29. ADVENT-WALDMARATHON AROLSEN, 28. November 2009
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AUFBAUKÄMPFE
Koberstädter Wald-Marathon (Halbmarathon), 30.8.09
Hugenottenlauf Neu-Isenburg (Halbmarathon), 20.9.09
Chicago-Marathon, 11.10.09
Rodgauer Winterserie (10 km), 7.11.09
STRECKE ¤ VORBEREITUNG ¤ MARATHON ¤ STATISTIK ¤ BILDER
Schweigend steht der Wald
 
 
Berlin, London, Boston, New York, Paris, Chicago, nun Arolsen: Nach unsterblichen Ereignissen in der weiten Welt war ich mit meiner Freundin heimgekehrt, und wollte einen Marathon in Nordhessen laufen. Arolsen ist ein Relikt einer untergegangenen Zeit. Die Wurzeln reichen zu den Anfängen der Bewegung zurück. Einer der Starter bei der Frankfurt-Premiere 1981 war es, der sieben Monate nach Frankfurt den ersten Marathon in den Wäldern von Kurhessen schuf. Drei Jahrzehnte später ist alles immer noch so, wie es früher mal war. Der von Henner Kuhaupt gemachte Lauf durch die Wildnis im Norden folgt eigenen Regeln. Die Reduzierung des Kampfs auf Mensch und Natur haben auch 2009 Bestand. Das beginnt mit einer pfadfinderischen Unterbringung in einer Turnhalle. Eine kultige Brandrede zur Einstimmung vorm Start gehört ebenso dazu, wie eine historische Beschilderung und der Verzicht auf Werbeverträge. Grund genug für uns, zum Urspung der Sportart zurückzukehren!
 
Ferner war es Peanut und mir nicht wert, die Form von CHICAGO einfach so zu wegzuschmeißen. Eine Zeit ohne Marathon bis zum Frühjahr schien uns zu lang, und ein Besuch der Frankfurter Marathonmesse tat ein Übriges: Die angenehm normalen Ironman-Helden Nicole und Lothar Leder hatten uns dort noch mal nachhaltig die Freude am Sport eingeimpft. Für das fünf Wochen später steigende Arolsen war dann rasches Handeln nötig: Viele Frankfurtstarter haben das gleiche vor. Nach Arolsen ist´s nicht weit, Arolsen liegt in zeitlich günstigem Abstand zum Frankfurt-Marathon, und Arolsen ist einer der letzten fünf Marathons im Jahr. Da die Strecke nur eine bestimmte Anzahl verkraftet, sind die Teilnehmer auf 600 begrenzt. Nach Versand der Anmeldeformulare und des Startgelds von 25 Euro - nicht über „Internet“ sondern per Post und in bar - waren wir zum 26. Oktober fernmündlich bestätigt eingeschrieben. Nach zehn Jahren Individualismus trat ich erstmalig für Spiridon Frankfurt an.
 
.:: DIE STRECKE ::.
Dem Läufer stand einiges bevor. Es ging durch den finsteren Waldecker Wald. 480 Höhenmeter mußten überwunden werden. Gestartet wurde in Wetterburg. Nach dem Auftakt am Stausee Twistesee ging es über Stock und Stein und durch Wald und Flur via Landau zur Südspitze vor Wolfhagen. Von dort dann nach Westen durch den Langen Wald vorbei an Dehringhausen, Volkardinghausen und Braunsen zurück zum Twistesee. Ein stark kuppiertes Gelände überwunden (308 Höhenmeter allein bis Halbmarathon, zwischen Kilometer 28,5 und 31 noch mal barbarische 108 Meter), ging es die letzten elf Kilometer fast nur noch leicht bergab. Da der Marathon nahezu vollständig auf Feld- und Waldwegen verlief, konnten die herbstüblichen Wetterkapriolen zum Problem werden. Außer bei höherer Gewalt sollte der Kampf aber immer ausgetragen werden! 1991 stellte der Tscheche Pavel Baverad den Streckenrekord von 2:31:38 Stunden auf.
 
.:: DIE VORBEREITUNG ::.
Mit Arolsen gingen wir in die Verlängerung der 17 Wochen für Chicago. Wir haben weitere sieben durchgezogen. Eigentlich zu kurz für einen neuen Formaufbau und zu lang für das Halten des Niveaus. Leider war ich direkt nach Chicago obendrein auch noch zu einer zehntägigen Antibiotika-Therapie gezwungen, die mich zurückwarf. Die bestrittenen AUFBAUKÄMPFE (Klick aufs Veranstaltungssymbol öffnet einen separaten Bericht):
 
31. NAT. KOBERSTÄDTER WALDMARATHON, 30.8.09
(Halbmarathon)
 
33. INT. HUGENOTTENLAUF NEU-ISENBURG, 20.9.09
(Halbmarathon)
 
32. CHICAGO-MARATHON,
11.10.09
 
30. RODGAUER WINTERSERIE,
7.11.09
(10 km)
Fast in die Irre geführt
 
Erst hatten die variantenreichen Ortsbezeichnungen der Wettkampfausschreibung in die Irre geführt, dann war die sonntags selten verkehrende S-Bahn ausgefallen, und schließlich wies in Rodgau nichts auf eine Laufveranstaltung hin - kein Schild, kein Plakat, kein Pfeil: nichts, nirgends! Rein zufällig entdeckte ich einen Kundigen, der uns im Stechschritt vom Bahnhof Jügesheim zum Start in Hainhausen lotste. Zwanzig Minuten vorm Bumm hatten wir das Sportgelände am Weichsee erreicht, die Nummern erhalten, die Leibchen übergestreift, und in letzter Sekunde den Schwanz des Starterfelds erreicht.
 
Fünfhundert Akteure hatten sich an jenem trüben Novembernachmittag versammelt. Manche mit verblassender Form am Ende der Saison, andere manisch ehrgeizige Durchtrainierer. Wir selber wollten die Form von Chicago aufpolieren und uns den letzten Schliff für Arolsen in drei Wochen holen. Der heutige „Zehner“ wurde auf einer flachen, amtlich vermessen Runde ausgetragen, wobei auch die Aufstellung hinter der Startlinie einer peniblen Kontrolle unterlag. Die Strecke an und für sich erwies sich als weit weniger aufregend als das gesamte Vorspiel. Sie führte geradewegs über das Flachland im Südosten der Rhein-Main-Ebene. Vorbei an einem Wasserwerk erst fünf Kilometer durch einen herbstgelben Wald nach Westen bis kurz vor Dietzenbach, dann in Richtung Heusenstamm, und wieder fünf Kilometer durch Wald und Heide zurück nach Rodgau-Hainhausen mit dem Ziel im Stadion. Ein Kilometer war asphaltiert, der Rest verlief auf Forstschneisen, der Schluß lag auf Tartan. Kursrekordlerin der Frauen war bis heute die deutsche Marathonpionierin Teske!
 
Eine Erkältung hatte mich schon Anfang der Woche geschwächt, dazu kam die Anreise. Aber gegen die jungen Dinger war sowieso kein Kraut gewachsen. Immerhin gelang mir zum Einstand für Spiridon Frankfurt eine 10-Kilometer-Zeit von 38 Minuten. Damit war ich Dritter unter 19 Blauhemden. - Meine Verbündete Peanut wurde mehrmals beeinträchtigt. Nach einem verpatzten Auftakt im Mittelfeld, kam ihr auf der Strecke erst ein Rettungswagen in die Quere (ein Läufer war mit Herzanfall zusammengebrochen), und dann wurde sie im Ziel auch noch um eine Minute betrogen. (Die Zeiten wurden nicht auf der weißen Linie gemessen, sondern ausgangs der Zielgerade, wo eine Dame Nummer und Zeit in einen Kraftwagen rief, in dem die Erfassung mittels Monitor erfolgte. Leider war die Dame mit dem Schlag auf Schlag eintreffenden Mittelfeld heillos überfordert. Die Läufer mußten zur Registration sogar Schlangestehen. Nach Peanuts Einspruch wurde ihr Ergebnis auf eigene Handzeitnahme korrigiert.) Am Ende standen für uns beide Bestwerte im 10-Kilometer-Lauf. Als Lohn gab es frischgebackene Waffeln.
 
 
ZAHLEN UND ZEITEN
 
Wetter: dicht bewölkt mit Nieselregen, 7ºC, Windstille
 
Teilnehmer im Ziel: 468 (M: 359, W: 107)
 
Männer
1. Manuel Ruhland (LG Neu-Isenburg) 32:56
2. Lienhard Hersel (SSC Hanau-Rodenbach) 33:47
3. Johannes Moldan (FC Dörlesberg) 34:01
35. Kampfläufer Vitus (Spiridon Frankfurt) 38:25 (PB / 6. M45, 36. Gesamt)
 
Frauen
1. Kerstin Straub (SSC Hanau-Rodenbach) 37:17
2. Jenny Schulz (Skills 04 Frankfurt) 38:54
3. Karin Schenk (Spiridon Frankfurt) 39:20
39. Peanut (Frankfurt) 50:52 (PB / 6. W45, 301. Gesamt)
 
Ergebnisse
TGM SV Jügesheim
Der Kampf in einer BILDERTAFEL... anklicken............
Vitus´ 16 TRAININGSWOCHEN vom 10. August bis 28. November:
 
01. Wo. (162 km): Wiederherstellung nach Halbmarathon
02. Wo. (155 km): Training
03. Wo. (117 km): Halbmarathon (1:25:00)
04. Wo. (180 km): Wiederherstellung
05. Wo. (161 km): Training
06. Wo. (124 km): Halbmarathon (1:22:56)
07. Wo. (165 km): Wiederherstellung
08. Wo. (126 km): Direkte Wettkampfvorbereitung
09. Wo. 0(92 km): Aktive Erholung - CHICAGO-MARATHON (666. in 2:58:48)
10. Wo.
0(49 km): Wiederherstellung
11. Wo. (100 km):
Wiederherstellung
12. Wo. (157 km): Training und Vitus´ Anschluß an Spiridon Frankfurt
13. Wo. (159 km): 10-Kilometer-Wettkampf (38:25)
14. Wo. (170 km): Training
15. Wo. (122 km): Direkte Wettkampfvorbereitung
16. Wo.
0(78 km): Aktive Erholung - AROLSEN-MARATHON (8. in 2:59:59)
Gesamt: 2116 km
 
.:: DAS RENNEN ::.
 
29. ADVENT-WALDMARATHON AROLSEN, 28. November 2009
Donnerstag, 26. November
 
Nach vier Zugstunden von Frankfurt über Kassel-Wilhelmshöhe kamen wir am Bedarfshaltepunkt Külte-Wetterburg im Grenzland zwischen Hessen und Westfalen an. In Wetterburg lagen der Marathonstart wie auch unsere Unterkunft. Wir wurden von diesem alten Bahnhof fern jeder Besiedlung nach unserem Anruf mit dem Auto abgeholt... und bekamen im Achthundertseelennest Wetterburg ein Domizil, in dem wir tanzen konnten: eine Wohnung mit Terrasse und freiem Blick auf den beschaulichen Twistesee, die tiefen Wälder und eindrucksvollen Berge obendrein. Vollkommene Stille und reine Luft waren da. Von Sonnenstrahlen durchbrochene Wolken haben da am Himmel gehangen. Dazu die weichen Wellen auf dem kristallklaren See. Pure Mystik! Zum Essenholen brachte uns ein Bus zu alten Soldatenstadt Arolsen. In der dortigen Belgischen Kaserne, die ihren Namen einr belgischen Panzerregiment aus dem Kalten Krieg verdankt (früher waren dort Preußen und hohe Tiere der SA sowie die Führerelite der SS stationiert), haben wir uns eingedeckt. Zurück in Wetterburg half uns die in geradzu unheimliche Lautlosigkeit und tintenschwarze Dunkelheit gehüllte Landschaft in einen Tiefschlaf. Die Nächte vorm Marathon haben wir geschlafen wie Steine.
 
Freitag, 27. November
 
Wie der Vortag bestand auch der heutige aus einer Lockerung am See, gutem Essen und Körperpflege, sowie einem Spaziergang zur Nummernausgabe in der Twisteseehalle. Dort war alles aufs Notwendige beschränkt: keine aufdringlichen Händlerstände, nur die Ausgabe der Nummern (die zusammen mit einem Badesalz in einem roten Umschlag steckte), das wandzeitungsartig aufgehängte Streckenprotokoll (die erste Einsicht ins Höhenprofil!) und ein Tisch mit Shirts für elf Euro, Streckenkarten für einen und Erinnerungsmedaillen für vier Euro. Insgesamt stießen wir auf zwei Dutzend Läufer. Die einzige Unruhe bereitete mir eine Entzündung im Knie, die sich unter der Woche eingestellt hatte.
 
Sonnabend, 28. November
 
Und dann war
AROLSEN-MARATHON! Nach einem durchgehenden Schlaf von sieben Stunden bin ich um 6.16 Uhr aufgestanden, habe einen lockeren Morgenlauf gemacht und mit meinem Mädel in der Gaststube treppab gefrühstückt. Halb zehn schwangen wir uns auf, um die Eigenverpflegung abzugeben, die ab zehn Uhr von der Twisteseehalle auf die Strecke befördert werden sollte. Sechs Pappkartons für sechs Versorgungsstellen waren aufgestellt, vier Flaschen mit je einem Kohlenhydratgel lieferten wir beide ab. Um 10 Uhr hielt Henner Kuhaupt (Marathonbestzeit: 2:28 Stunden) vor versammelter Truppe eine zwanzigminütige, flammende, geradezu aufwieglerische Brandrede. Mit der Bitte, etwaige Holprigkeiten wegen den anwesenden Reportern zu verzeihen, ging der Blick zuerst ins Jahr 1974, wo man noch sehr weit für einen Marathon reisen mußte, wo niemand über drei Stunden lief und man erst mit einer Zeit von 2:30 Stunden ernst genommen wurde. Der zweite Teil betraf die Gegenwart, in der Marathons zu „Events“ verkommen und jeder Staffel- oder 10-Kilometer-Teilnehmer mit einer „Finishermedaille“ rumprahlen darf. HK rühmte den Arolsen-Marathon als einen der fünf letzten klassischen unter den 191 Marathonläufen, die es mittlerweile in Deutschland gibt. Der Schlußteil lieferte Auskunft zur Strecke. Jene war bis zuletzt ein Mysterium geblieben. Manche redeten von 240 Höhenmetern, andere von 300. Die Läufer machten sich keine Vorstellung, was sie erwartet. Sie wurden unterwiesen, Steilhänge besser hinauf zu gehen als zu laufen, es sei der kraftsparende Weg. Niemand solle sich überanstrengen... Um 11 Uhr erfolgte an der Nordostspitze der Twistetalsperre die Aufstellung. Teilnehmer aus zwölf Nationen nahmen das Rennen mit „fliegenden“ Start in Angriff. Neben Deutschen hatten sich Läufer aus USA, England, Schweden, Belgien, Niederlande, Luxemburg, Schweiz, Österreich, Polen, Kenia und sogar Australien angemeldet. Diesig-kalte Luft, Regen, Anflüge von Mystik und die angespanten Blicke der Läufer webte die Szenerie in einen so schweren Schleier morbider Melancholie ein, daß mir ganz anders wurde. Dazu drohten 420 Höhenmeter im Wald. Das ist, als müßte man den Willis Tower in Chicago hinauf. Alle Anstiege zusammen ergaben fünfhundert Höhenmeter! Vom Gelände her teilte sich der Marathon in vier Etappen auf:
Am Twistesee (© Vitus)
1. Etappe (Kilometer 0 bis 2): Ebenheit
 
Gleich nach dem START ging es über die zwanzig Meter hohe und dreihundert Meter lange Staumauer der Talsperre aufs linke Ufer. Dort führte der sieben Kilometer lange Seerundweg vorbei an einem Strandbad, einer Wasserskianlage und einem Golfplatz nach Süden. Eigentlich ein schneller, flacher Auftakt auf Asphalt ohne Kurven. Aber heute wehte Wind von vorn. Nachdem der Westfale Strothmann wie von der Sehne geschnellt seinem vierten Start-und-Ziel-Sieg entgegeneilte, hatte ich - erstmals in den Farben von Spiridon Frankfurt gehüllt - einer kleinen Verfolgergruppe bis Kilometer zwei Windschatten im Kampf gegen die Elemente gegeben. Die beiden Kilometer waren in acht Minuten zurückgelegt. Nach einer ersten leichten Anhöhe führte die Uferlinie über den Vorstau hinweg und verließ den „leichten“ Abschnitt am dritten Kilometer von der Landauer Straße in die Wildnis. An Bäume genagelte Holztafeln mit roten und grünen M-Symbolen und weiße Pfeil-Runen am Erdboden markierten den Weg. Vier Kontrahenten - darunter der kenianische 2:13-Stunden-Läufer Linus Mutai - zogen an mir vorbei.
 
2. Etappe (Kilometer 3 bis 31): Hügelreich
 
Nun begann der anspruchsvolle Teil. Denn es waren einige Höhenmeter zu überwinden. Es ging nun für eine sehr lange Zeit durch die ausgedehnten Mischwälder Nordhessens. Tagelanger Regen hatte die Strecke aufgeweicht und in triefend nasse Trails verwandelt. Mal ging es hinunter, aber viel öfter ging es hinauf. Bald war ein Loch von hundert Metern zu den Nächsten gerissen. Der Schwarze blieb in Sicht. Seltsamerweise verlor ausgerechnet der behende Afrikaner in den Anstiegen immer wieder an Boden. Dann hatte ich ihn wieder überholt, und hörte den hechelnden, gehetzten Atem im Nacken... bis er auf einem weiten Acker im Schatten eines anderen erneut an mir vorüberzog. Es war ein sehr unrhythmischer Lauf des sichtbar unaustrainierten Mutai, vielleicht auch eine Schwäche im Geiste. Peanut ihrerseits war lange mit der zwergwüchsigen Landsfrau Mutais zusammen gewesen, die vorm Rennen in der Twisteseehalle gesichtet wurde, und die nach der Hälfte die Waffen streckte. Auch ein skurriler, alles Mögliche aufsammelnder Australier mit Ränzlein und Kamera, und ein Paar aus Belgien, bei dem die Frau den Mann anstacheln mußte, waren die Wegbegleiter meines Mädels. „Fünfzehnte Frau“, hatte man Peanut an der Kontrolle am Kilometer 7 zugerufen. Außer den Marathonis waren nun auch die eine Stunde früher gestarteten Sollzeitläufer unterwegs, denen 6:30 Stunden bis zum Zielschluß eingeräumt waren. Vorm zehnten Kilometer war eine Landstraße zu überqueren. Polizei riegelte den Verkehr ab. Direkt danach ging es eine Böschung hinauf und über einen Acker in den schlammigen, finsteren Langen Wald. Auch die Versorgungsstelle Kilometer 14, an der ich das erste eigene Getränk erwartete, lag im Langen Wald. Dies war jedoch durch einen Fehler der Organisation - genauso wie jene am Kilometer 26 und 34 - nicht rechtzeitig zur Station gebracht worden. Ich lief ohne Energieschub und auch ohne die angepriesenen „Wasser, Tee, Iso“ durch, und kam so zumindest nicht aus dem Rennrhythmus. Bei Peanuts Durchlauf waren die Kästen aufgestellt. Sie hatte auch meine Pullen gesehen und sich gesorgt, daß ich wegen Knieproblemen aufgeben mußte... In einem Gefälle hin zur ersten Menschensiedlung schlitzte ein Dornenbusch meinen linken Arm auf, der fortan ziemlich blutete. Vorbei am historischen Brunnen „Wasserkunst“ verlief die Strecke durch Landau kurz auf Asphalt - um am 17. Kilometer in einen enorm steilen, unwegsamen Hang zu stechen, der viele zum Gehen zwang. Die Schwächeren schafften diese fürchterliche Mauer aus Schotter und Schlamm nur kraxelnd, vielen zermürbte es frühzeitig die Kraft und den Willen. Unerbittlich ansteigend ging es weiter. Dann war der Halbmarathon erreicht. 1:31 Stunde zeigte meine Uhr an. Peanut brauchte 1:58. Meine Ausschau an der Verpflegungskontrolle nach Eigenverpflegung war erneut vergeblich. Dafür wurde der Kenianer neben mir als „Ach, da ist ja unser Bimbo!“ beschimpft. Soll aber von keinem Helfer, sondern einem Zuschauer gekommen sein... Nach dem Jeppenteich führte die nächste ansteigende Schneise über eine Lichtung aus struppigem Gras. Hier konnte ich ein Rudel von fünf Leuten auf einen Schlag stehenlassen. Die Gelenke mußten einiges aushalten, aber nun war ich wieder hinter der Spitze und lief auf der zwölften Stelle über den südlichsten Punkt beim Schloß Höhnscheid nahe Wolfhagen. Die zweite Videokontrolle war hier aufgebaut. Nach überstandenen 23 Kilometern war das. Spätestens ab Wolfhagen lief jeder für sich allein. Geredet wurde nichts. Kein Mucks war zu hören. Nur das Tröpfeln des Regens und Rascheln im nassen Laub. Manchmal auch ein knarrender Baum. Auf dem Rückweg nach Norden begegnete ich Leuten, die im Gegenverkehr noch gen Süden liefen. Hinterm Siebringhäuser Teich ging es etwas weiter in den Westen hinein. Seit dem siebenten Kilometer war ich nun ohne Verpflegung. In meiner Not bettelte ich einen Radler an, der mich mit Flasche am Rad überholte - und glatt ignorierte... Die höchste Stelle mit 430 Meter über N.N. befand sich am Rand von Dehringhausen.
 
3. Etappe (Kilometer 32 bis 37): Gefälle
 
Von Dehringhausen führte die Strecke wieder in den Langen Wald hinein. Nun von Süden nach Norden führend. Aber ohne den erwarteten Rückenwind. Der hatte sich gelegt. Sieben abfallende Kilometer durch die kathedralenhohen Bäume links und rechts sollten für all die Leiden entschädigen. Indes sich Anstiege durch Gefälle ebenso wenig ausgleichen lassen, wie Gegenwind durch Schiebewind. Läufer wissen das! Und einer der mit Vorsprung gestarteten Traditionsläufer wußte auch, daß es nicht mehr weit bis zum nächsten V-Punkt war. Vor der Schänke „Waldschmiede“ von Volkhardinghausen war der angeflehte Ort gekommen. „Wasser, Tee, Iso.“ Und sogar Eigenverpflegung! Die erste! Doch derart deplaziert, daß ich stoppen mußte und nach einer Rangelei neben der Strecke bald eine Minute verlor. An dieser Stelle wären fast F ä u s t e geflogen! Aber ich hatte nach 27 (in Buchstaben: siebenundzwanzig) Kilometern endlich was zu trinken! In einer steil in eine Schlucht abfallenden Serpentine erspähte ich zwei, die ich noch überholen sollte.
 
4. Etappe (Kilometer 38 bis 42,195): Ebenheit
 
In Braunsen traf man sich nicht nur zum Nußecken-Essen, sondern auch um die finale Etappe hin zum Twistesee zu laufen. Nach einem winzigen und doch ungeheuer schmerzhaften Huckel war bei Kilometer 40,5 der Seerundweg erreicht. Ein junger Triathlet war der Letzte, den ich überholte. Peanut erlitt an der letzten Steigung einen Schwächeanfall, mußte paar Meter gehen, lief schließlich weiter - und bewegte damit sogar noch einen Italiener zum Durchhalten. Der Südländer dankte ihr im Ziel. Leider tummelten sich auf dem nicht abgesperrten Endstück Spaziergänger auf der Rennstrecke. Mit ausgetrocknetem Körper und ramponiertem Knie war ich mich nach drei Stunden im ZIEL auf Höhe der Twisteseehalle. Im gleichen Augenblick vermeldete das Kampfgericht das Abticken der magischen Stundengrenze. Das Wichtigste in diesem Moment: Ich hatte meinen ersten Marathon unter den ersten Zehn beendet und mit dem 8. Gesamtrang Silber in der Klasse M45 ergattert. Der Rückstand auf den Gesamtdritten betrug weniger als vier Minuten. Mir ist erstmals ein negativer Split gelungen: die zweite Rennhälfte war zwei Minuten schneller als die erste! Und ich war nur zwei Minuten langsamer als zwei Monate zuvor auf der Weltrekordpiste von Chicago! - Peanut bewältigte die verwunschenen Berge mit schmerzenden Knöcheln (die zum Rande hin abhängenden, ungleichgewichtigen Wege...) in fabelhaften 4:10 Stunden. Das brachte ihr den 6. Rang bei den gestandenen Frauen ein. Henner Kuhaupt befragte Peanut hinter der Linie noch nach ihren Eindrücken. Der Aussage Herbert Steffnys folgend, wonach Arolsen „mit einem Malus von 6 bis 15 Minuten zu besetzen“ ist, und in Anbetracht der widrigen Umstände, wären unsere Leistungen auf vielen Strecken dieser Welt Zeiten von unter 2:49 respektive unter 3:59 Stunden wert gewesen. Aber was nutzt einem dieses Wissen? - - Wegen der Kälte und Nässe gaben 80 der 600 Gestarteten auf. Dirk Strothmann, Ex-Europameister im Duathlon, gewann Arolsen zum vierten Mal, diesmal unangefochten in 2:44 Stunden. Kenias Linus Mutai erreichte das Ziel abgeschlagen nach 3:28 Stunden. Der mit knapp 1700 Marathonstarts weltweit führende Preisler aus Hamburg, kam nach 5:50 Stunden am Twistesee an.
 
 
FAZIT
 
Strecke:
Der Weg in Richtung Ziel hatte große Hindernisse. Viele lange, gleichförmige Anstiege und kurze, steile Knüppel machten Arolsen zu einem äußerst anspruchsvollen Langstreckengeländelauf. Dazu kann je nach Witterung schwieriger Untergrund und Wind kommen. Auf Kilometrierung wurde weitgehend verzichtet. Es waren nur die ersten und letzten fünf Kilometer beschildert, dazu die krummen Entfernungen an den Versorgungsstellen. Ausstrahlung: Das Niveau blieb eher mäßig. Doch den meisten ging´s nicht um gute Laufzeiten, sondern um Bewegung in der Natur. Arolsen lebte vom Kult, dem Idealismus seiner Macher und der Kameradschaft unter den Läufern. Aber Ursprünglichkeit um jeden Preis hat auch eine Kehrtseite... wie eine - vorsichtig ausgedrückt - eigenwillige Organisation. Herr Kuhaupt arbeitete mit einem sehr, sehr kleinen Team und übernahm alle Aufgaben von der Ausschreibung bis zur Ehrung in Personalunion. Spartanische Informationen, unaufmerksame Streckenposten, spartanische Verpflegung (nur Wasser und Tee und im Ziel unreife Bananenstücke) waren das Resultat. Und: Von einer Marathon-Medaille darf man mehr erwarten. Sie war beleidigend schlecht! Wirkung: In Arolsen kochte man sein eigenes Süppchen. Manches läßt die Erinnerung in keinem schönen Licht scheinen. Aber durch das anspruchsvolle Gelände und den Kampf Mann gegen Mann wirkten die 42 Kilometer kurzweilig. Für die Materialinteressierten: Frau lief mit Asics Gel-3000, Mann mit Adidas adiZero Adios.
Der Kampf in einer BILDERTAFEL... anklicken............
EHRUNG UND ABSCHLUSS
 
Abends halb sechs fanden sich zweihundert Sportler und Begleitpersonen in der Twisteseehalle ein. Mit einer Dankesrede der Veranstaltereheleute ging die Geschichte zu Ende. Es gab keinen Schadensfall. Ein Lob ging an alle Freiwilligen, Versorger und Gästehäuser. Ferner wurden die Ins-Ziel-Gekommenen mit Stolz bedacht. (HK hatte früher selbst etliche Marathons aus Enttäuschung abgebrochen.) Eingebunden waren auch die Auszeichnungen der Sieger und Platzierten mit Sachpreisen. Aber: „Nicht die Ehrung ist der Höhepunkt. Der Höhepunkt war der Lauf!“, sagte Henner Kuhaupt. Die Preisverteilung bereitete mehr Bitterkeit als Freude: Als Klassenzweiter wurde ich mit einem Perlonsack, einem Jahresabo der „Laufzeit“, dem Buch des Zehnkämpfers Busemann, einem Gutschein von „Runnerspoint“, sowie drei kleinen Laufutensilien gewürdigt. Nach einem Meinungsaustausch mit den Strothmann-Brüdern war Arolsen für uns abends um halb sieben Geschichte. Derweil sich alles auflöste, habe ich meine Verabredung eingehalten und mir im Wetterburger Tattoostudio zwei neue Runen unter die Haut stechen lassen. Das war mein Höhepunkt, und damit war der Marathon von Arolsen für immer verewigt. Mehr galgenhumorig als ritterlich fiel unser anschließendes Abendmahl in der mittelalterlichen Ritterfestung „Wetterburg“ aus: Die Mägen waren die deftige Kost und das Germanengebräu nicht mehr gewöhnt. Zu vorgerückter Stunde haben wir noch ein Altes Gasthaus im Dorfkern beehrt, in dem ein betrunkener Schlesier in „White-Power“-Hemd mich als Marathonläufer wiedererkannte.
 
Sonntag, 29. November
 
Sonnenhell - wie zum Hohn - zeigte sich der Tag danach. An den Bäumen bewegte sich kein Blatt. Nach einem Umtrunk mit Sagres (Bier) und Generoso (Likörwein) im portugiesischen Klubhaus des FC Porto sind wir nachhause gefahren. In Frankfurt angekommen, war mein Knie geschwollen, dick und voller Blut - ein barbarischer Schmerz! Und das Ende vom Lied kam noch (und blieb als übler Beigeschmack)......
 
Die Antwort des Ausrichters auf meine Hinweise und Anregungen vom 12. Dezember

 

Guten Tag,
zu Ihren Vorwürfen kann ich z.Zt. noch nicht komplett Stellung nehmen.
1. Die Bezeichnung „Bimbo“ kam nach Befragung der Helfer von einem beim VP Punkt stehenden Zuschauer.
2. Ob es ein organisatorischer Fehler war oder ein hektischer am VP Punkt, werde ich nach weiteren Befragungen klären.
3. Die versprochen neue Urkunde mit 2:59,59 werden Sie bekommen egal wie (der EDV Mann ist z.Zt.in Urlaub). (Gegen die ursprüngliche Bewertung hatte ich Protest eingelegt. Der Ausrichter zeigte sich kooperativ und wollte meine Brutto- in eine Nettozeit von 2:59 Std. umwandeln. Bei der Siegerehrung wurde mir gesagt, ich könne die „abgedruckte Zeit ja mit der Schere ausschneiden“. Anm. Verf.)
4. Die zugesandte Urkunde ist auf Ihren Antrag gefolgt.
5. Sie sollten bedenken, dass alle freiwilligen Helfer auf ihren Lauf verzichtet haben um Ihnen einen Lauf zu ermöglichen...
6. Ihre Mißachtung gegenüber den freiwilligen Helfern gefällt mir überhaupt nicht. Ich schäme mich den helfenden Mitläufern Ihre Stellungnahme zu schildern, weil ihnen sonst die Lust vergeht weiter zu helfen.
7. Bitte schreiben Sie mir keine E- Mails mehr. Ich habe in meiner 35 jährigen organisatorischen und läuferischen Tätigkeit bisher immer „Gleichgesinnte“ kennen gelernt. Das kann ich bei Ihnen nicht feststellen.
8. Alle Teilnehmer können in einer sachlichen, kameradschaftlichen Kritik bei uns landen, und wir lernen daraus.
9. Ihnen empfehle ich zukünftig z. B. in Ffm zu laufen. Hier haben Sie dann vor Ort die bessere Gelegenheit Ihrer Unzufriedenheit freien Lauf zu lassen. Meine Lebenserfahrungen und läuferischen Kenntnisse sagen mir: „Junge wärst Du zufriedener, dann wärst Du auch läuferisch besser“! In so einem Zustand bin ich 52 jährig noch 2:29:51 Std. gelaufen!!
Guten Tag, HK, eigentlich nur ein „Läufer“. Mit der Organisation von Lauf-Treffs, Volksläufen und Marathonläufen wollte ich eigentlich anderen nur Freude bereiten!!

 
Vom Faktotum Kuhaupt haben wir nie wieder gehört.
 
 
Vitus dankt
Tattoo & Piercing by Stephan in Wetterburg (für die Blutgruppentätowierung)
Marathona Peanut
 
Kein Dank
Petrus
Die „Helfer“
Der Wortbrecher aus Wetterburg
 
 
Provinzposse, Nachtrag 1. Dezember 2011
Nach Querelen mit der Stadt und mangels Geld wurde der Ausrichter zu einem Umzug von der Twisteseehalle ins Strandbad gezwungen. Nach drei Jahrzehnten wurde der Zeitpunkt des Advent-Marathons auf Pfingsten verlegt. Die 42-Kilometer-Runde wurde zu zwei 21-Kilometer-Runden gerafft. Neuer Ausrichter des alten Advent-Marathons ist das „Sport Event Team“ Arolsen in Person der Familie Wierschula - die nur hundert Meter vom Haus Kuhaupt beheimatet ist... Wierschula hoffte auf zweihundert Anmeldungen.

 
 

Kampfläufer Vitus im Dezember 2009
 
.:: ZAHLEN UND ZEITEN ::.
Wetter: regnerisch, 5ºC, Südwind mit 40 km/h und drehenden Böen
Zuschauer: keine
 
Meldungen:
650
Am Start:
600
Im Ziel: 516
 
Männer
1. Dirk Strothmann (LG Solbad Ravensburg) 2:44:50
2. Michael Leck (Laufteam Wolfhagen) 2:53:31
3. Andreas Frigger (PSV Brilon) 2:57:06
4. Carsten Leck (LG Fuldatal) 2:58:17
5. Henning Hahn (TSC Höchstadt/Aisch) 2:59:13
6. Henning Austerschmidt (Tri-City 2001 Paderborn) 2:59:47
8. Mario Voland (Spiridon Frankfurt) 3:00:47
 
Frauen
1. Iris Walter (TV 1848 Meisenheim) 3:21:03
2. Antje Krause (Ultra Sportclub Marburg) 3:24:43
3. Anita Ehrhardt (Oldenburg) 3:29:50
4. Ursula Henning (ASV Köln) 3:34:54
5. Sanna Almstedt (ASFM Göttingen) 3:36:55
6. Beate Rosentreter (Paderborn) 3:39:24
 
Kampfläufer Vitus (Spiridon Frankfurt)
Startnummer:
207
Nation: Deutschland
Zeit: 3:00:47
Platz: 8 von 516 Gesamt
Platz: 8 von 431 bei den Männern
Platz: 2 von 104 in Klasse M45
Zwischenzeiten
HM 1: 1:31:13
HM 2: 1:28:46
 
Peanut (Frankfurt)
Startnummer:
208
Nation: Deutschland
Zeit: 4:10:54
Platz: 275 von 516 Gesamt
Platz: 30 von 85 bei den Frauen
Platz: 6 von 20 in Klasse W45
Zwischenzeiten
HM 1: 1:58:30
HM 2: 2:12:24
 
Ergebnisse

Arolsen-Marathon
Bilder
Runners World