10. AWH-Straßenradrennen Lochau, 15. September 2024 | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Prolog Diese Woche brachte mutmaßlich große Umbrüche im Kapitel Radsport für mich. Erst wurde am Mittwoch mangels Beteiligung der Bahnrad-Cup in Heidenau abgesagt: Vier Mann waren mindestens einer zu wenig für ein hochintensives Trainingsrennen. Am Rande wurde auch die Sanierung der Rennbahn im kommenden Frühling und damit der Wegfall der so wichtigen Übungseinheiten auf der Bahn angedeutet. In der anschließenden Nacht stürzte die Carolabrücke in Dresden ein, über die sechs Stunden zuvor noch mein Heimweg aus Heidenau geführt hatte. Damit war ein weiteres Relikt der DDR ausradiert und Trainingsstrecken in Richtung Süden auf Jahre hinweg abgeschnitten - oder nur unter Gefahr für Leib und Leben durch die Dresdner Autohölle erreichbar. Und dann stürzten die Temperauren von dreißig auf zehn Grad, machte Dauerregen und Hochwasser Straßentraining unmöglich. Alles neigte sich in wenigen Tagen unaufhaltsam dem Ende entgegen. Wie schnell sich alles ändert, wie zerbrechlich unser Dasein doch ist. Indes sich im Anhaltinischen die Welt unbeirrt weiterdrehte: Zum zehnten Mal stieg im Herbst auf der Deponie im Süden von Halle ein Radrennen. | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
.:: DIE STRECKE ::. | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Gefahren wurde auf der mit 95 Meter über NN einzigen Anhöhe weit und breit: der im alten Kohleland von Halle errichteten und 2005 stillgelegten Mülldeponie in der Tausend-Seelen-Gemeinde Lochau südöstlich der Saalestadt. Die Rennstrecke führte auf einer namenlosen asphaltierten Ringstraße am Rand der riesigen Grube entlang. Wind und ein selektiver, 750 Meter langer Anstieg mit 30 Höhenmetern und bis zu zwölf Prozent Steigung ausgangs jeder Runde, waren die Herausforderungen. Sechsmal mußten die Masters 4 über den 7,6 Kilometer langen Rundkurs fahren, ehe der Sieger auf dem schmutzigsten Mont Ventoux Sachsen-Anhalts feststand. | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
.:: DAS RENNEN ::. | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Weil Regen Radtraing zunichte machte, hatte ich mich am Donnerstag zu einem Dauerlauf entschlossen - dem ersten seit acht Monaten! Dummerweise war die geplante Runde wegen Räumungsarbeiten an der Carolabrücke durch Polizei abgesperrt. Aus sechs Kilometern wurden elf - und ein höllischer Muskelkater, der auch am Renntag nachwirkte. Welch eine Eselei! In Lochau war alles beim Alten, parkte Peanut unser Auto zum vierten Mal auf der selben Stelle der Deponie im Niemandsland. Im Zelt mit der Anmeldung traf ich nach langer Zeit auf den Luckenwalder Mirbach; sowie den Hamburger Conrad, gegen den ich vor zwei Wochen noch im fernen Mainz fuhr. Der langjährige Rennleiter Lohr gab sich gutgelaunt, während der Chemnitzer Kluge in der Startaufstellung seine Beinlinge meiner Frau anvertraute. Es hatte sich wiedermal alles versammelt, was im Osten Rang und Namen hat! | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
9 Uhr 32 erfolgte der Start für die Masters 4. Dabei glich der Auftakt einer lockeren Spazierfahrt. Bei der heutigen steifen Brise und angesichts der Renndistanz von 46 Kilometern war die frühe Attacke des Radroo-Akteurs Conrad ohnehin dem Tode geweiht. Matzel blickte mehrmals über die Schulter - konnte seinen Sparringspartner Keller aber nicht erblicken. Später stellte sich heraus, daß „Kelli“ gleich zu Beginn einen Platten hatte und damit zu seinem eigenen Gegenspieler wurde, Doch er bekam Hilfe vom Rande. Wenig später entdeckte ich den Hessen Siemon, der eigentlich nach Zwenkau 2022 Schluß gemacht hatte. Siemon fuhr heute sein erstes Rennen seit zwei Jahren. Nach fünf Kilometern nahm das Rennen ordentlich Fahrt auf, und nach sechs wurde es erstmals ernst, folgte die Schußfahrt hinab zur Sohle der Deponie und gleich wieder hinauf zum Plateau. Dabei taten die kleinen, leichten Leute und die mit keinem Gramm Fett am Körper den schweren so richtig weh. Peinlicherweise mußte ich als Erster reißen lassen. Da half auch ein Wechsel vom schweren Aerorad aufs leichte Vehikel aus dem Jahre 2017 nicht. Die Anstiege mit 83 Kilo „Systemgewicht“ waren Gift, Gift, Gift. Im oberen Drittel des Anstiegs kam es fast zu einem Frontalcrash mit den zwei Minuten zuvor gestarteten Masters-3-Fahrern, die im Gegenverkehr mit siebzig Stukis ins Gefälle eingangs ihrer zweiten Runde schossen (und dieses Szenario sollte sich in der kommenden Runde wiederholen!). Immerhin konnte ich das Loch von hundert Metern bei der ersten Zielpassage allein zufahren. In Runde zwei blieb das Meute zusammen. Die Selektion erfolgte im dritten Anstieg. Während sich jemand nach langer Leidenszeit auf wundersame Weise in einer vierköpfigen Spitze behauptete (der Name bleibt geheim), fiel ich mit dem starken Kühnelt hinten raus. Derweil der spätere Zweite auf der letzten Speiche den Sprung nach vorn schaffte, sah ich mich die verbleibenden dreiundzwanzig Kilometer bereits allein zwischen der Spitze und dem Rest leiden. Doch dann schlossen die Leipziger Keßler und Kirchner auf. Als Trio absolvierten wir Runde vier und fünf. Nachdem er rundenlang alleine in einer anderen Welt gefahren war, eilte zu Beginn der sechsten und letzten Runde Keller von hinten heran. Damit lief die finale Schleife als Vierer-Mannschaftsfahren. Bis Kelli zwei Kilomter vor Ultimo nochmal eine richtige Kelle fuhr und einer Rakete gleich davonbrauste. In dem Moment wußte ich, wie viel besser er war; wie aussichtslos der Kampf ums Treppchen im Osten ist; und daß meine Tage bei der Übermacht an jüngeren und zweifelhaften Teamfahrern gezählt sind. Den letzten Anstieg unseres Trios fuhr Kirchner von vorn. Dreihundert Meter vorm Ziel trat ich an und wurde vom bulligen Keßler überspurtet. | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Epilog Wie jedes Jahr wurden zwischen den zwei windumtosten Zelten im anhaltinischen Nirgendwo die üblichen Verdächtigen geehrt. Peanut erzählte mir, daß sie wärend des Rennens den Streckenposten beim Umsetzen der falsch aufgestellten Leitkegel geholfen hatte. Überdies wurde für die nachfolgenden Rennen im Kringel vor Start und Ziel die Fahrtrichtung geändert: Statt rechts- ging´s linksrum (mit fragwürdiger Wirkung). Neben den obligatorischen „Hallo“s unter den Fahrern und Funktionären stellte Lochau als eines der letzten Straßenrennen im Jahr auch immer schwierige Fragen um Abschiednehmen, Schmerz, Wut und Sucht. Ende der Woche bestreite ich noch zwei Rennen. Ob es weitergeht, ist unklar. Vitus, 16. September 2024; Bilder: Peanut | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
.:: ZAHLEN UND ZEITEN ::. | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Wetter: überwiegend bewölkt, 9ºC, mäßiger Wind (26 km/h) aus Nordwest, 84% Luftfeuchtigkeit Typ: Rundstreckenrennen Länge: 46 km Im Ziel: Masters 2: 9, Masters 3: 12, Masters 4: 12, Hobby: unbekannt Masters 4 Gemeldet: 12 Am Start: 12 Im Ziel: 12 1. Jens Matzel (RFC Markkleeberg) 2. Harry Kühnelt (RSV Wittenberg) 3. Rüdiger Conrad (Harburger RG) 4..Frank Mirbach (RTS Luckenwalde) 5. Torsten Kunath (RC Gera 92) 6. Ralf Keller (RSG Muldental Grimma) 8. Mario Voland (Dresdner SC 1898) Ergebnisse Rad-Net | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||