THE BLUES AGAINST YOUTH, JEAN MARX EXPRESS
D-Frankfurt am Main, JUZ Hausen - 7. Oktober 2011
Heute hatte mein altes Vaterland DDR Geburtstag, den zweiungsechzigsten! Heute fand das vierte Konzert im neuen Musikjugendhaus Hausen statt. Und heute stieg der brisante Kick zwischen der Türkei und Deutschland auf dem Weg zur EM. Wider Erwarten hatte die Fußballschalte aber kaum Einfluß auf das Interesse am Jean Marx Express. Sechzig wollten die Kapelle aus USA sehen. Damit war der Klub am Brennergelände locker gefüllt. Angesiedelt im Grünen, leidet der Flachbau weder unter der Beklemmung der abgerockten Kellerklubs der Innenstadt, noch braucht er seine Akustik hinter denen zu verstecken. Für den Ton war heute sogar ein externer Mischer angemietet worden. Ein Gang ins Musikhaus Hausen ist immer ein entspanntes Vergnügen. Zumal man dort unter Freunden ist. Dazu zählten heute der Frontmann von Angst, der Alt-68er Wöhle und sein Lebensgefährtin. Klubbetreiber Jochen hatte uns auf die Gästeliste gesetzt. Im Gegensatz zu einigen vollwangigen, bierbäuchigen und würstchenmampfenden Gestalten, standen Peanut und ich leider schon allzu sehr unter der Skulptur „Hammering Man“, die drei Wochen später den Anfang und das Ende des Frankfurt-Marathons bedeuten sollte. Unsere Trainingskameradin und Schicksalsschwester Haile aus Äthiopien wollte extra nach Frankfurt kommen. Es wäre ihr erstes Rockkonzert gewesen. Doch dann riet ich ihr abends um acht ab. Schließlich sollten am nächsten Morgen um fünf die Wecker zu einem gemeinsamen 35-Kilometer-Lauf am Fluß Nidda rufen...
Vom langen Atem der Marathonläufer war auch die Black Rock Power des JEAN MARX EXPRESS. Mit einunddreißig Stationen in sechs Wochen war die 'Spiritual Carousel'-Tour über Europa gespickt. Dabei war das Trio aus Brooklyn und Kalifornien heute bereits einmal - in der JVA Gießen - aufgetreten. In den Abendstunden hielt dann in Anspielung auf Amerika und Jimi H. ein verzerrtes „Star-Spangled Banner“ als Einleitung her. „Klingen wie Lenny Kravitz“: Diese Zuordnung war im Vorfeld immer wieder zu hören gewesen. Auf die bittersüßen Psychrocker „Near the Water“ und „Carousel“ und das feinfühlig gesungene „To Be“ traf das sicher zu. Zumeist kamen Jean Marx Santel, Aalics Bronson und Gavin Glenn aber viel untergrundiger, mit dem Charme der Straße und schrulligen Improvisationen wie beim „Rat Racing“ daher. Wobei es mir ein Stück vom Album schon vorher sehr angetan hatte: „Lie the Lie“ erinnerte frappierend an die legendären Doomrocker von Hellhound Records - und war auch in echt der erste starke Moment, bei dem sich die Musiker in die Gitarren schraubten, bogen und die Dreads warfen. Wären JME keine Musiker, würden sie wohl im Ring stehen. Wie ein Bruder von Mike Tyson wirkte der Bassist. Aber JME waren Typen voller stoischer Ruhe. Vielleicht fehlte das Extrovertierte zum Durchbruch. So standen da nur drei junge Schwarze mit trauriger Musik voller Seele vor uns. Nach 66 Minuten widmeten JME dem Chef des Ganzen das Hendrix-Juwel „Voodoo Child“ (wobei das unaussprechliche „Jochen“ erst zu „Johan“ und nach einer Korrektur durchs Publikum schließlich zu einem „dedicated to him“ wurde). „Voodoo Child“ fing mit einem jaulenden Gitarrensolo an - und war erst nach zwölf Minuten ausgezaubert. Wiederum ein Instrumentenstück - ein brandneues - beschloß auch den regulären Teil halb elf Uhr. Beim ersten der beiden Jamrocker in der Verängerung haben wie die Mücke gemacht. Die Amis rockten knapp hundert Minuten. Sie waren richtig gut, auch ohne Dröhnung.
 
Das als Support geplante Ein-Mann-Orchester THE BLUES AGAINST YOUTH aus Rom hatte im Stau gesteckt, und es nicht pünktlich nach Frankfurt geschafft. Um zehn rum war mir der Italiener mit seiner schwarzen Bomberjacke mit rotem Aufnäher erstmals im Publikum aufgefallen. Jochen berichtete mir anderntags, daß Gianni Serusi die Stunde bis zur Mitternacht spielte. Und zwar eine Mischung aus langsamem Blues und Garagen-Country. Wobei Serusi die komplette Performanz aus Gitarre, Gesang, Trommeln und Pfiffen in Sitzhaltung absolvierte. Am nächsten Vormittag machte sich das Faktotum Serusi auf den langen Heimweg nach Rom.
 
Beim eigenen Aufbruch stand eine größere Menschengruppe vor der angrenzenden DLRG-Baracke. Wir haben uns keine Gedanken gemacht, erfuhren aber später, daß der Konzertraum um Mitternacht von zwielichtigen Vögeln besucht wurde. Des Friedens wegen wurde bis zwei Uhr nachts Bier ausgeteilt.
 
 
Heiliger Vitus, 11. Oktober 2011
.:: ABSPIELLISTEN ::.
 
JEAN MARX EXPRESS
(so wie sie auf der Bühne lag, aber unvollständig / 21.05-22.45)
Intro „The Star-Spangled Banner“
1. Near the Water
2. Carousel
3. Here I Go
4. Lie the Lie
5. To Be
6. Cross Road Blues [Robert Johnson]
7. Rat Racing (Mosaic/Red)
8. Sick Inside
9. Voodoo Child [Jimi Hendrix]
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10. Questions
11. Knockin´
 
THE BLUES AGAINST YOUTH
(laut limitierter Live-CD 'Ripped Off And Broke' / 23.00-0.00)
1. Pure at Heart Blues
2. I Want to Be Your Daddy
3. It Must Have Been the Devil
4. Tevere Delta Blues
5. Become the Whiskey
6. Livin´ in a Lie
7. Standing Barman Stomp
8. Long haired Country Boy
9. Opportunities