORD VICAR nicht. Mit 'The Black Powder' hatten Lord Chritus, Kimi Kärki, Rich Jones und Gareth Millstead ihr mittlerweile viertes Langeisen am Start - ihr Bestes. Mit dem siebzehnminütigen „Sulphur, Charcoal and Saltpeter“ legten sie auch in echt mit dem längsten Lied ungewöhnlich finster und sehr selbstmörderisch los. Kärki fackelte seine unverwechselbar an Reverend Bizarre erinnernden Riffs in die Masse. Während Chritus - anders als beim letzten Hammer - auch das obere Ende der Tonleiter erklomm. Seine Blicke und Gesten waren professioneller (und übertriebener) denn je, sie glichen der eines Mimen geradezu. Mal lauerte Chritus verzweifelt-verführerisch wie Gollum am Boden, dann predigte er einem Guru gleich am Mikrofon, nur um im nächsten Augenblick als Wirbelwind über die Planken zu stürmen. Und doch hat er als Sänger bis heute kein Lied selbst geschrieben. Kärki wiederum hatte in Sachen Präsenz zugelegt. Dazu hatte sich der zuletzt dazugestossene Jones natürlich und flüssig ins Bild eingefügt. Doch ein Lied wie „The Last of the Templars“ scheint abgenutzt. Und beim neuen Stoff, der mit seinem düsteren Charme an das Album 'Signs of Osiris' erinnert, scheint man wie in den tiefen Wäldern Finnlands nie zu wisssen, wann sie enden. Nach einem spannenden Auftakt folgten seltsame Schwankungen im Sound und auch etwas Leerlauf. Manchmal hatte man das Gefühl, Lord Vicar würden improvisieren. So streckten sie ihre Zeit auf fünfzig Minuten: ein Fehler. Aber - hej - ich rede über eine der größten Doom-Metal-Gruppen aller Zeiten! Ein denkwürdiger Auftritt war es allemal! Unser junges Mädel Fine wird ihn schon deswegen nicht vergessen, weil sie ein Foto Wange an Wange mit Chritus bekam. Am Ende verneigte sich Kimi - die Hände zum Gebet gefaltet - vor der Menge.
Ein unerwartete Schau lieferten auch die in Muskelshirts steckenden Herren Pendergast, Hutcherson, Beiers und Coleman aus Denver, Colorado. KHEMMIS - der Name kommt von einer Stadt im alten Ägypten - hatte ich im Stil ihrer Landsmänner Pallbearer und Apostle of Solitude erhofft. Vorab hatten sie die Shirts mit dem schönsten Motiv an den Händlerstand gepiekt. Es wurde eine sehr ambivalente Schau voller Macken, Zwiespälte und Zerrissenheit. Mal sang der kurzgeschorene Pendergast hell und durchdringend wie die Pallbearer, dann röchelte der langhaarige Hutcherson abgründig morbid wie Disembowelment. Micha wünschte sich letzere Variante zum Standard. Doch die Hauptstimme blieb Pendergast. Epic Doom war es nicht, Death Doom aber auch nicht. Auf alle Fälle waren Khemmis erfrischend flott. Die USAler grenzten sich stark von den übrigen Gruppen ab.
SWALLOW THE SUN waren das große Wunder für mich. Nach der Umschreibung als Melodic-Death- Doom-Metal aus Finnland war ich weniger auf Thergothon oder Shape of Despair, als vielmehr auf rührseligen Edelkitsch der Sorte HIM oder To/Die/For gefaßt. Swallow The Sun kamen aber aus Jyväskylä, der Stadt des durchgebrannten und jung gestorbenen Skispringers Matti Nykänen - wo alle offenbar etwas anders drauf sind. Das anno 2000 von einem gewissen Juha Raivio gegründete Sextett tief aus dem Nordland zeigte sich ganz in Schwarz und unter Roben, Kapuzen und langen Haaren verborgen. Der Auftakt verlief verhalten. Doch dann gewann das undurchschaubare Ritual durch eine wirkungsvolle Illuminierung, langsam gespielte, tiefe Gitarren, eine Orgel und die spartanische dunkle Singstimme Mikko Kotamäkis eine gewisse Sogkraft mit funeraligem Fluidum......
Der Ruf, die erste Doom-Metal-Gruppe Rußlands zu sein, zwei Cousins, die SCALD als Hommage an die Wikinger gründeten, und von denen einer - Sänger Agyl - unter mysteriösen Umständen zu Tode kam (was zugleich die Auflösung der Gruppe bedeuete): Die Chronik von Iwan Sergejew und Konsorten steckte voller Mythen, Geheimnisse und Tragik - und spiegelte das Wesen des Doom. Agyls Ex-Kameraden hatten mit der Folk-Metal-Formation Tumulus weitergemacht und sich zweiundzwanzig Jahre nach dem Ende von Scald nur für den Hammer Of Doom reformiert. Die Stelle von Agyl nahm der gebürtige Chilene Felipe Plaza ein, der unter anderem schon Nifelheim, Solstice, Destroyer 666 und Procession diente. Dementsprechend roh und unbehauen wirkte die Darbietung. Ich hatte mich schlau gemacht, und auch etwas über den Gruppennamen erfahren: Demnach waren Skalds skandinavische Dichter zur Zeit der Wikinger, die Lieder für ihren König schrieben und auch sangen. Die Scalds aus der Zarenhauptstadt Jaroslawl im Osten von Moskau machten epischen Metal, der für Doom zu überladen und fürs Stadion zu flach war. Während die Russen spielten, versenkte ich mit Uli von One Past Zero linientreu ein Wässerchen aus Sibirien. Na sdorowje, Scald!
Am Ende eines langen Tages trat heute erstmalig eine zehnte Gruppe auf. Nach altem Rezept wurde es zum Schluß groß und bombastisch. Für diese Rolle war eine Gruppe aus der Gegend um Amberg in der bayrischen Oberpfalz ausgewählt worden: die Epic-Metaller ATLANTEAN KODEX. Atlantean Kodex hatten Peanut und ich vor sechs Jahren bei den „Dutch Doom Days“ in Rotterdam erlebt. Damals wirkten sie wie ein Mischling aus Priest, Bathory und Manowar mit der Stimme von Deep Purple. Mit der Erfahrung aus zahllosen Festivalen im gehoben Untergrund und neuerdings einer blonden Fee an der zweiten Gitarre, kamen die Bayern heute zwar stiltypisch pompös, aber trotzdem angenehm bodenständig rüber. Fallenlassen, lautete die Devise. Atlantean Kodex liefen unter meinem Radar. Nach zwölfeinhalbstündiger Dauerbeschallung war halb eins der letzte Klang verhallt.
.:: ABSPIELLISTEN ::.
 
THRONEHAMMER
(13.00-13.45)
1. Behind the Wall of Frost
2. Conquered and Erased
3. Hammer, Stake & Cross
4. Svarte Skyer
5. Thronehammer
 
IRON WALRUS
(14.00-14.44)
1. Crawling
2. Ghost
3. I Hate People
4. Take Care
5. Breaking the Law [Judas Priest]
6. Abyssal
7. Judas
8. No More Reason
9. Blessed
 
TANITH
(15.00-15.45)
1. Cassini's Deadly Plunge
2. Book of Changes
3. Wing of the Owl (Galantia Pt. 3)
4. Eleven Years
5. Under the Stars
6. Under the Stars (Reprise)
7. Mountain
8. Dionysus
9. Citadel (Galantia Pt. 1)
10. Lady in Black [Uriah Heep]
 
MESSA
(18.00-18.45)
1. Leah
2. White Stains
3. She Knows / Tulsi
4. Hour of the Wolf
 
MIRROR OF DECEPTION
(17.00-17.45)
1. The Ship of Fools
2. Splinters
3. Orphans
4. Vanished
5. Mirthless
6. At my Shore
7. Sojourner
8. Der Student von Ulm
 
LORD VICAR
(18.00-18.50)
1. Sulphur, Charcoal and Saltpetre
2. The Last of the Templars
3. Breaking the Circle
4. The Temple in the Bedrock
5. World Encircled
6. Birth of Wine
 
KHEMMIS
(19.00-19.45)
1. Above the Water
2. Candlelight
3. Bloodletting
4. Isolation
5. Maw of Time
 
SWALLOW THE SUN
(20.05-21.05)
1. When a Shadow Is Forced Into the Light
2. Lost & Catatonic
3. Here on the Black Earth
4. New Moon
5. Upon the Water
6. Stone Wings
7. Emerald Forest and the Blackbird
8. Deadly Nightshade
9. Swallow (Horror, Part 1)
 
SCALD
(21.25-22.35 / Reihenfolge ohne Gewähr)
1. Night Sky
2. Sepulchral Bonfire
3. A Tumulus
4. In The Open Sea
6. Eternal Stone
6. Ragnaradi Eve
7. Bilrost
8. Sepulchral Bonfire
 
ATLANTEAN KODEX
(22.55-0.25)
1. People of the Moon
2. Lion of Chaldaea
3. Chariots
4. From Shores Forsaken
5. The Atlantean Kodex (Part 1)
6. He who walks behind the years (The Place of Sounding Drums)
7. Pilgrim
8. Sol Invictus
9. Twelve Stars and an Azure Gown
11. The Atlantean Kodex (Part 2)
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12. The Course of Empire
Epilog
 
Sonntag, 17. November
 
Volkstrauertag in Würzburg. Draußen wie jedes Jahr Sturm und Kälte. Aber Peanut lag atmend neben mir. Das Erwachen im Schatten der wuchtigen Kuppel und der beiden Kirchtürme von Stift Haug war die Hölle. Ich war am Boden zerstört. Die Wiederherstellung vom Festivalwochenende dauerte doppelt so lange wie es lief. Erstmals wurden während der laufenden Veranstaltung bereits Karten fürs Folgejahr verkauft. Zwölf Monate vorm Start standen mit Ophis und Funeral Fukk schon die ersten Gruppen fest. Ob wir jemals wieder nach Würzburg kommen? Das weiß nur Gott allein!
 
 
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Heiliger Vitus, 20. November 2019