20. FRANKFURT-MARATHON, 28. Oktober 2001
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AUFBAUKAMPF
Komen Race for the Cure (5 km), 30.9.01
STRECKE ¤ VORBEREITUNG ¤ MARATHON ¤ STATISTIK ¤ BILDER
Marathon-Manie in Mainhattan Vol. III - Auferstanden aus Ruinen
 
 
Für Peanut
 
 
Immer am letzten Wochenende im Oktober steckt die Metropole am Main im Marathon-Fieber. Am 28.10. war es wieder so weit. Über 11
 000 Läufer sollten sich den mythischen 42,195 Kilometern stellen. Diesjahr fand der Marathon zum 20. Mal statt und war zugleich die Deutsche Meisterschaft. Am 17. Mai 1981 vorm Tor Ost der Farbwerke Hoechst durch Emil Zatopek freigegeben, ist der Stadtmarathon durch Frankfurt nicht nur der älteste, sondern nach Berlin, Hamburg und Köln auch der viertgrößte Deutschlands. Nur im EM-Jahr 1986 fand keiner statt. In diesem Jahr war der „Euro“ die Vision der Stadt, die durch ihre Wolkenkratzer, den historischen Römerberg, das Ebbelwei-Viertel (Apfelwein-Viertel) Alt-Sachsenhausen, und auch als Hauptstadt des Verbrechens bekannt ist.
 
Frankfurt war mein vierter Marathon. Kein gewöhnlicher. Vor einem Jahr war mir während eines Aufenthalts in der Frankfurter Innenstadt ein fünfköpfiger Schlägertrupp in den Rücken gesprungen. Dabei riß der linke Lungenflügel. Ohne OP wäre ich gestorben. Die Mediziner rieten von weiterem Leistungssport dringend ab. „Vier Monate keine schwere körperliche Betätigung!“, gaben sie mir bei der Entlassung aus dem Krankenhaus mit auf den Weg. Als Heilungszeit hatten sie sechs Monate angesetzt, nach einem halben Jahr sollte die maximale Sauerstoffaufnahme wieder hergestellt sein. Von einem Tag auf den anderen war in meinem Leben nichts mehr, wie es war. Grausige Schmerzen bohrten sich in meine Brust sobald ich nur gähnen mußte. Ganz zu schweigen, was passierte, wenn ich husten oder niesen mußte. Noch Wochen später glich ein Treppenabsatz einem Marathon unter Gasmaske. Ich weiß noch wie es war, wieder auf die Beine zu kommen, erstmals wieder zu „laufen“. Der sechste Januar. Von Rödelheim zur Konzerthalle „Batschkapp“ in Eschersheim. 6 ½ Kilometer hin. Und 6 ½ zurück. Auf eigene Gefahr. Mit ganz flacher Atmung. Die Freundin Peanut hatte mir ihr Funktelefon mitgegeben - für den Notfall... Auf halbem Wege konnte ich Entwarnung geben: Die Lunge hielt! Das Geschehene lag elf Monate zurück. Im Herbst 2001 trat ich zu einer neuen Rennschlacht an.
 
.:: DIE STRECKE ::.
Die Strecke war die gleiche wie im Vorjahr. Sie verlief über glatten Asphalt ohne enge Kehren, und war durch die herbstlich-kühle Witterung wie geschaffen für schnelle Zeiten. Nach dem Auftakt am Messegelände führte das erste Drittel durch die Stadtteile Westend und Bockenheim, und über den Alleenring durch die Straßen des Nordends in die Innenstadt mit Europas höchsten Wolkenkratzern. Über den Anlagenring ging es auf die linke Mainseite. Das Vergnügungsviertel Alt-Sachsenhausen wurde gestreift. Parallel zum südlichen Mainufer führte die Route nun durch die Wohngebiete von Sachsenhausen, Niederrad und Schwanheim, und zurück über den Main zum Wendepunkt im Vorort Höchst. Über die Mainzer Landstraße ging es durch die Stadtteile Griesheim und Gallus und mit einem letzten Bogen durch das Zentrum der hessischen Metropole zurück zum Ausgangspunkt Messe Frankfurt. Streckenrekordler waren Kenias Henry Cherono mit 2:10:40 Stunden (2000) und die Ostdeutsche Katrin Dörre-Heinig mit 2:26:48 Stunden (1997).
 
.:: DIE VORBEREITUNG ::.
Nach dem Eingriff im November 2000 und der anschließenden Genesung, konnte ich im folgenden April im heilsamen Klima der Vulkaninsel Teneriffa erste Rückkehrversuche wagen, und nach einem guten Rehatraining im Mai schon wieder in 3:21 Stunden den Mainz-Marathon bewältigen. Die Liebe zum Sport war ungebrochen. In den zwölf Wochen vorm Frankfurt-Marathon lief ich schließlich 1131 Grundausdauerkilometer zusammen. Immer den Fluß Nidda rauf und runter, von Dortelweil bis zur Mainmündung in Frankfurt-Höchst. Dabei lief ich allein, ohne feste Regeln. Ein paar allgemeine Grundsätze fand ich im Buch des früheren Weltmeisters Rob de Castella „Laufen - Mein Leben“. Erstmals kam eine Pulsuhr zur Anwendung.
 
Ein Trainingsbeispiel - die Gipfelwoche vom 1. bis 7. Oktober:
 
Mo.: Ruhetag
Di.: 21 km Dauerlauf in 1:55 Std.
Mi.: 31 km Dauerlauf in 2:35 Std.
Do.: 15-km-Tempodauerlauf in 1:25 Std.
Fr.: Ruhetag
Sa.: 40 km Stoffwechseltraining in 3:30 Std.
So.: 21 km Dauerlauf in 1:45 Std.
 
DAS AUFBAURENNEN
 
2. KOMEN RACE FOR THE CURE
 
Am 30. September 2001 bestritt ich auf dem Frankfurter Museumsufer in der Betriebsmannschaft von ACNielsen einen 5-Kilometer-Straßenlauf für die Brustkrebshilfe. Als Ergebnis standen 20:27 Min. (brutto) und Rang 62 unter 516 Teilnehmern.
Die 12 Trainingswochen vom 6. August bis 27. Oktober:
 
01. Wo.: 058 km
02. Wo.: 091 km
03. Wo.: 079 km
04. Wo.: 087 km
05. Wo.: 104 km
06. Wo.: 106 km
07. Wo.: 079 km
08. Wo.: 121 km
09. Wo.: 128 km
10. Wo.: 114 km
11. Wo.:
085 km
12. Wo.:
079 km
Gesamt: 1131 km
 
.:: DAS RENNEN ::.
 
20. EURO-MARATHON FRANKFURT, 28. Oktober 2001
Freitag, 26. Oktober
 
Der letzte Freitag im Oktober brachte das Marathonwochenende in die Stadt am Main, und auf dem Messegelände liefen alle Fäden zusammen. Mit der Abholung der Startunterlagen begannen die drei verrückten Tage von Frankfurt. Die in Messehalle 4 erhältlichen Starterbeutel mit Startnummer und Programmheft hatte ich vorm großen Ansturm um zwei Uhr nachmittags in der Hand, und auch noch mal den eigenen Transponder „Champion-Chip“ auf seine Funktionstüchtigkeit überprüfen lassen. Sicher ist sicher... Die Technik war brandneu! Damit waren die ersten Hürden genommen.
 
Sonnabend, 27. Oktober
 
Das Aufwärmprogramm „Brezellauf“ (fünf Kilometer über den Römerberg mit einer Brezel und Apfelsaft als Lohn im Ziel), die Verkaufsmessen „Lifetime“ und „Marathonmall“ sowie die abendliche Nudelparty, hatte ich genauso gemieden wie den Gottesdienst und die hr3-Disco. All die Rahmenhandlungen kannte ich von meinem ersten Auftritt in Frankfurt. Strahlende, grinsende und erregte Gesichter. Konsumieren, Fachsimpeln und Palavern in der Masse. Der Rummel dort war mir zu viel. Nichts als verplemperte Energie.
 
Sonntag, 28. Oktober
 
FRANKFURT-MARATHON! Nachts hatte es geregnet. Ich konnte gut, und wegen der Zeitumstellung auf Winter eine Stunde länger im eigenen Bett schlafen. Nach einem Frühstück mit Nudeln, Weißbrot und Tee, machte ich mich mit Peanut auf ins Gefecht. Die drei Kilometer Luftlinie von der Wohnung zum Start legten wir mit der S-Bahn zurück, und kamen in der elften Stunde in der Messehalle 1 (Umkleideraum und Brausen) an. Dort schlug uns der fast vergessene Kabinenduft aus Massageöl, Kampfer und Körpersekreten entgegen. Während sich vor den Augen ein Sammelsurium aus Einreibemittelchen, Bananen, Zuckergetränke, Riegel und Nackedeis entfaltete. Manche hatten ein Fleckchen auf einer der wenigen Holzpritschen ergattert. Die meisten saßen auf kaltem Zement zwischen Klamottenbergen, Stirnbändern und Laufschuhen. Nach langem Fehlen endlich wieder das alte Ritual kurz vorm Kampf praktizieren: Entblättern, Wärmepflaster aufs Kreuz, eine Massage, um die Glieder zu lockern, Schutz der Zehen mit Vaseline, Startnummer befestigen, Trikot überstreifen, Doppelknoten in die Schnürsenkel (doppelt hält besser), etwas recken und strecken, drei Steigerungen, Sporttasche einlagern, und dann ging die Jagd los... Im Glas der Wolkenkratzer spiegelten sich Nebel und dunkle Wolken. Regen prallte auf den Asphalt. Zwischen Messeturm und Festhalle herrschte Ausnahmezustand: Tausende und Abertausende irrten im kalten Wind auf der Suche nach dem Tor zum Startblock panisch umher. Fünf Minuten vorm Peng tauchte ich in „A2“ hinein, wo sich der zweite Sturm mit Ziel 3:00 bis 3:30 Stunden drängte. Über die Absperrung ein letzter fröstelnder Kuß von Peanut. Die machte vom „Fan-Fahrplan“ Gebrauch und folgte dem Rennen nach dem Hase- und Igel-Prinzip mit der S-Bahn vom Start im Westend zu den Streckenkilometern 12 in der Innenstadt und 29 in Höchst, und von dort wieder zurück ins Westend. 42 Kilometer bis zum Ziel!
Frankfurt mit Blick auf den Taunus (© Unbekannt)
Kilometer 0 bis 10: Start in „Mainhattan“
 
„Freude schöner Götterfunken, Tochter aus Elysium...“ Unterlegt von Ludwig van´s „Ode an die Freude“ erfolgte Schlag elf Uhr der START. Angeführt von den Kenianern Cherono, Gisemba, Langat und Okemwa, den Japanern Kawakubo, Umeki und Sakai sowie den Osteuropäern Loskutow, Shwetsow, Freigang und Osman, setzte sich die Division der Marathonis in Bewegung. Klamm vor Kälte und voller Adrenalin stolperte ich über die Zeitmatte unterm Messeturm... und weiter den abfallenden Kilometer in Richtung Innenstadt hinab zur ersten Kurve. Gerade die Startphase ist hitzig, weil niemand Zeit verlieren will. Hier ein Knuff in die Rippen, dort eine Armberührung, Straucheln, jemand stürzte auf den Boden. Da waren starke Nerven gefragt! Einer der sehnigen, hageren Ostafrikaner hatte anscheinend den Start verpaßt und huschte wie vom Teufel gejagt an mir vorbei. DEM WAHREN SCHOENEN GUTEN steht es an der Alten Oper geschrieben. Aber ein Marathon ist nichts Schöngeistiges! Die Oper passiert, schob sich die Schlange über die Bockenheimer Landstraße. Hier im Westend hatte ich lange gewohnt, den Duft der Schickeria eingeatmet, und immer im Herbst als Zuschauer den Marathonläufern Respekt gezollt. Nun war ich selbst einer... Pfützen, regenasses Trikot, durchweichte Schuhe, von der blauen Ideallinie nichts zu sehen: Es war ein mieser Auftakt. Im Zickzack ging´s vorbei am Palmengarten hin zur Bockenheimer Warte. Von dort erst im Gefälle der Senckenberganlage zurück zur Messe, und dann durch den OPD-Kreisel auf der Gegengeraden - das Senckenbergmuseum streifend - nun wiederum leicht steigend zum Alleenring. Auf der Rückseite vom Grüneburgpark war der nördlichste Punkt erreicht, und mit der Zeppelinallee kam die erste Richtmarke. Kilometer 5: 24 Minuten. Drei Minuten über der Angangszeit zur ersehnten „2:59“. Ein schwerer Schlag! Um was trinken zu können, mußte ich erst mal an den Stand kommen. Und das war gar nicht so leicht. Dazu war das Wasser eiskalt. Ich verschluckte mich und hatte postwendend ein rätselhaftes Gluckern im Leib. Waren das Warnsignale von der Lunge? Nie wieder dürfte ich Marathon laufen, sagte der Doktor. Mit Rasseln im Leib und einem Moralischen im Kopf ging es durchs Nordend, auf den Bordsteinen wurde es lebendig, und beim zweiten Überlauf des Opernplatzes war die Hölle los. Und das im wahrsten Sinne. Der Tourteufel mit schwarz-roter Kutte, Dreizack und Wallebart, Didi Senft, stachelte die Läufer an. Auf Augenhöhe angelangt, warf ich ihm ein „Hee!“ zu, und Didi gab´s mir prompt zurück! „He-he-hee!“: Radsportverrückte unter sich: Das baute auf und auch im Leib war nun alles wieder gut. Nach den dunklen, windigen Hochhausschluchten von „Mainhattan“ schöpfte ich am Kilometer 10 (Goetheplatz) neue Hoffnung.
 
Kilometer 11 bis 20:
Durch die Wohngebiete südlich des Mains
 
Über den historischen Wallgraben war die Konstablerwache erreicht. Wie abgemacht, verpflegte Peanut mich am Szeneschuppen „Nachtleben“ mit Tee. Mit der Pulle in der Hand ging es über die Alte Brücke von „Hibbdebach“ (diesseits des Mains: Nordseite, Frankfurt) rüber nach „Dribbdebach“ (drüben: Südseite, Sachsenhausen). Doch während aus Sicht des Frankfurters Sachsenhausen die falsche Seite ist, ist jeder Sachsenhäuser zugleich auch ein Frankfurter... Der Blick fiel auf das Eck, wo Ende der Achtziger bis Mitte der Neunziger das „Negativ“ war und die besten Untergrundkonzerte stiegen, die Frankfurt je sah. Vermutlich haben wir uns dort einige Mal unbewußt berührt. Weiter ging´s - von der Kolbstraße durchs regenbeschirmte Yuppievolk am Schweizer Platz, und vorbei an den Bürgerfassaden der Hans-Thoma-Straße nach Westen. Einer vor mir verlor seine Pulle, stoppte, und hätte damit fast den ganzen Pulk runtergerissen. Das Laub auf der Kennedyallee leitete einen ersten Kahlschlag ein. Endlich frei laufen... Die Strecke führte an der Galopprennbahn vorbei in die leergefegte Bürostadt Niederrad mit der nächsten Zeitkontrolle. 44 Minuten. Damit war der Plan futsch. Ernüchtert vom frühen Verlust hatte ich es in der folgenden Aufholjagd doch etwas übertrieben. Am ersten Buffet nahm ich einen Happen Banane und lief zügig durch.
 
Kilometer 21 bis 30:
Zurück auf der Nordseite mit einem Gruß an die Wiege des Marathons
 
Die Strecke unterquerte die Europabrücke, lief in die Siedlung Goldstein ein und erreichte in der Frankenfurt die Halbmarathon-Marke. Mit 1:34:09 war mein Bestwert um anderthalb Minuten unterboten. Unmittelbar darauf war mir kurz schwindelig: wahrscheinlich die Stoffwechselumstellung von Kohlenhydraten auf Fett. Auf dem unendlichen Asphaltband der Frankenfurt, zwischen kleinen Vorgärten links und Panzerglas zur Stadtautobahn rechts, spendierten Anwohner Kräutertee. Direkt vor mir liefen zwei nach „2:59“ aussehende Mädel. Dünne muskulöse Beine, hauchzarte Tights. Nur nicht ablenken lassen. Für kurze Augenblicke führte die Route am Schwanheimer Wald lang: das einzige Grün auf der Runde durch Frankfurt. Gleich darauf, im alten Arbeiterviertel Schwanheim: wieder Remmidemmi mit Streckenfesten und einer Bühne. Deep Purple´s „Child In Time“ trieb mir Erinnerungen an meine Jahre als Radsportler in den Siebzigern in die Augen. Am 25. Kilometer brauchte ich was zu trinken. Vergangenes Jahr hatte ich auf kaltes Wasser Magenkrämpfe bekommen und mußte mich dreimal übergeben. Ich entschied mich für Tee. Doch dieses Gebräu war so eklig, daß ich den Becher gleich wieder wegwarf. Auch diesmal brach ich im weiten Kreis hinauf zur Schwanheimer Brücke ein. Der im Training verinnerlichte Abschnitt auf dem graugrünen Eisenungeheuer über den Main nach Nied, dann über die Nidda, vorbei an der ehemaligen Metalkneipe „Kult“, und zum Wendepunkt Höchst (wo der Tscheche Emil Zatopek 1981 den 1. Marathon startete - den ein Schwede gewann: Kjell-Erik Stahl), war für mich kein gutes Pflaster. Am Andreasplatz reichte Peanut mir die zweite und letzte Trinkflasche und moralische Unterstützung. Der Kilometer 30 in der Bolongarostraße: Diese Stelle ist gefürchtet. Hier beginnt der Marathon allmählich. Viele laufen in die „Mauer“. Selbst Profis. Auch ich hatte mich überschätzt und fühlte mich nun hundeelend. An der Alten Niddabrücke nahm ich ein Stück Banane und richtete das Ziel auf 3:19 Std. neu aus.
 
Kilometer 31 bis 40:
Über die Mainzer Landstraße zurück nach Mainhattan
 
Die Senke unterm Bahnhof Nied hindurch und hinauf zum Kahnplatz war wie ein Totschläger für mich. Drei Dutzend zogen vorbei, und die zermürbende Fünf-Kilometer-Gerade der Mainzer Landstraße und Frankenallee immer in Richtung Osten stand bevor. Eine Geisterkulisse aus kahlen Sträuchern, Straßenbahnschienen, einem Großmarkt, einem Schnellrestauarnt, einem Reifenfritzen und Mietskasernen säumte den Rand. Unter der Autobahn durch, und weiter... vorbei an ausgestorbenen Schrebergärten... und immer weiter... Schon mit Händen zu greifen und doch so unendlich weit entfernt türmten such voraus die Wolkenkratzer von Mainhattan. Der Prozeß des zähen Dahinsiechens nahm seinen Lauf. Die Phase, in der die Motorik einfach nicht mehr will, wenn im schlimmsten Fall sogar Krämpfe einsetzen. Manche humpelten, andere legten Gehpausen ein, dehnten sich oder krümmten sich vor Schmerzen an der Leitplanke. Schon lange lief ich allein. Regen schlug mir ins Gesicht, kalte Tropfen auf die Haut. Nur noch zehn Kilometer. Nur noch? Dann war Peanuts Getränk aufgebraucht, der letzte Halt... Vom Vorjahr wußte ich, daß vor der Frankenallee eine Station mit Tee kommt: Warmer, süßer Kräuertee, der mir aus der Patsche und auf den letzten Kilometern zu einer Aufholjagd verhalf. Diesmal nicht. Völlig aufgerieben schlich ich durch den Stadtteil Gallus, auch „Kamerun“ genannt. Nach Fremden vom Orient in Höchst, nun die Trommeln vom schwarzen Kontinent. Weiter, weiter, immer weiter der blauen Linie folgen! Der Güterplatz gab den Blick aufs Ziel frei. Das Schlimmste überstanden? Pustekuchen! Die Strecke knickte nach rechts weg zu einem Umweg durch die Innenstadt. Um 3 Stunden 19 zu schaffen, mußte ich die letzten vier Kilometer jeweils unter fünf Minuten bleiben. Das sagt sich so leicht. Aber mach das erst mal... In der rammelvollen Innenstadt war ich derart ausgelaugt, daß ich noch was essen mußte. Zur Abwechslung etwas Banane. Damit hatte ich insgesamt eine dieser Südfrüchte heruntergeschlungen.
 
Kilometer 41 bis 42,195:
Die Hexenkessel zwischen den Wolkenkratzern
 
Mit total zerstörten Muskeln und letzter Willenskraft ging es über das Pflaster des Roßmarkts und durch die Nobelboutiquen der Goethestraße zum „Fanblock“ Opernplatz. Kein Zeichen von Leben gleich darauf unter den beiden ehemals höchsten Türmen der Stadt, der Zentrale der Deutschen Bank. Dafür baumelte an einer Laterne in der Taunusanlage das Schild 1 KM. Ein letzter Haken nach rechts... und rauf auf die fünfhundert Meter lange und zehn Meter breite Zielgerade. Leicht ansteigend zwar, aber mit dem erlösenden Banner am entferntesten Punkt! Vorbei noch an der Ehrentribüne... und dann war im Schatten des Hammermann das ZIEL erreicht. Eine häßliche alte Frau hängte mir den Blechorden um.
 
So allein im Gewimmel hinter der Absperrung sah ich Peanut stehen. Das Küsschen von ihr konnte den Frust nicht lindern. Die Schnell-Information brachte die Gewißheit: 03:20:48. „Eine gute Zeit“ unter Läufern, damit hat man sogar die Norm für New York erbracht. Alles wenig trostreich: Nie mehr Marathon! Fluchtartig entfernten wir uns vom Ort des Debakels. - Später erfuhren wir, daß der Este Pawel Loskutow seinen Überraschungs-Sieg von 1999 wiederholt hatte. Zweiter wurde Polens Osman. Auf der dritten Stelle folgte mit Cherono der erste Ostafrikaner. Es sollte das letztemal gewesen sein, daß Männer der weißen Welt vorneweg marschierten. Die Deutschen hatten nicht viel zu melden. Bester und damit neuer Deutscher Meister war der Frankfurtsieger von 1997, Michael Fietz, auf Platz acht. Stephan Freigang, Olympiadritter 1992, stieg zum fünften Mal in Frankfurt aus. Die gebürtige Rumänin Zaituc steckte für ihren Streckenrekord bei den Frauen einen Scheck über 34
 000 Euro ein.
 
Mangels offizieller Schlußfeier verließ ich mit meiner Freundin zügig den Zielbereich. Der Marathon klang für uns in der „Taverna Symposion“ im Stadion am Brentanobad aus. Ich fühlte mich so unsagbar - bah... Mir tat der Kopf weh, auch das Bier schmeckte nicht.
Der Lauf in einer BILDERTAFEL... anklicken............
FAZIT
 

Wirkung: Polierte Fassaden, Wolkenkratzer aus Glas und Stahl, und eine Strecke aus breitem Asphalt. Alles ultra, alles schnell. Doch wenig Ausstrahlung, kaum Flair, zu wenig Schutz im Wind, und erschwerend fiel heute auch noch Regen in die Geldstadt. Ein großes Plu ist die Gesamtorganisation. In Frankfurt spürt man die Erfahrung mit dem Marathonlauf von der Pike an. Nummernausgabe, Messe, Nudelparty, Umkleide, Kleideraufbewahrung, Start und Ziel, Siegerehrung und Marathonhotel waren kompakt auf dem Messegelände untergebracht. Alles verlief reibungslos - an allen Ecken und Enden. Für Materialinteressierte: Ich lief Asics Gel Kayano VI (der damalige Lieblingsschuh).
 
Widmung
Der Lauf geht an Peanut, die mir mit täglichen Besuchen am Krankenbett den Schmerz genommen und durch diese schwere Zeit geholfen hat.
 
 
Kampfläufer Vitus im Oktober 2001
 
.:: ZAHLEN UND ZEITEN ::.
Wetter: Nebel und Regen, 13ºC, leichter bis mäßiger Wind
Zuschauer:
ca. 100
 000
 
Gesamtteilnehmer
(Marathon, Handradfaher, Rollstuhlfahrer, Kufenroller, 5 km)
Gemeldet:
15
 900
Am Start: 12
 983
Im Ziel: 12
 351
 
Marathonläufer
Gemeldet:
11
 310 (M: 9715 / W: 1595 / Nationen: 55)
Am Start:
9359 (M: 8065 / W: 1294)
Im Ziel: 8850 (M: 7642 / W: 1208)
 
Männer
1. Pawel Loskutow (Estland) 2:11:09
2. Artur Osman (Polen) 2:11:46
3. Henry Cherono (Kenia) 2:12:25
4. Yoshifumi Miyamoto (Japan) 2:12:47
5. Michael Bartoszak (Polen) 2:12:59
6. Toshiyuki Sakai (Japan) 2:13:50
 
Frauen
1. Luminita Zaituc (Deutschland) 2:26:01 (SR)
2. Melanie Kraus (Deutschland) 2:31:29
3. Lena Gavelin (Schweden) 2:31:58
4. Petra Wassiluk (Deutschland) 2:32:59
5. Inga Juodeskiene (Litauen) 2:33:01
6. Annette Jensen (Dänemark) 2:33:21
 
Kampfläufer Vitus
Startnummer: 2746
Nation: Deutschland
Zeit: 3:20:48
Platz:
1488 Gesamt
Platz:
305 in Klasse M40
Zwischenzeiten
10 km: 0:44:27
20 km: 0:44:31
30 km: 0:47:32
40 km: 0:53:38
1. Hälfte: 1:34:09
2. Hälfte: 1:46:38